Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
politische Zustände und Aussichten in Frankreich.

nicht, daß ein Bündnis mit Frankreich deshalb für uns eine Unmöglichkeit ist,
Weil man dort nichts giebt, woran man glauben, worauf man sich verlassen
könnte, weil man sich einem Bundesgenossen zuwenden würde, der selber nicht
weiß, woran er glauben, worauf er sich verlasse" soll."

Solche Äußerungen der russischen Presse hören sich nicht übel an, wenn
sie auch nur wie zeitweilige und vorübergehende Ernüchterung aus chronischem
Taumel, Wahn und Vorurteil anzusehen sind, und wenn man durch sie auch mitunter
an die Trauben erinnert wird, welche sauer waren, weil man sie nicht erreichen
konnte. Sicher geht daraus hervor, daß die Katkoffsche Richtung der russischen
Privatpolitiker mit Frankreich als dem Lande der revolutionären Ideen grund¬
sätzlich nichts zu schaffen haben mag, und daß die liberalisirenden Parteien es
trotz allen Liebäugelns mit ihm bei einigem Nachdenken wenigstens für jetzt
nicht als geeigneten Bundesgenossen halten. Dunkle Gefühle treiben an, klare
Interessen machen bedenklich und halten zurück, und das giebt ein Schwanken,
das zu keinem Entschlüsse gelangt. Ein solches Schwanken herrscht augenblick¬
lich auch in den höchsten, maßgebenden Regionen, wenn es hier auch zum Teil
auf andern Ursachen beruht. Man ist hier verantwortlicher, man sieht, sobald
Man sehen will, von seiner Höhe weiter, man würde mehr wagen, wenn man
verdrießliche Gefühle über Erinnerungen und Erwägungen, die deren Gegenteil
empfehlen, die Oberhand gewinnen ließe, man ahnt vielleicht, daß ein Krieg die
Polnische Frage wieder erwecken und ein enges Zusammengehen mit Frankreich
die Macht der Ideen verstärken würde, die in Rußland den Absolutismus be¬
drohen, und deren Sieg bei einer Niederlage fast unausbleiblich erscheint. Frank¬
reichs Werbungen werden also vermutlich auch hier starken Bedenken, ja noch
stärkern begegnet sein, als bei den Leitartikelschreibern der vanslawistischen Presse,
und für jetzt geringe Aussicht auf Erfolg haben.

Ganz wie Wasser und Feuer stehen sich aber unsre beiden Nachbarn
doch nicht gegenüber, und es ist schon dagewesen, daß gemeinsame Gefühle
wenigstens für den Augenblick zu einer Annäherung führten, welche gesunder
Menschenverstand, der die Politik regieren soll, dem einen Teile widerraten
Mußte. Für einen solchen Fall, den wir fern wünschen, aber nicht für un¬
möglich halten können, ist das große Bündnis der drei mitteleuropäischen
Mächte berechnet; dieses nicht gemachte, sondern gewachsene, d. h. aus wirk¬
licher Gemeinschaft der Interessen und deren Erkenntnis durch die betreffenden
Staatsmänner hervorgegangene Verteidigungsbündnis Deutschlands, Österreich-
Ungarns und Italiens. Während der russische Absolutismus mit der in
Trankreich verkörperten Revolution unnatürlich verschmolzen nur den Krieg
sollen könnte, da niemand den einen oder den andern der hier vorausgesetzten
Verbündeten bedroht, ist die Tripelallianz eine lediglich zur Erhaltung des Be¬
stehenden, des Friedens und seiner Segnungen geschlossene Vereinigung, und
""r haben Ursache, zu glauben, daß sie ihrer Aufgabe gewachsen sein und ihre


politische Zustände und Aussichten in Frankreich.

nicht, daß ein Bündnis mit Frankreich deshalb für uns eine Unmöglichkeit ist,
Weil man dort nichts giebt, woran man glauben, worauf man sich verlassen
könnte, weil man sich einem Bundesgenossen zuwenden würde, der selber nicht
weiß, woran er glauben, worauf er sich verlasse» soll."

Solche Äußerungen der russischen Presse hören sich nicht übel an, wenn
sie auch nur wie zeitweilige und vorübergehende Ernüchterung aus chronischem
Taumel, Wahn und Vorurteil anzusehen sind, und wenn man durch sie auch mitunter
an die Trauben erinnert wird, welche sauer waren, weil man sie nicht erreichen
konnte. Sicher geht daraus hervor, daß die Katkoffsche Richtung der russischen
Privatpolitiker mit Frankreich als dem Lande der revolutionären Ideen grund¬
sätzlich nichts zu schaffen haben mag, und daß die liberalisirenden Parteien es
trotz allen Liebäugelns mit ihm bei einigem Nachdenken wenigstens für jetzt
nicht als geeigneten Bundesgenossen halten. Dunkle Gefühle treiben an, klare
Interessen machen bedenklich und halten zurück, und das giebt ein Schwanken,
das zu keinem Entschlüsse gelangt. Ein solches Schwanken herrscht augenblick¬
lich auch in den höchsten, maßgebenden Regionen, wenn es hier auch zum Teil
auf andern Ursachen beruht. Man ist hier verantwortlicher, man sieht, sobald
Man sehen will, von seiner Höhe weiter, man würde mehr wagen, wenn man
verdrießliche Gefühle über Erinnerungen und Erwägungen, die deren Gegenteil
empfehlen, die Oberhand gewinnen ließe, man ahnt vielleicht, daß ein Krieg die
Polnische Frage wieder erwecken und ein enges Zusammengehen mit Frankreich
die Macht der Ideen verstärken würde, die in Rußland den Absolutismus be¬
drohen, und deren Sieg bei einer Niederlage fast unausbleiblich erscheint. Frank¬
reichs Werbungen werden also vermutlich auch hier starken Bedenken, ja noch
stärkern begegnet sein, als bei den Leitartikelschreibern der vanslawistischen Presse,
und für jetzt geringe Aussicht auf Erfolg haben.

Ganz wie Wasser und Feuer stehen sich aber unsre beiden Nachbarn
doch nicht gegenüber, und es ist schon dagewesen, daß gemeinsame Gefühle
wenigstens für den Augenblick zu einer Annäherung führten, welche gesunder
Menschenverstand, der die Politik regieren soll, dem einen Teile widerraten
Mußte. Für einen solchen Fall, den wir fern wünschen, aber nicht für un¬
möglich halten können, ist das große Bündnis der drei mitteleuropäischen
Mächte berechnet; dieses nicht gemachte, sondern gewachsene, d. h. aus wirk¬
licher Gemeinschaft der Interessen und deren Erkenntnis durch die betreffenden
Staatsmänner hervorgegangene Verteidigungsbündnis Deutschlands, Österreich-
Ungarns und Italiens. Während der russische Absolutismus mit der in
Trankreich verkörperten Revolution unnatürlich verschmolzen nur den Krieg
sollen könnte, da niemand den einen oder den andern der hier vorausgesetzten
Verbündeten bedroht, ist die Tripelallianz eine lediglich zur Erhaltung des Be¬
stehenden, des Friedens und seiner Segnungen geschlossene Vereinigung, und
""r haben Ursache, zu glauben, daß sie ihrer Aufgabe gewachsen sein und ihre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201752"/>
          <fw type="header" place="top"> politische Zustände und Aussichten in Frankreich.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_743" prev="#ID_742"> nicht, daß ein Bündnis mit Frankreich deshalb für uns eine Unmöglichkeit ist,<lb/>
Weil man dort nichts giebt, woran man glauben, worauf man sich verlassen<lb/>
könnte, weil man sich einem Bundesgenossen zuwenden würde, der selber nicht<lb/>
weiß, woran er glauben, worauf er sich verlasse» soll."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_744"> Solche Äußerungen der russischen Presse hören sich nicht übel an, wenn<lb/>
sie auch nur wie zeitweilige und vorübergehende Ernüchterung aus chronischem<lb/>
Taumel, Wahn und Vorurteil anzusehen sind, und wenn man durch sie auch mitunter<lb/>
an die Trauben erinnert wird, welche sauer waren, weil man sie nicht erreichen<lb/>
konnte. Sicher geht daraus hervor, daß die Katkoffsche Richtung der russischen<lb/>
Privatpolitiker mit Frankreich als dem Lande der revolutionären Ideen grund¬<lb/>
sätzlich nichts zu schaffen haben mag, und daß die liberalisirenden Parteien es<lb/>
trotz allen Liebäugelns mit ihm bei einigem Nachdenken wenigstens für jetzt<lb/>
nicht als geeigneten Bundesgenossen halten. Dunkle Gefühle treiben an, klare<lb/>
Interessen machen bedenklich und halten zurück, und das giebt ein Schwanken,<lb/>
das zu keinem Entschlüsse gelangt. Ein solches Schwanken herrscht augenblick¬<lb/>
lich auch in den höchsten, maßgebenden Regionen, wenn es hier auch zum Teil<lb/>
auf andern Ursachen beruht. Man ist hier verantwortlicher, man sieht, sobald<lb/>
Man sehen will, von seiner Höhe weiter, man würde mehr wagen, wenn man<lb/>
verdrießliche Gefühle über Erinnerungen und Erwägungen, die deren Gegenteil<lb/>
empfehlen, die Oberhand gewinnen ließe, man ahnt vielleicht, daß ein Krieg die<lb/>
Polnische Frage wieder erwecken und ein enges Zusammengehen mit Frankreich<lb/>
die Macht der Ideen verstärken würde, die in Rußland den Absolutismus be¬<lb/>
drohen, und deren Sieg bei einer Niederlage fast unausbleiblich erscheint. Frank¬<lb/>
reichs Werbungen werden also vermutlich auch hier starken Bedenken, ja noch<lb/>
stärkern begegnet sein, als bei den Leitartikelschreibern der vanslawistischen Presse,<lb/>
und für jetzt geringe Aussicht auf Erfolg haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_745" next="#ID_746"> Ganz wie Wasser und Feuer stehen sich aber unsre beiden Nachbarn<lb/>
doch nicht gegenüber, und es ist schon dagewesen, daß gemeinsame Gefühle<lb/>
wenigstens für den Augenblick zu einer Annäherung führten, welche gesunder<lb/>
Menschenverstand, der die Politik regieren soll, dem einen Teile widerraten<lb/>
Mußte. Für einen solchen Fall, den wir fern wünschen, aber nicht für un¬<lb/>
möglich halten können, ist das große Bündnis der drei mitteleuropäischen<lb/>
Mächte berechnet; dieses nicht gemachte, sondern gewachsene, d. h. aus wirk¬<lb/>
licher Gemeinschaft der Interessen und deren Erkenntnis durch die betreffenden<lb/>
Staatsmänner hervorgegangene Verteidigungsbündnis Deutschlands, Österreich-<lb/>
Ungarns und Italiens. Während der russische Absolutismus mit der in<lb/>
Trankreich verkörperten Revolution unnatürlich verschmolzen nur den Krieg<lb/>
sollen könnte, da niemand den einen oder den andern der hier vorausgesetzten<lb/>
Verbündeten bedroht, ist die Tripelallianz eine lediglich zur Erhaltung des Be¬<lb/>
stehenden, des Friedens und seiner Segnungen geschlossene Vereinigung, und<lb/>
""r haben Ursache, zu glauben, daß sie ihrer Aufgabe gewachsen sein und ihre</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0323] politische Zustände und Aussichten in Frankreich. nicht, daß ein Bündnis mit Frankreich deshalb für uns eine Unmöglichkeit ist, Weil man dort nichts giebt, woran man glauben, worauf man sich verlassen könnte, weil man sich einem Bundesgenossen zuwenden würde, der selber nicht weiß, woran er glauben, worauf er sich verlasse» soll." Solche Äußerungen der russischen Presse hören sich nicht übel an, wenn sie auch nur wie zeitweilige und vorübergehende Ernüchterung aus chronischem Taumel, Wahn und Vorurteil anzusehen sind, und wenn man durch sie auch mitunter an die Trauben erinnert wird, welche sauer waren, weil man sie nicht erreichen konnte. Sicher geht daraus hervor, daß die Katkoffsche Richtung der russischen Privatpolitiker mit Frankreich als dem Lande der revolutionären Ideen grund¬ sätzlich nichts zu schaffen haben mag, und daß die liberalisirenden Parteien es trotz allen Liebäugelns mit ihm bei einigem Nachdenken wenigstens für jetzt nicht als geeigneten Bundesgenossen halten. Dunkle Gefühle treiben an, klare Interessen machen bedenklich und halten zurück, und das giebt ein Schwanken, das zu keinem Entschlüsse gelangt. Ein solches Schwanken herrscht augenblick¬ lich auch in den höchsten, maßgebenden Regionen, wenn es hier auch zum Teil auf andern Ursachen beruht. Man ist hier verantwortlicher, man sieht, sobald Man sehen will, von seiner Höhe weiter, man würde mehr wagen, wenn man verdrießliche Gefühle über Erinnerungen und Erwägungen, die deren Gegenteil empfehlen, die Oberhand gewinnen ließe, man ahnt vielleicht, daß ein Krieg die Polnische Frage wieder erwecken und ein enges Zusammengehen mit Frankreich die Macht der Ideen verstärken würde, die in Rußland den Absolutismus be¬ drohen, und deren Sieg bei einer Niederlage fast unausbleiblich erscheint. Frank¬ reichs Werbungen werden also vermutlich auch hier starken Bedenken, ja noch stärkern begegnet sein, als bei den Leitartikelschreibern der vanslawistischen Presse, und für jetzt geringe Aussicht auf Erfolg haben. Ganz wie Wasser und Feuer stehen sich aber unsre beiden Nachbarn doch nicht gegenüber, und es ist schon dagewesen, daß gemeinsame Gefühle wenigstens für den Augenblick zu einer Annäherung führten, welche gesunder Menschenverstand, der die Politik regieren soll, dem einen Teile widerraten Mußte. Für einen solchen Fall, den wir fern wünschen, aber nicht für un¬ möglich halten können, ist das große Bündnis der drei mitteleuropäischen Mächte berechnet; dieses nicht gemachte, sondern gewachsene, d. h. aus wirk¬ licher Gemeinschaft der Interessen und deren Erkenntnis durch die betreffenden Staatsmänner hervorgegangene Verteidigungsbündnis Deutschlands, Österreich- Ungarns und Italiens. Während der russische Absolutismus mit der in Trankreich verkörperten Revolution unnatürlich verschmolzen nur den Krieg sollen könnte, da niemand den einen oder den andern der hier vorausgesetzten Verbündeten bedroht, ist die Tripelallianz eine lediglich zur Erhaltung des Be¬ stehenden, des Friedens und seiner Segnungen geschlossene Vereinigung, und ""r haben Ursache, zu glauben, daß sie ihrer Aufgabe gewachsen sein und ihre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/323
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/323>, abgerufen am 01.07.2024.