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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Karl Friedrich Bahrdt.

de^t jungen Dichtern dieser Genieperiode immer wieder ein idealer Grundzug zum
Durchbruch, sind sie in ihrem dunkeln Drange sich schließlich doch des rechten
Weges bewußt und wissen sie aus allen Wirren und Irrungen wenigstens reichen
poetischen Gewinn zu ziehen, so ist bei dem Theologen alles ins Kleine und
Gemeine verzerrt, alles ungesittet, rüde, geiht- und gemütlos.

In seinem ganzen Leben ist nie und nirgends von Herzenskämpfen die Rede,
da ist nichts von echter Leidenschaft, nichts von Langen und Bangen zu spüren;
alles ist roheste Sinnlichkeit auf der .einen und kühle Berechnung auf der andern
Seite. Für den Menschen Bahrdt ist nichts charakteristischer als die Vorgeschichte
seiner Ehe und dann die Geschichte dieser Ehe selbst, die uns in die in weiten
Kreisen jener Tage herrschende sittliche Stumpfheit einen geradezu erschreckenden
Einblick gewähren. Der junge Doktor der Theologie -- Bahrdt hatte sich,
um theologische Vorlesungen halten zu können, diese Würde in Erlangen ge¬
kauft -- fühlte sich in den knappen Verhältnissen bedrückt und beengt, seine
Einnahmen reichten für seine Bedürfnisse bei weitem nicht ans, und um dieser
Misere ein Ende zu machen und aus seinen Schulden herauszukommen, spähte
er eifrig nach einer reichen Heirat aus, wobei ihm geschäftige Freunde hilfreiche
Hand leisteten. Bald wird ihm diese, bald jene wohlhabende Witwe empfohlen,
und mit einem Cynismus ohne gleichen zieht er von einer Brautschau zur andern.
Schließlich muß auch Herr Geheimrat Klotz sich einen Kuppelpelz verdienen
wollen; er hat in Halle eine vermögende Witwe ausgekundschaftet, und Bahrdt
eilt schleunigst dorthin, um am Schlüsse einer widerlichen Schüfcrstunde zu er¬
fahren, daß leider das Vermögen der Dame im Monde liege. Die Szene, da
"Signor" Klotz als Heiratsvermittler und der Erfurter Professor der Theologie
als Heiratskandidat bei einer Punschbowle über dies Geschäft verhandeln, ist von
grotesker Wirkung und charakterisirt die beiden dunkeln Ehrenmänner aufs
schlagendste.

Auch sonst hatte Bahrdt seinem Gönner mancherlei abgelernt. Mit Riedel
zusammen sudelte" er fleißig in den Klotzischen Blättern und in der Filiale
jener Hallischen Nezensircinstalten, der "Erfurter Gelehrten-Zeitung"; er ging
Riedel bei den unverschämten "scnrrilischen Briefen" zur Hand und verschmähte
kein Mittel, um sich zu Ruf und Ausehen emporzuschreien. Und dazu mußten
ihm auch seine theologischen Vorlesungen dienen, zu denen er sich gegen den
Widerspruch der Fakultät die Erlaubnis vom Statthalter ertrotzt hatte. Er
las hier wie in Leipzig Dogmatik, die allerdings von jener frühern gründlich
verschieden war. Er, der sich mittlerweile mit den landläufigen Gemeinplätzen
der Aufklärung von der kirchlichen Autorität befreit zu haben glaubte, trug
nun den Genieton auch in den theologischen Hörsaal; er witzelte über die Erb¬
sünde, baute sich seine eigne Dreieinigkeit und seine eigne Lehre von der Recht¬
fertigung auf und ließ sich keine Gelegenheit entgehen, durch Spöttereien und
frivoles Witzeln die Erfurter Theologen zu reizen. Alles war unreif, leicht-


Grenzboten IV. 1837. 3
Karl Friedrich Bahrdt.

de^t jungen Dichtern dieser Genieperiode immer wieder ein idealer Grundzug zum
Durchbruch, sind sie in ihrem dunkeln Drange sich schließlich doch des rechten
Weges bewußt und wissen sie aus allen Wirren und Irrungen wenigstens reichen
poetischen Gewinn zu ziehen, so ist bei dem Theologen alles ins Kleine und
Gemeine verzerrt, alles ungesittet, rüde, geiht- und gemütlos.

In seinem ganzen Leben ist nie und nirgends von Herzenskämpfen die Rede,
da ist nichts von echter Leidenschaft, nichts von Langen und Bangen zu spüren;
alles ist roheste Sinnlichkeit auf der .einen und kühle Berechnung auf der andern
Seite. Für den Menschen Bahrdt ist nichts charakteristischer als die Vorgeschichte
seiner Ehe und dann die Geschichte dieser Ehe selbst, die uns in die in weiten
Kreisen jener Tage herrschende sittliche Stumpfheit einen geradezu erschreckenden
Einblick gewähren. Der junge Doktor der Theologie — Bahrdt hatte sich,
um theologische Vorlesungen halten zu können, diese Würde in Erlangen ge¬
kauft — fühlte sich in den knappen Verhältnissen bedrückt und beengt, seine
Einnahmen reichten für seine Bedürfnisse bei weitem nicht ans, und um dieser
Misere ein Ende zu machen und aus seinen Schulden herauszukommen, spähte
er eifrig nach einer reichen Heirat aus, wobei ihm geschäftige Freunde hilfreiche
Hand leisteten. Bald wird ihm diese, bald jene wohlhabende Witwe empfohlen,
und mit einem Cynismus ohne gleichen zieht er von einer Brautschau zur andern.
Schließlich muß auch Herr Geheimrat Klotz sich einen Kuppelpelz verdienen
wollen; er hat in Halle eine vermögende Witwe ausgekundschaftet, und Bahrdt
eilt schleunigst dorthin, um am Schlüsse einer widerlichen Schüfcrstunde zu er¬
fahren, daß leider das Vermögen der Dame im Monde liege. Die Szene, da
„Signor" Klotz als Heiratsvermittler und der Erfurter Professor der Theologie
als Heiratskandidat bei einer Punschbowle über dies Geschäft verhandeln, ist von
grotesker Wirkung und charakterisirt die beiden dunkeln Ehrenmänner aufs
schlagendste.

Auch sonst hatte Bahrdt seinem Gönner mancherlei abgelernt. Mit Riedel
zusammen sudelte" er fleißig in den Klotzischen Blättern und in der Filiale
jener Hallischen Nezensircinstalten, der „Erfurter Gelehrten-Zeitung"; er ging
Riedel bei den unverschämten „scnrrilischen Briefen" zur Hand und verschmähte
kein Mittel, um sich zu Ruf und Ausehen emporzuschreien. Und dazu mußten
ihm auch seine theologischen Vorlesungen dienen, zu denen er sich gegen den
Widerspruch der Fakultät die Erlaubnis vom Statthalter ertrotzt hatte. Er
las hier wie in Leipzig Dogmatik, die allerdings von jener frühern gründlich
verschieden war. Er, der sich mittlerweile mit den landläufigen Gemeinplätzen
der Aufklärung von der kirchlichen Autorität befreit zu haben glaubte, trug
nun den Genieton auch in den theologischen Hörsaal; er witzelte über die Erb¬
sünde, baute sich seine eigne Dreieinigkeit und seine eigne Lehre von der Recht¬
fertigung auf und ließ sich keine Gelegenheit entgehen, durch Spöttereien und
frivoles Witzeln die Erfurter Theologen zu reizen. Alles war unreif, leicht-


Grenzboten IV. 1837. 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/25>, abgerufen am 04.07.2024.