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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Karl Friedrich Bahrdt.

seine lockern Sitten überall anstieß, und Soracte auch hier bald durch seine
renommiftisch zur Schau getragene Freigeisterei für den nötigen Lärm. Über
seinen unwürdigen Lebenswandel liefen rasch wieder üble Geschichten um; in
Frankfurt war er als Trinker bekannt, und bei den Worten: "Hab' so viel
Durst als wie Hanswurst," welche Goethe im "Jahrmarktsfest zu PlNttders-
weilern" dem Lichtputzer in den Mund legte, wiesen die dortigen Kreise M
Fingern auf den Gießener Professor*) hin, der am liebsten bei der Flasche
seinem Lebenszwecke oblag, die positive Religion zu zerstören. Nicht minder
beweist Goethes Anzeige von Bahrdts "Eden, das ist Betrachtungen über das
Paradies" in den Frankfurter gelehrten Anzeigen vom 19. Juni 1772,**) wie
man dort die sittliche Persönlichkeit des professionsmäßigen Aufklärers be¬
trachtete. Spöttisch heißt es im Eingänge, es gehöre die Bahrdtsche Schrift
"zu den neuern menschenfreundlichen Bemühungen der erleuchteten Reformatoren,
die auf einmal die Welt von dem Überreste des Sauerteigs säubern und unserm
Zeitalter die mathematische Linie zwischen nötigem und unnötigen Glauben bor¬
zeichnen wollen." Dann fährt Goethe fort: ,,Werte diese Herren so viele oder
so wenige Philosophie haben, sich das Mcnschenlehrcn zu erlauben, so sollte
thuen ihr Herz sagen, wie Viel Unzweideutiger Genius, unzweideutiger Wandel
und nicht gemeille Talente zum Beruf des neuen Propheten gehören." Wir
wissen auch, daß, als Goethe im August 1772 von Wetzlar aus die Gießener
Freunde besuchte, er Bahrdt nicht gesehen und nicht gesprochen hat, und daß
auch Hvpfuer Von dem zuchtlosen Theologen sich geflissentlich fernhielt.

Gerade diese Zurückhaltung Goethes ist umso vielsagender, als auch der
Gießener Professor zu den Mitarbeitern an den Frankfurter gelehrten Anzeigen
gehörte.***) Wenn er selbst später prahlte, er habe mit Hilfe seines Fawiilus
Heres die "Zeitnngsbude Deincts im ersten Jahre fast ganz allein furuirt," so
ist das allerdings für den glänzenden Jahrgang 1772 nicht richtig. Merck,
den er bisweilen in Darmstadt besuchte und dessen "Protektion ihn gegen Viele
Kabalen schützte," f) hatte ihn in einem Brie^se vom 18. Januar 1775 zu Bei¬
trägen aufgefordert, doch wurde er durch seine "anzügliche, beißende und
spöttische Schreibart" dem Blatte bald unbequem und zog ihm sogar durch eine
hämische Rezension über Goeze ernste Ungelegenheiten zu. Gleichwohl bekam
er im folgenden Jahre, als die übrigen Mitarbeiter sich mehr und mehr zurück¬
zogen, die "allgewaltige" Zeitung fast ganz in seine Hand und kann thatsächlich
als der eigentliche Leiter dieses Jahrganges betrachtet werden. Für das Blatt






Scherer, Aus Goethes Frühzeit (Straßburg. 1879), S. 34.
""y Frankfurter gelehrte Anzeigen vom Jahre 177S (Neudruck). Heilbronn 1883,
S. 319 ff.
Vergl. Schercrs Einleitung zu dem Neudruck der Franks, gel. Anz. S. XI.VIII ff.
u. 1.XXIV ff.
f) Lebensbeschreibung II, S. 183.
Karl Friedrich Bahrdt.

seine lockern Sitten überall anstieß, und Soracte auch hier bald durch seine
renommiftisch zur Schau getragene Freigeisterei für den nötigen Lärm. Über
seinen unwürdigen Lebenswandel liefen rasch wieder üble Geschichten um; in
Frankfurt war er als Trinker bekannt, und bei den Worten: „Hab' so viel
Durst als wie Hanswurst," welche Goethe im „Jahrmarktsfest zu PlNttders-
weilern" dem Lichtputzer in den Mund legte, wiesen die dortigen Kreise M
Fingern auf den Gießener Professor*) hin, der am liebsten bei der Flasche
seinem Lebenszwecke oblag, die positive Religion zu zerstören. Nicht minder
beweist Goethes Anzeige von Bahrdts „Eden, das ist Betrachtungen über das
Paradies" in den Frankfurter gelehrten Anzeigen vom 19. Juni 1772,**) wie
man dort die sittliche Persönlichkeit des professionsmäßigen Aufklärers be¬
trachtete. Spöttisch heißt es im Eingänge, es gehöre die Bahrdtsche Schrift
„zu den neuern menschenfreundlichen Bemühungen der erleuchteten Reformatoren,
die auf einmal die Welt von dem Überreste des Sauerteigs säubern und unserm
Zeitalter die mathematische Linie zwischen nötigem und unnötigen Glauben bor¬
zeichnen wollen." Dann fährt Goethe fort: ,,Werte diese Herren so viele oder
so wenige Philosophie haben, sich das Mcnschenlehrcn zu erlauben, so sollte
thuen ihr Herz sagen, wie Viel Unzweideutiger Genius, unzweideutiger Wandel
und nicht gemeille Talente zum Beruf des neuen Propheten gehören." Wir
wissen auch, daß, als Goethe im August 1772 von Wetzlar aus die Gießener
Freunde besuchte, er Bahrdt nicht gesehen und nicht gesprochen hat, und daß
auch Hvpfuer Von dem zuchtlosen Theologen sich geflissentlich fernhielt.

Gerade diese Zurückhaltung Goethes ist umso vielsagender, als auch der
Gießener Professor zu den Mitarbeitern an den Frankfurter gelehrten Anzeigen
gehörte.***) Wenn er selbst später prahlte, er habe mit Hilfe seines Fawiilus
Heres die „Zeitnngsbude Deincts im ersten Jahre fast ganz allein furuirt," so
ist das allerdings für den glänzenden Jahrgang 1772 nicht richtig. Merck,
den er bisweilen in Darmstadt besuchte und dessen „Protektion ihn gegen Viele
Kabalen schützte," f) hatte ihn in einem Brie^se vom 18. Januar 1775 zu Bei¬
trägen aufgefordert, doch wurde er durch seine „anzügliche, beißende und
spöttische Schreibart" dem Blatte bald unbequem und zog ihm sogar durch eine
hämische Rezension über Goeze ernste Ungelegenheiten zu. Gleichwohl bekam
er im folgenden Jahre, als die übrigen Mitarbeiter sich mehr und mehr zurück¬
zogen, die „allgewaltige" Zeitung fast ganz in seine Hand und kann thatsächlich
als der eigentliche Leiter dieses Jahrganges betrachtet werden. Für das Blatt






Scherer, Aus Goethes Frühzeit (Straßburg. 1879), S. 34.
""y Frankfurter gelehrte Anzeigen vom Jahre 177S (Neudruck). Heilbronn 1883,
S. 319 ff.
Vergl. Schercrs Einleitung zu dem Neudruck der Franks, gel. Anz. S. XI.VIII ff.
u. 1.XXIV ff.
f) Lebensbeschreibung II, S. 183.
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[0028] Karl Friedrich Bahrdt. seine lockern Sitten überall anstieß, und Soracte auch hier bald durch seine renommiftisch zur Schau getragene Freigeisterei für den nötigen Lärm. Über seinen unwürdigen Lebenswandel liefen rasch wieder üble Geschichten um; in Frankfurt war er als Trinker bekannt, und bei den Worten: „Hab' so viel Durst als wie Hanswurst," welche Goethe im „Jahrmarktsfest zu PlNttders- weilern" dem Lichtputzer in den Mund legte, wiesen die dortigen Kreise M Fingern auf den Gießener Professor*) hin, der am liebsten bei der Flasche seinem Lebenszwecke oblag, die positive Religion zu zerstören. Nicht minder beweist Goethes Anzeige von Bahrdts „Eden, das ist Betrachtungen über das Paradies" in den Frankfurter gelehrten Anzeigen vom 19. Juni 1772,**) wie man dort die sittliche Persönlichkeit des professionsmäßigen Aufklärers be¬ trachtete. Spöttisch heißt es im Eingänge, es gehöre die Bahrdtsche Schrift „zu den neuern menschenfreundlichen Bemühungen der erleuchteten Reformatoren, die auf einmal die Welt von dem Überreste des Sauerteigs säubern und unserm Zeitalter die mathematische Linie zwischen nötigem und unnötigen Glauben bor¬ zeichnen wollen." Dann fährt Goethe fort: ,,Werte diese Herren so viele oder so wenige Philosophie haben, sich das Mcnschenlehrcn zu erlauben, so sollte thuen ihr Herz sagen, wie Viel Unzweideutiger Genius, unzweideutiger Wandel und nicht gemeille Talente zum Beruf des neuen Propheten gehören." Wir wissen auch, daß, als Goethe im August 1772 von Wetzlar aus die Gießener Freunde besuchte, er Bahrdt nicht gesehen und nicht gesprochen hat, und daß auch Hvpfuer Von dem zuchtlosen Theologen sich geflissentlich fernhielt. Gerade diese Zurückhaltung Goethes ist umso vielsagender, als auch der Gießener Professor zu den Mitarbeitern an den Frankfurter gelehrten Anzeigen gehörte.***) Wenn er selbst später prahlte, er habe mit Hilfe seines Fawiilus Heres die „Zeitnngsbude Deincts im ersten Jahre fast ganz allein furuirt," so ist das allerdings für den glänzenden Jahrgang 1772 nicht richtig. Merck, den er bisweilen in Darmstadt besuchte und dessen „Protektion ihn gegen Viele Kabalen schützte," f) hatte ihn in einem Brie^se vom 18. Januar 1775 zu Bei¬ trägen aufgefordert, doch wurde er durch seine „anzügliche, beißende und spöttische Schreibart" dem Blatte bald unbequem und zog ihm sogar durch eine hämische Rezension über Goeze ernste Ungelegenheiten zu. Gleichwohl bekam er im folgenden Jahre, als die übrigen Mitarbeiter sich mehr und mehr zurück¬ zogen, die „allgewaltige" Zeitung fast ganz in seine Hand und kann thatsächlich als der eigentliche Leiter dieses Jahrganges betrachtet werden. Für das Blatt Scherer, Aus Goethes Frühzeit (Straßburg. 1879), S. 34. ""y Frankfurter gelehrte Anzeigen vom Jahre 177S (Neudruck). Heilbronn 1883, S. 319 ff. Vergl. Schercrs Einleitung zu dem Neudruck der Franks, gel. Anz. S. XI.VIII ff. u. 1.XXIV ff. f) Lebensbeschreibung II, S. 183.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/28>, abgerufen am 30.06.2024.