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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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ihn kommen in Büchern, Begriffen u. dergl., mit dem Eigenleben aus sich aus¬
füllen muß, wenn sie nicht tote Hülsen bleiben sollen.

Wie scharf unterschieden solch vermitteltes Leben und unmittelbares gegen
einander treten können, das weiß jeder aus Erfahrung. Eine längere Reise
giebt uns das Gefühl des vollen großen Lebens wieder, das da von Land und
Leute uach Gegenwart und Vorzeit an uns kommt, in uus einströmt. Da
merkt man wieder, was Leben ist und sein kann. Man merkt es aber erst recht,
wenn man in den Kreis seiner Alltagsthätigkeit zurück kommt. Dort wurde es
in sich weit und frei und reich nud kommt noch so in den. kleinen Kreis der
Alltagsarbeit, daß man z. B. da mit Schwierigkeiten, die uns sonst groß er¬
scheinen, leicht fertig wird, weil das Leben so leicht darüber hin kreist in freier
Höhe, sie als kleine sieht und kurzer Hand richtig anzufassen weiß. Hier aber,
im Arbeitszimmer, wird unser Leben bald unausweichlich wieder enger, kleiner,
unfreier in seiner Bewegung, und so sehr man auch wohl im Geiste mit Großem
zu thun hat, schrumpft das doch im kleinen Stubenleben selbst mit ein und
das nahe Kleine macht sich uus groß. Ich erinnere mich, daß sich in jungen
Jahren die Empfindung des Unterschieds bis zur Pein steigern konnte, mit dem
Gefühl: das ist ja gar kein Leben hier! Und ein junger Freund, der den
letzten großen und kurzen Krieg mitzumachen hatte, auch an blutigen Schlachten
beteiligt als Offizier, bekannte mir gleich nach seiner Rückkehr, es litte ihn
daheim kaum auf dem Stuhle, auch vor seinen Lieblingsbüchem, in denen er
doch mit Dingen groß genug zu thun hatte. Ja das Kriegsleben, wenn man
das Leben nur nach der Größe seiner Bewegung mißt, bleibt eben das größte
Leben, obschon es zugleich so blind und furchtbar mit dein Leben wirtschaftet.
Ein einziger Kanonenschuß in der Nähe gehört (ich setze einen voraus, der
das gern hört, wie ich) bringt uns in größere Bewegung, giebt uns mehr
eigentliches Leben (ich meine nicht bloß physisches), als der Bericht von einer
Schlacht aus alter Zeit, über dem man studirt. Mir fällt dabei eine eigen¬
tümliche Erfahrung aus dem Jahre 1848 ein. Von Parteikämpfen mit Wort
und Schwert, von politischen Stürmen hatte man ja schon genug gehört und
daran erregten Anteil genommen, aber nur aus der Fremde und Ferne, aus
dem alten Rom, England, Italien u. s. w. Jetzt in den nahen Gährungen und
Stürmen, die einen noch ganz anders erregten und belehrten, merkte ich einmal,
daß mir nun, wenn ich an die Zeiten von Sulla und Caesar dachte, die Leute
^on damals auf einmal erst wie volle lebende Menschen erschienen, bisher waren
sie mir unbewußt mehr wie Puppen im Puppentheater gewesen, lind Andern
^var es ebenso gegangen, wie ich mehr als einmal erfahren konnte. So sehr
'se eignes nahes Leben nötig, um fremdes, fernes zu verstehen, d. h. als volles
Leben zu erfassen. Leben ist nur durch Leben zu verstehen.

Aber das Stuben- und Bncherleben, das wir nun einmal nicht aufgeben
können, aus dem sogar das neue Leben quellen soll, wie es das in der That


Grenzboten IV. 1887. 34

ihn kommen in Büchern, Begriffen u. dergl., mit dem Eigenleben aus sich aus¬
füllen muß, wenn sie nicht tote Hülsen bleiben sollen.

Wie scharf unterschieden solch vermitteltes Leben und unmittelbares gegen
einander treten können, das weiß jeder aus Erfahrung. Eine längere Reise
giebt uns das Gefühl des vollen großen Lebens wieder, das da von Land und
Leute uach Gegenwart und Vorzeit an uns kommt, in uus einströmt. Da
merkt man wieder, was Leben ist und sein kann. Man merkt es aber erst recht,
wenn man in den Kreis seiner Alltagsthätigkeit zurück kommt. Dort wurde es
in sich weit und frei und reich nud kommt noch so in den. kleinen Kreis der
Alltagsarbeit, daß man z. B. da mit Schwierigkeiten, die uns sonst groß er¬
scheinen, leicht fertig wird, weil das Leben so leicht darüber hin kreist in freier
Höhe, sie als kleine sieht und kurzer Hand richtig anzufassen weiß. Hier aber,
im Arbeitszimmer, wird unser Leben bald unausweichlich wieder enger, kleiner,
unfreier in seiner Bewegung, und so sehr man auch wohl im Geiste mit Großem
zu thun hat, schrumpft das doch im kleinen Stubenleben selbst mit ein und
das nahe Kleine macht sich uus groß. Ich erinnere mich, daß sich in jungen
Jahren die Empfindung des Unterschieds bis zur Pein steigern konnte, mit dem
Gefühl: das ist ja gar kein Leben hier! Und ein junger Freund, der den
letzten großen und kurzen Krieg mitzumachen hatte, auch an blutigen Schlachten
beteiligt als Offizier, bekannte mir gleich nach seiner Rückkehr, es litte ihn
daheim kaum auf dem Stuhle, auch vor seinen Lieblingsbüchem, in denen er
doch mit Dingen groß genug zu thun hatte. Ja das Kriegsleben, wenn man
das Leben nur nach der Größe seiner Bewegung mißt, bleibt eben das größte
Leben, obschon es zugleich so blind und furchtbar mit dein Leben wirtschaftet.
Ein einziger Kanonenschuß in der Nähe gehört (ich setze einen voraus, der
das gern hört, wie ich) bringt uns in größere Bewegung, giebt uns mehr
eigentliches Leben (ich meine nicht bloß physisches), als der Bericht von einer
Schlacht aus alter Zeit, über dem man studirt. Mir fällt dabei eine eigen¬
tümliche Erfahrung aus dem Jahre 1848 ein. Von Parteikämpfen mit Wort
und Schwert, von politischen Stürmen hatte man ja schon genug gehört und
daran erregten Anteil genommen, aber nur aus der Fremde und Ferne, aus
dem alten Rom, England, Italien u. s. w. Jetzt in den nahen Gährungen und
Stürmen, die einen noch ganz anders erregten und belehrten, merkte ich einmal,
daß mir nun, wenn ich an die Zeiten von Sulla und Caesar dachte, die Leute
^on damals auf einmal erst wie volle lebende Menschen erschienen, bisher waren
sie mir unbewußt mehr wie Puppen im Puppentheater gewesen, lind Andern
^var es ebenso gegangen, wie ich mehr als einmal erfahren konnte. So sehr
'se eignes nahes Leben nötig, um fremdes, fernes zu verstehen, d. h. als volles
Leben zu erfassen. Leben ist nur durch Leben zu verstehen.

Aber das Stuben- und Bncherleben, das wir nun einmal nicht aufgeben
können, aus dem sogar das neue Leben quellen soll, wie es das in der That


Grenzboten IV. 1887. 34
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[0273] ihn kommen in Büchern, Begriffen u. dergl., mit dem Eigenleben aus sich aus¬ füllen muß, wenn sie nicht tote Hülsen bleiben sollen. Wie scharf unterschieden solch vermitteltes Leben und unmittelbares gegen einander treten können, das weiß jeder aus Erfahrung. Eine längere Reise giebt uns das Gefühl des vollen großen Lebens wieder, das da von Land und Leute uach Gegenwart und Vorzeit an uns kommt, in uus einströmt. Da merkt man wieder, was Leben ist und sein kann. Man merkt es aber erst recht, wenn man in den Kreis seiner Alltagsthätigkeit zurück kommt. Dort wurde es in sich weit und frei und reich nud kommt noch so in den. kleinen Kreis der Alltagsarbeit, daß man z. B. da mit Schwierigkeiten, die uns sonst groß er¬ scheinen, leicht fertig wird, weil das Leben so leicht darüber hin kreist in freier Höhe, sie als kleine sieht und kurzer Hand richtig anzufassen weiß. Hier aber, im Arbeitszimmer, wird unser Leben bald unausweichlich wieder enger, kleiner, unfreier in seiner Bewegung, und so sehr man auch wohl im Geiste mit Großem zu thun hat, schrumpft das doch im kleinen Stubenleben selbst mit ein und das nahe Kleine macht sich uus groß. Ich erinnere mich, daß sich in jungen Jahren die Empfindung des Unterschieds bis zur Pein steigern konnte, mit dem Gefühl: das ist ja gar kein Leben hier! Und ein junger Freund, der den letzten großen und kurzen Krieg mitzumachen hatte, auch an blutigen Schlachten beteiligt als Offizier, bekannte mir gleich nach seiner Rückkehr, es litte ihn daheim kaum auf dem Stuhle, auch vor seinen Lieblingsbüchem, in denen er doch mit Dingen groß genug zu thun hatte. Ja das Kriegsleben, wenn man das Leben nur nach der Größe seiner Bewegung mißt, bleibt eben das größte Leben, obschon es zugleich so blind und furchtbar mit dein Leben wirtschaftet. Ein einziger Kanonenschuß in der Nähe gehört (ich setze einen voraus, der das gern hört, wie ich) bringt uns in größere Bewegung, giebt uns mehr eigentliches Leben (ich meine nicht bloß physisches), als der Bericht von einer Schlacht aus alter Zeit, über dem man studirt. Mir fällt dabei eine eigen¬ tümliche Erfahrung aus dem Jahre 1848 ein. Von Parteikämpfen mit Wort und Schwert, von politischen Stürmen hatte man ja schon genug gehört und daran erregten Anteil genommen, aber nur aus der Fremde und Ferne, aus dem alten Rom, England, Italien u. s. w. Jetzt in den nahen Gährungen und Stürmen, die einen noch ganz anders erregten und belehrten, merkte ich einmal, daß mir nun, wenn ich an die Zeiten von Sulla und Caesar dachte, die Leute ^on damals auf einmal erst wie volle lebende Menschen erschienen, bisher waren sie mir unbewußt mehr wie Puppen im Puppentheater gewesen, lind Andern ^var es ebenso gegangen, wie ich mehr als einmal erfahren konnte. So sehr 'se eignes nahes Leben nötig, um fremdes, fernes zu verstehen, d. h. als volles Leben zu erfassen. Leben ist nur durch Leben zu verstehen. Aber das Stuben- und Bncherleben, das wir nun einmal nicht aufgeben können, aus dem sogar das neue Leben quellen soll, wie es das in der That Grenzboten IV. 1887. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/273>, abgerufen am 22.07.2024.