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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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düstern. Dazu kommt endlich ein andrer Umstand, auf den neulich die "Köl¬
nische Zeitung" hinwies. Der Grund, weshalb gewisse Kreise in Moskau und
Petersburg sich so eifrig bemühen, Rußland zu feindseligem Vorgehen gegen
Deutschland zu drängen, liegt in dem Wunsche, die Unzufriedenheit mit den
innern Zuständen auf das Ausland abzulenken. Der Unwille über die innere
Politik, über die Verwaltung des Grafen Tolstoi greift mehr und mehr um sich,
deren Mißgriffe und der allgemeine Mißstand der Dinge finden in immer
weitern Kreisen Verständnis und Widerspruch. Die innere Politik vermag solche
Kritik auf die Dauer nicht zu ertragen, und so setzen die an ihr beteiligten
Kreise alle Hebel in Bewegung, um die "öffentliche Meinung," d. h. die Zei-
tungsleser, mit auswärtiger Politik zu beschäftigen. Dieser Ablenkungsversuch
wird dadurch erleichtert, daß in Rußland kein einheitliches Ministerium besteht, die
verschiednen Minister vielmehr nicht bloß selbständig neben einander, sondern
oft gegen einander arbeiten. Tolstoi, der Minister des Innern, läßt aus den
angeführten Gründen in seinem Blatte "Peterburgskaja Wjedomosti" unablässig
die Trommel gegen Deutschland rühren, während Giers im ^ourng.1 as Le.
^störsdour^ den friedfertigen Anschauungen und Wünschen Ausdruck geben
läßt, die seine Politik beseelen.

Von alledem ist es aber noch ziemlich weit bis zu einer Annäherung Rußlands
an Frankreich, noch weiter zu einem Bündnis beider Mächte und sehr weit zu
einem Angrisfsbttndnissc gegen Deutschland. Gewiß giebt es Politiker, namentlich
Zeitungsschreiber von der panslawistischcn Sorte, die dergleichen verlangen und em¬
pfehlen, aber daneben gewahren wir auch zuweilen, daß der Verstand die wahre oder
geheuchelte Leidenschaft überwältigt und sich in entgegengesetztem Sinne äußert.
Vor einiger Zeit befürwortete "ein alter Diplomat" im Brüsseler Nora, dem
bekannten Organ für russische Politik, eine Annäherung Rußlands an Frankreich,
^obei das gute Verhältnis Rußlands zu Deutschland gewahrt bleiben könne.
Darauf bezeichnete der bekannte Tatischtschew in der ^ouvslls rsvus der Frau
Adam dies als "diplomatisches Idyll" und meinte, schließlich werde es doch
Zu einem russisch-französischen Bündnisse kommen, sobald sich in Frankreich,
gleichviel, unter welcher Fahne, eine feste Regierung gebildet habe. Dazu be¬
merkte dann die "Nowvje Wremja," die wir bisher als in der Wolle pauslawistisch
gefärbt erscheine" sahen, ohne Zweifel habe "der alte Diplomat" insofern Recht,
Kls es auf Seiten Rußlands unverständig sein würde, wegen der Sympathie
Frankreichs die langjährigen friedlichen Beziehungen zu Preußen zu zerreißen.
°>e allerdings nicht immer Vorteil gebracht hätten, mit denen man aber doch
Zehner müsse. Weiterhin sagte das Blatt: "Die Franzosen befinden sich in
schwerem Irrtume, wenn sie meinen, unsre Freundschaft würde sie in den Stand
setzen, ihre thörichte Sucht, in Europa zu Hetzen, wieder zu beginnen, eine Manie,
^e Deutschland viel geschadet, aber auch Rußland große Unannehmlichkeiten bereitet
hat. Ein russisch-französisches Bündnis könnte nur Vertcidigungszwecke haben.


Grenzboten IV. 1837. 40

düstern. Dazu kommt endlich ein andrer Umstand, auf den neulich die „Köl¬
nische Zeitung" hinwies. Der Grund, weshalb gewisse Kreise in Moskau und
Petersburg sich so eifrig bemühen, Rußland zu feindseligem Vorgehen gegen
Deutschland zu drängen, liegt in dem Wunsche, die Unzufriedenheit mit den
innern Zuständen auf das Ausland abzulenken. Der Unwille über die innere
Politik, über die Verwaltung des Grafen Tolstoi greift mehr und mehr um sich,
deren Mißgriffe und der allgemeine Mißstand der Dinge finden in immer
weitern Kreisen Verständnis und Widerspruch. Die innere Politik vermag solche
Kritik auf die Dauer nicht zu ertragen, und so setzen die an ihr beteiligten
Kreise alle Hebel in Bewegung, um die „öffentliche Meinung," d. h. die Zei-
tungsleser, mit auswärtiger Politik zu beschäftigen. Dieser Ablenkungsversuch
wird dadurch erleichtert, daß in Rußland kein einheitliches Ministerium besteht, die
verschiednen Minister vielmehr nicht bloß selbständig neben einander, sondern
oft gegen einander arbeiten. Tolstoi, der Minister des Innern, läßt aus den
angeführten Gründen in seinem Blatte „Peterburgskaja Wjedomosti" unablässig
die Trommel gegen Deutschland rühren, während Giers im ^ourng.1 as Le.
^störsdour^ den friedfertigen Anschauungen und Wünschen Ausdruck geben
läßt, die seine Politik beseelen.

Von alledem ist es aber noch ziemlich weit bis zu einer Annäherung Rußlands
an Frankreich, noch weiter zu einem Bündnis beider Mächte und sehr weit zu
einem Angrisfsbttndnissc gegen Deutschland. Gewiß giebt es Politiker, namentlich
Zeitungsschreiber von der panslawistischcn Sorte, die dergleichen verlangen und em¬
pfehlen, aber daneben gewahren wir auch zuweilen, daß der Verstand die wahre oder
geheuchelte Leidenschaft überwältigt und sich in entgegengesetztem Sinne äußert.
Vor einiger Zeit befürwortete „ein alter Diplomat" im Brüsseler Nora, dem
bekannten Organ für russische Politik, eine Annäherung Rußlands an Frankreich,
^obei das gute Verhältnis Rußlands zu Deutschland gewahrt bleiben könne.
Darauf bezeichnete der bekannte Tatischtschew in der ^ouvslls rsvus der Frau
Adam dies als „diplomatisches Idyll" und meinte, schließlich werde es doch
Zu einem russisch-französischen Bündnisse kommen, sobald sich in Frankreich,
gleichviel, unter welcher Fahne, eine feste Regierung gebildet habe. Dazu be¬
merkte dann die „Nowvje Wremja," die wir bisher als in der Wolle pauslawistisch
gefärbt erscheine» sahen, ohne Zweifel habe „der alte Diplomat" insofern Recht,
Kls es auf Seiten Rußlands unverständig sein würde, wegen der Sympathie
Frankreichs die langjährigen friedlichen Beziehungen zu Preußen zu zerreißen.
°>e allerdings nicht immer Vorteil gebracht hätten, mit denen man aber doch
Zehner müsse. Weiterhin sagte das Blatt: „Die Franzosen befinden sich in
schwerem Irrtume, wenn sie meinen, unsre Freundschaft würde sie in den Stand
setzen, ihre thörichte Sucht, in Europa zu Hetzen, wieder zu beginnen, eine Manie,
^e Deutschland viel geschadet, aber auch Rußland große Unannehmlichkeiten bereitet
hat. Ein russisch-französisches Bündnis könnte nur Vertcidigungszwecke haben.


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[0321] düstern. Dazu kommt endlich ein andrer Umstand, auf den neulich die „Köl¬ nische Zeitung" hinwies. Der Grund, weshalb gewisse Kreise in Moskau und Petersburg sich so eifrig bemühen, Rußland zu feindseligem Vorgehen gegen Deutschland zu drängen, liegt in dem Wunsche, die Unzufriedenheit mit den innern Zuständen auf das Ausland abzulenken. Der Unwille über die innere Politik, über die Verwaltung des Grafen Tolstoi greift mehr und mehr um sich, deren Mißgriffe und der allgemeine Mißstand der Dinge finden in immer weitern Kreisen Verständnis und Widerspruch. Die innere Politik vermag solche Kritik auf die Dauer nicht zu ertragen, und so setzen die an ihr beteiligten Kreise alle Hebel in Bewegung, um die „öffentliche Meinung," d. h. die Zei- tungsleser, mit auswärtiger Politik zu beschäftigen. Dieser Ablenkungsversuch wird dadurch erleichtert, daß in Rußland kein einheitliches Ministerium besteht, die verschiednen Minister vielmehr nicht bloß selbständig neben einander, sondern oft gegen einander arbeiten. Tolstoi, der Minister des Innern, läßt aus den angeführten Gründen in seinem Blatte „Peterburgskaja Wjedomosti" unablässig die Trommel gegen Deutschland rühren, während Giers im ^ourng.1 as Le. ^störsdour^ den friedfertigen Anschauungen und Wünschen Ausdruck geben läßt, die seine Politik beseelen. Von alledem ist es aber noch ziemlich weit bis zu einer Annäherung Rußlands an Frankreich, noch weiter zu einem Bündnis beider Mächte und sehr weit zu einem Angrisfsbttndnissc gegen Deutschland. Gewiß giebt es Politiker, namentlich Zeitungsschreiber von der panslawistischcn Sorte, die dergleichen verlangen und em¬ pfehlen, aber daneben gewahren wir auch zuweilen, daß der Verstand die wahre oder geheuchelte Leidenschaft überwältigt und sich in entgegengesetztem Sinne äußert. Vor einiger Zeit befürwortete „ein alter Diplomat" im Brüsseler Nora, dem bekannten Organ für russische Politik, eine Annäherung Rußlands an Frankreich, ^obei das gute Verhältnis Rußlands zu Deutschland gewahrt bleiben könne. Darauf bezeichnete der bekannte Tatischtschew in der ^ouvslls rsvus der Frau Adam dies als „diplomatisches Idyll" und meinte, schließlich werde es doch Zu einem russisch-französischen Bündnisse kommen, sobald sich in Frankreich, gleichviel, unter welcher Fahne, eine feste Regierung gebildet habe. Dazu be¬ merkte dann die „Nowvje Wremja," die wir bisher als in der Wolle pauslawistisch gefärbt erscheine» sahen, ohne Zweifel habe „der alte Diplomat" insofern Recht, Kls es auf Seiten Rußlands unverständig sein würde, wegen der Sympathie Frankreichs die langjährigen friedlichen Beziehungen zu Preußen zu zerreißen. °>e allerdings nicht immer Vorteil gebracht hätten, mit denen man aber doch Zehner müsse. Weiterhin sagte das Blatt: „Die Franzosen befinden sich in schwerem Irrtume, wenn sie meinen, unsre Freundschaft würde sie in den Stand setzen, ihre thörichte Sucht, in Europa zu Hetzen, wieder zu beginnen, eine Manie, ^e Deutschland viel geschadet, aber auch Rußland große Unannehmlichkeiten bereitet hat. Ein russisch-französisches Bündnis könnte nur Vertcidigungszwecke haben. Grenzboten IV. 1837. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/321>, abgerufen am 21.06.2024.