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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Karl Friedrich Bahrdt.

fertig und in der Form würdelos, wie er denn selbst später zugab, daß vor
allem sein "dreister Ton" die Theologen enipört habe. Das, was er an Kritik
vortrug, war ja in der That noch höchst zahm und bescheiden; noch fiel es ihm
nicht ein, an der Echtheit der göttlichen Offenbarung zu rütteln, nur an den
Außenwerken begann er abzubröckeln, einzelne Dogmen abzuschwächen und um¬
zudeuten. Vielmehr war das, was den Kampf hervorrufen mußte, in erster
Linie das Wie dieser Vorlesungen, der gänzliche Mangel an Ernst und
Würde, der dreiste, bramarbasirende Ton und der leichtfertige Spott, mit
dem sie ehrwürdige Dinge behandelten war die ganze Persönlichkeit des Pro¬
fessors, der alle seine Würde von sich geworfen hatte und sich nicht einmal die
Mühe nahm, sie, ehe er vor seine Studenten trat, wieder aufzuheben. Es ist
gewiß eine tragische, unzählige male dagewesene und unzählige male wieder¬
kehrende Erscheinung, daß jemand durch Druck und durch Zerren, durch Hetzen
und Erdstellen zu rückhaltloser Bekenntnisablegung gezwungen wird, während
er selbst sich hätte dabei beruhigen können, die Wahrheit in der Form der
dogmatischen Hülle zu reichen und die Wahrheit ohne Hülle cholerisch für sich
zu behalten, und es ist schon mehr als einer durch solches Zerren und Pressen
von außen weiter nach links gedrängt worden, als er selbst wollte. Von
Bahrdt aber war es eitel Flunkerei, wenn er sich später in seiner Selbstbio¬
graphie (II, S. S3ff.) zu dem "schnöden" Geständnis fortreißen ließ: er glaube,
daß er lebenslang der Orthodoxie treu geblieben sein würde, wenn er nicht so
viel Feindseligkeit von den Theologen zu erleiden gehabt hätte. "Aber -- fährt er
fort -- die Vorsehung wollte einmal einen Bestürmer derjenigen Theologie aus
mir machen, welche die europäische Menschheit durch so viel Jahrhunderte hin¬
durch verhunzt hat. Ich mußte unaufhörlich von Ketzermachern gereizt, von
Ort zu Ort verfolgt werden, bis mir die Augen ganz aufgingen, und die Zer¬
störung der Quelle aller Verfolgungssucht -- ich meine die positive Religion --
der bleibende Zweck meines Lebens wurde." Daß schließlich die Erfurter Theo¬
logen nicht eben glimpflich mit ihm umgingen, ist bekannt, und es war nichts
weniger als klug, wie sie einem solchen Gegner gegenüber verfuhren, aber stellte
Bahrdt sich später als den Verfolgten und Angegriffenen dar, so war das eine
dreiste Fälschung der Thatsachen, durch die er zudem seine theologische wie
religiöse Stellung in eigentümlicher Weise beleuchtete.

So war seine Erfurter Stellung auf die Dauer unhaltbar, und er be¬
grüßte einen im Jahre 1771 an ihn ergangenen Ruf nach Gießen als vierter
Professor der Theologie und Prediger an Se. Pankratius wie eine Erlösung.
Und da der Ruf seiner Freigeisterei ihm vorausgeeilt war und ihm dort von
vornherein eine Wirksamkeit unmöglich zu machen schien, so beschloß er, den
guten Gießenern zunächst einmal orthodox zu kommen und sie durch eine Ko¬
mödie zu überrumpeln. Auch dieses Geschichtchen, das er selbst später mit Be¬
hagen zum Besten gab, enthüllt uns die ganze Charakterlosigkeit des Mannes,


Karl Friedrich Bahrdt.

fertig und in der Form würdelos, wie er denn selbst später zugab, daß vor
allem sein „dreister Ton" die Theologen enipört habe. Das, was er an Kritik
vortrug, war ja in der That noch höchst zahm und bescheiden; noch fiel es ihm
nicht ein, an der Echtheit der göttlichen Offenbarung zu rütteln, nur an den
Außenwerken begann er abzubröckeln, einzelne Dogmen abzuschwächen und um¬
zudeuten. Vielmehr war das, was den Kampf hervorrufen mußte, in erster
Linie das Wie dieser Vorlesungen, der gänzliche Mangel an Ernst und
Würde, der dreiste, bramarbasirende Ton und der leichtfertige Spott, mit
dem sie ehrwürdige Dinge behandelten war die ganze Persönlichkeit des Pro¬
fessors, der alle seine Würde von sich geworfen hatte und sich nicht einmal die
Mühe nahm, sie, ehe er vor seine Studenten trat, wieder aufzuheben. Es ist
gewiß eine tragische, unzählige male dagewesene und unzählige male wieder¬
kehrende Erscheinung, daß jemand durch Druck und durch Zerren, durch Hetzen
und Erdstellen zu rückhaltloser Bekenntnisablegung gezwungen wird, während
er selbst sich hätte dabei beruhigen können, die Wahrheit in der Form der
dogmatischen Hülle zu reichen und die Wahrheit ohne Hülle cholerisch für sich
zu behalten, und es ist schon mehr als einer durch solches Zerren und Pressen
von außen weiter nach links gedrängt worden, als er selbst wollte. Von
Bahrdt aber war es eitel Flunkerei, wenn er sich später in seiner Selbstbio¬
graphie (II, S. S3ff.) zu dem „schnöden" Geständnis fortreißen ließ: er glaube,
daß er lebenslang der Orthodoxie treu geblieben sein würde, wenn er nicht so
viel Feindseligkeit von den Theologen zu erleiden gehabt hätte. „Aber — fährt er
fort — die Vorsehung wollte einmal einen Bestürmer derjenigen Theologie aus
mir machen, welche die europäische Menschheit durch so viel Jahrhunderte hin¬
durch verhunzt hat. Ich mußte unaufhörlich von Ketzermachern gereizt, von
Ort zu Ort verfolgt werden, bis mir die Augen ganz aufgingen, und die Zer¬
störung der Quelle aller Verfolgungssucht — ich meine die positive Religion —
der bleibende Zweck meines Lebens wurde." Daß schließlich die Erfurter Theo¬
logen nicht eben glimpflich mit ihm umgingen, ist bekannt, und es war nichts
weniger als klug, wie sie einem solchen Gegner gegenüber verfuhren, aber stellte
Bahrdt sich später als den Verfolgten und Angegriffenen dar, so war das eine
dreiste Fälschung der Thatsachen, durch die er zudem seine theologische wie
religiöse Stellung in eigentümlicher Weise beleuchtete.

So war seine Erfurter Stellung auf die Dauer unhaltbar, und er be¬
grüßte einen im Jahre 1771 an ihn ergangenen Ruf nach Gießen als vierter
Professor der Theologie und Prediger an Se. Pankratius wie eine Erlösung.
Und da der Ruf seiner Freigeisterei ihm vorausgeeilt war und ihm dort von
vornherein eine Wirksamkeit unmöglich zu machen schien, so beschloß er, den
guten Gießenern zunächst einmal orthodox zu kommen und sie durch eine Ko¬
mödie zu überrumpeln. Auch dieses Geschichtchen, das er selbst später mit Be¬
hagen zum Besten gab, enthüllt uns die ganze Charakterlosigkeit des Mannes,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/26>, abgerufen am 04.07.2024.