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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Karl Friedrich Bahrdt.

der seine theologischen Überzeugungen wechselte wie einen Handschuh, der sich
gern als Märtyrer der Aufklärung ausschrie, und dabei dem schmerzlichen
Ringen der theologischen Wissenschaft kühlen Herzens gegenüberstand. Sein
Kollege Bechtold, so erzählt er,*) habe ihm zu verstehen gegeben, das; seine Or¬
thodoxie unter der Gemeinde verdächtig sei. "Dies bewog mich, dieser Predigt
einen Anstrich zu geben, der diesen Verdacht vernichten konnte. Und man weiß
ja wohl, was zu diesem Anstriche gehört. Man darf ja nur g, ig. Lavater den
Namen Jesu recht oft ertönen lassen, so ist der große Haufe schon überzeugt,
daß man echtes Christentum lehre." Gedacht, gethan; er machte eine "recht
christliche, d. h. christusvolle Predigt, welche laute und untadelhafte Bekenntnisse
der Hauptlehre des Luthertums enthielt, und übrigens durch Inhalt und Aus¬
druck so rührend war, daß sie unwiderstehlich von Herzen zu Herzen gehen
mußte." Und nun berichtet er wie ein Schauspieler über den Erfolg dieser
Antrittsrolle auf der Kanzel zu Se. Pankratius: "Da ich mein Gebet in lang¬
samem und feierlichem Tone begann und hohe Andacht aus meinen Augen
strahlte und in meiner bebenden Stimme hörbar ward, siehe, da entstund eine
Stille unter dieser gepreßten Menge, und eine Aufmerksamkeit und Unbeweg¬
liche, als wenn alles versteinert wäre. Kein Fuß rührte sich. Kein Mensch
räusperte sich. Kein Auge verwandte sich. Manchen entfiel sogar eine Thräne."
Und er fügt diesem merkwürdigen Berichte den Seufzer hinzu: "O möchten
doch junge Kandidaten, die dieses lesen, dieses merkwürdige Beispiel zu Herzen
nehmen und hier lernen, was für Wunder die äußerliche Beredsamkeit thut."
Schlosser, der seinen Mann kannte, hat später (1776) die äußerliche Beredsam¬
keit Bahrdts in seinem dritten Schreiben über die Philanthropine**) drastisch
genug chcirakterisirt: "Wenn Bahrdt aufsteht und Stillschweigen gebietet und
die Hände emporhebt und ein laues Gebet hersagt, so ist zehn gegen eins zu
wetten, der Junge antwortet ihm auf seine Frage, was habe ich gemacht: Du
hast eine Komödie gespielt."

Das kleine Landstädtchen Gießen war damals ein armseliges Nest, eine
Festung, "eng genug, um zudrücken, nicht fest genug, um zu schützen."***) Die
Universität galt als die rüdeste Deutschlands und recht eigentlich als die Hoch¬
schule des Saufens und Raufens. Was der Magister Laukhardt über das
dortige Studentenleben zu berichten weiß, klingt zum Teil ganz unglaublich.
Der junge Goethe warnte von Leipzig aus seine Gießener Freunde vor den
dortigen "akademischen Sitten," und der achtungswerte Höpfner seufzte in einem
Briefe an Boie über den Ort, wo "kaum zwei Leute von Geschmack zu finden
seien." Bahrdt benahm sich auch hier wie ein formloser Kraftmensch, der durch





*) Lebensbeschreibung II, S. 146 ff.
**) Kleine Schriften I, S. 43 ff.
***) Herbst, Goethe in Wetzlar (Gotha 1881), S, 130, und Rieger, Minger in der Sturm¬
und Drangperiode (Darmstadt, 1330), S. 28.
Karl Friedrich Bahrdt.

der seine theologischen Überzeugungen wechselte wie einen Handschuh, der sich
gern als Märtyrer der Aufklärung ausschrie, und dabei dem schmerzlichen
Ringen der theologischen Wissenschaft kühlen Herzens gegenüberstand. Sein
Kollege Bechtold, so erzählt er,*) habe ihm zu verstehen gegeben, das; seine Or¬
thodoxie unter der Gemeinde verdächtig sei. „Dies bewog mich, dieser Predigt
einen Anstrich zu geben, der diesen Verdacht vernichten konnte. Und man weiß
ja wohl, was zu diesem Anstriche gehört. Man darf ja nur g, ig. Lavater den
Namen Jesu recht oft ertönen lassen, so ist der große Haufe schon überzeugt,
daß man echtes Christentum lehre." Gedacht, gethan; er machte eine „recht
christliche, d. h. christusvolle Predigt, welche laute und untadelhafte Bekenntnisse
der Hauptlehre des Luthertums enthielt, und übrigens durch Inhalt und Aus¬
druck so rührend war, daß sie unwiderstehlich von Herzen zu Herzen gehen
mußte." Und nun berichtet er wie ein Schauspieler über den Erfolg dieser
Antrittsrolle auf der Kanzel zu Se. Pankratius: „Da ich mein Gebet in lang¬
samem und feierlichem Tone begann und hohe Andacht aus meinen Augen
strahlte und in meiner bebenden Stimme hörbar ward, siehe, da entstund eine
Stille unter dieser gepreßten Menge, und eine Aufmerksamkeit und Unbeweg¬
liche, als wenn alles versteinert wäre. Kein Fuß rührte sich. Kein Mensch
räusperte sich. Kein Auge verwandte sich. Manchen entfiel sogar eine Thräne."
Und er fügt diesem merkwürdigen Berichte den Seufzer hinzu: „O möchten
doch junge Kandidaten, die dieses lesen, dieses merkwürdige Beispiel zu Herzen
nehmen und hier lernen, was für Wunder die äußerliche Beredsamkeit thut."
Schlosser, der seinen Mann kannte, hat später (1776) die äußerliche Beredsam¬
keit Bahrdts in seinem dritten Schreiben über die Philanthropine**) drastisch
genug chcirakterisirt: „Wenn Bahrdt aufsteht und Stillschweigen gebietet und
die Hände emporhebt und ein laues Gebet hersagt, so ist zehn gegen eins zu
wetten, der Junge antwortet ihm auf seine Frage, was habe ich gemacht: Du
hast eine Komödie gespielt."

Das kleine Landstädtchen Gießen war damals ein armseliges Nest, eine
Festung, „eng genug, um zudrücken, nicht fest genug, um zu schützen."***) Die
Universität galt als die rüdeste Deutschlands und recht eigentlich als die Hoch¬
schule des Saufens und Raufens. Was der Magister Laukhardt über das
dortige Studentenleben zu berichten weiß, klingt zum Teil ganz unglaublich.
Der junge Goethe warnte von Leipzig aus seine Gießener Freunde vor den
dortigen „akademischen Sitten," und der achtungswerte Höpfner seufzte in einem
Briefe an Boie über den Ort, wo „kaum zwei Leute von Geschmack zu finden
seien." Bahrdt benahm sich auch hier wie ein formloser Kraftmensch, der durch





*) Lebensbeschreibung II, S. 146 ff.
**) Kleine Schriften I, S. 43 ff.
***) Herbst, Goethe in Wetzlar (Gotha 1881), S, 130, und Rieger, Minger in der Sturm¬
und Drangperiode (Darmstadt, 1330), S. 28.
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[0027] Karl Friedrich Bahrdt. der seine theologischen Überzeugungen wechselte wie einen Handschuh, der sich gern als Märtyrer der Aufklärung ausschrie, und dabei dem schmerzlichen Ringen der theologischen Wissenschaft kühlen Herzens gegenüberstand. Sein Kollege Bechtold, so erzählt er,*) habe ihm zu verstehen gegeben, das; seine Or¬ thodoxie unter der Gemeinde verdächtig sei. „Dies bewog mich, dieser Predigt einen Anstrich zu geben, der diesen Verdacht vernichten konnte. Und man weiß ja wohl, was zu diesem Anstriche gehört. Man darf ja nur g, ig. Lavater den Namen Jesu recht oft ertönen lassen, so ist der große Haufe schon überzeugt, daß man echtes Christentum lehre." Gedacht, gethan; er machte eine „recht christliche, d. h. christusvolle Predigt, welche laute und untadelhafte Bekenntnisse der Hauptlehre des Luthertums enthielt, und übrigens durch Inhalt und Aus¬ druck so rührend war, daß sie unwiderstehlich von Herzen zu Herzen gehen mußte." Und nun berichtet er wie ein Schauspieler über den Erfolg dieser Antrittsrolle auf der Kanzel zu Se. Pankratius: „Da ich mein Gebet in lang¬ samem und feierlichem Tone begann und hohe Andacht aus meinen Augen strahlte und in meiner bebenden Stimme hörbar ward, siehe, da entstund eine Stille unter dieser gepreßten Menge, und eine Aufmerksamkeit und Unbeweg¬ liche, als wenn alles versteinert wäre. Kein Fuß rührte sich. Kein Mensch räusperte sich. Kein Auge verwandte sich. Manchen entfiel sogar eine Thräne." Und er fügt diesem merkwürdigen Berichte den Seufzer hinzu: „O möchten doch junge Kandidaten, die dieses lesen, dieses merkwürdige Beispiel zu Herzen nehmen und hier lernen, was für Wunder die äußerliche Beredsamkeit thut." Schlosser, der seinen Mann kannte, hat später (1776) die äußerliche Beredsam¬ keit Bahrdts in seinem dritten Schreiben über die Philanthropine**) drastisch genug chcirakterisirt: „Wenn Bahrdt aufsteht und Stillschweigen gebietet und die Hände emporhebt und ein laues Gebet hersagt, so ist zehn gegen eins zu wetten, der Junge antwortet ihm auf seine Frage, was habe ich gemacht: Du hast eine Komödie gespielt." Das kleine Landstädtchen Gießen war damals ein armseliges Nest, eine Festung, „eng genug, um zudrücken, nicht fest genug, um zu schützen."***) Die Universität galt als die rüdeste Deutschlands und recht eigentlich als die Hoch¬ schule des Saufens und Raufens. Was der Magister Laukhardt über das dortige Studentenleben zu berichten weiß, klingt zum Teil ganz unglaublich. Der junge Goethe warnte von Leipzig aus seine Gießener Freunde vor den dortigen „akademischen Sitten," und der achtungswerte Höpfner seufzte in einem Briefe an Boie über den Ort, wo „kaum zwei Leute von Geschmack zu finden seien." Bahrdt benahm sich auch hier wie ein formloser Kraftmensch, der durch *) Lebensbeschreibung II, S. 146 ff. **) Kleine Schriften I, S. 43 ff. ***) Herbst, Goethe in Wetzlar (Gotha 1881), S, 130, und Rieger, Minger in der Sturm¬ und Drangperiode (Darmstadt, 1330), S. 28.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/27>, abgerufen am 02.07.2024.