Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Galeotto.

beginnt die Tragödie. Der Klatsch bemächtigt sich des Verhältnisses, erfüllt
die Herzen der jungen Leute mit Befangenheit und Gewissensskrupelu, das des
ältern, sonst ruhigen, edeln Mannes nach und nach mit aufregendem Zweifel,
Mißtrauen bis zur gemeinsten blinden Eifersucht und plumpster Rachgier. So,
wie wir es nun haben, kommt der eigentliche Galeotto durch den uneigentlichen
schließlich mit sich selbst in Konflikt. Er ist an der ganzen Sache Schuld, und
gleichwohl kommt diese seine Schuld schließlich nicht zur Sprache, wie doch
gerade der "Realist" verlangen könnte. So hat sein Verfahren -- er behandelt
den unglücklichen Jüngling, das Andenken seines Lebensfreundes, schließlich mit
Faustschlägen ins Gesicht, seine edle, unschuldige Frau mit gemeinsten Be¬
schimpfungen -- nicht nur etwas Peinliches, sondern etwas geradezu Em¬
pörendes. Es zeigt sich auch hier wieder, daß diese xar exosllsnoe sogenannten
realistischen Wirkungen gerade unwahr sind, und gerade durch ihre Unwahrheit
verstimmen. Denn die Kunst hat von jeher gelegentlich noch viel schrecklichere
Dinge, die aber nicht "verstimmen," eben wenn sie wahr behandelt werden. Die
Durchführung der Hauptidee verdient aber dafür uneingeschränktes Lob, besonders
wenn man (wofür der Dichter in seiner endgiltigen Fassung mit genügender
"dramatischer Ökonomie" gesorgt hat, was aber die Darstellung im Deutschen
Theater nicht immer berücksichtigte) streng darauf hält, daß in der Aufführung
der beiden jungen Leute sich nichts von verhaltener oder gar auflodernder
Liebcsglut zeige. Dadurch kommt ein Nebcnton in den dramatischen Satz, der
verwirrt, feiner hörende eines stört. Gerade je vernünftiger sich die beiden
wackern jungen Leute benehmen, je mehr gerade sie in dem tollen Hexensabbat
menschlicher Interessen, Begierden und Leidenschaften ihre geistige und moralische
Überlegenheit bewahren, desto mehr gewinnt das ganze Stück an Größe, an
Eigentümlichkeit. Sie, deren Frauenwürde im Anfange selbst das interessirte
Fraubasen- und Geckengeschwätz zu beschämen weiß, die selbst in dem für sie
fürchterlichsten Augenblicke noch das einzig richtige Wort findet, schreckt da, wo
es ihr nötig scheint, selbst vor der äußersten Hörte gegen ihr eigenstes Gefühl
nicht zurück, bloß um das Ganze im Gleichgewicht zu erhalten. Und da es ihr
so wenig gelingt, da das Entsetzliche von allen Seiten auf sie einstürmt, da
winselt und fleht sie nicht, sondern bricht eben, da sie nichts mehr thun kann,
zusammen. Man hat scheinbar mit Recht bemerkt, daß die beiden sich nur
leidend verhalten, dies wohl auch gleich als neugeschliffenen Gegenbeweis gegen
die Forderung des Handelns in der dramatischen Tragik benutzt. Dies ist aber
nicht richtig. Diese Helden handeln sehr energisch, denn sie wehren sich gegen
das Unrecht, und wir wüßten nicht, wo des Menschen Handeln sich von Natur
thatkräftiger und zugleich edler zeigt. Gerade der tragische Zwang macht aus
ihm, dem bisher unentschlossen zaubernden Träumer, mit einem male einen zum
äußersten entschlossenen Mann. Uns ist eine Stelle haften geblieben, in der
das uach romanischer Art zu einem zugespitzten Ausdruck kommt. Die Sache


Galeotto.

beginnt die Tragödie. Der Klatsch bemächtigt sich des Verhältnisses, erfüllt
die Herzen der jungen Leute mit Befangenheit und Gewissensskrupelu, das des
ältern, sonst ruhigen, edeln Mannes nach und nach mit aufregendem Zweifel,
Mißtrauen bis zur gemeinsten blinden Eifersucht und plumpster Rachgier. So,
wie wir es nun haben, kommt der eigentliche Galeotto durch den uneigentlichen
schließlich mit sich selbst in Konflikt. Er ist an der ganzen Sache Schuld, und
gleichwohl kommt diese seine Schuld schließlich nicht zur Sprache, wie doch
gerade der „Realist" verlangen könnte. So hat sein Verfahren — er behandelt
den unglücklichen Jüngling, das Andenken seines Lebensfreundes, schließlich mit
Faustschlägen ins Gesicht, seine edle, unschuldige Frau mit gemeinsten Be¬
schimpfungen — nicht nur etwas Peinliches, sondern etwas geradezu Em¬
pörendes. Es zeigt sich auch hier wieder, daß diese xar exosllsnoe sogenannten
realistischen Wirkungen gerade unwahr sind, und gerade durch ihre Unwahrheit
verstimmen. Denn die Kunst hat von jeher gelegentlich noch viel schrecklichere
Dinge, die aber nicht „verstimmen," eben wenn sie wahr behandelt werden. Die
Durchführung der Hauptidee verdient aber dafür uneingeschränktes Lob, besonders
wenn man (wofür der Dichter in seiner endgiltigen Fassung mit genügender
„dramatischer Ökonomie" gesorgt hat, was aber die Darstellung im Deutschen
Theater nicht immer berücksichtigte) streng darauf hält, daß in der Aufführung
der beiden jungen Leute sich nichts von verhaltener oder gar auflodernder
Liebcsglut zeige. Dadurch kommt ein Nebcnton in den dramatischen Satz, der
verwirrt, feiner hörende eines stört. Gerade je vernünftiger sich die beiden
wackern jungen Leute benehmen, je mehr gerade sie in dem tollen Hexensabbat
menschlicher Interessen, Begierden und Leidenschaften ihre geistige und moralische
Überlegenheit bewahren, desto mehr gewinnt das ganze Stück an Größe, an
Eigentümlichkeit. Sie, deren Frauenwürde im Anfange selbst das interessirte
Fraubasen- und Geckengeschwätz zu beschämen weiß, die selbst in dem für sie
fürchterlichsten Augenblicke noch das einzig richtige Wort findet, schreckt da, wo
es ihr nötig scheint, selbst vor der äußersten Hörte gegen ihr eigenstes Gefühl
nicht zurück, bloß um das Ganze im Gleichgewicht zu erhalten. Und da es ihr
so wenig gelingt, da das Entsetzliche von allen Seiten auf sie einstürmt, da
winselt und fleht sie nicht, sondern bricht eben, da sie nichts mehr thun kann,
zusammen. Man hat scheinbar mit Recht bemerkt, daß die beiden sich nur
leidend verhalten, dies wohl auch gleich als neugeschliffenen Gegenbeweis gegen
die Forderung des Handelns in der dramatischen Tragik benutzt. Dies ist aber
nicht richtig. Diese Helden handeln sehr energisch, denn sie wehren sich gegen
das Unrecht, und wir wüßten nicht, wo des Menschen Handeln sich von Natur
thatkräftiger und zugleich edler zeigt. Gerade der tragische Zwang macht aus
ihm, dem bisher unentschlossen zaubernden Träumer, mit einem male einen zum
äußersten entschlossenen Mann. Uns ist eine Stelle haften geblieben, in der
das uach romanischer Art zu einem zugespitzten Ausdruck kommt. Die Sache


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201676"/>
          <fw type="header" place="top"> Galeotto.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_572" prev="#ID_571" next="#ID_573"> beginnt die Tragödie. Der Klatsch bemächtigt sich des Verhältnisses, erfüllt<lb/>
die Herzen der jungen Leute mit Befangenheit und Gewissensskrupelu, das des<lb/>
ältern, sonst ruhigen, edeln Mannes nach und nach mit aufregendem Zweifel,<lb/>
Mißtrauen bis zur gemeinsten blinden Eifersucht und plumpster Rachgier. So,<lb/>
wie wir es nun haben, kommt der eigentliche Galeotto durch den uneigentlichen<lb/>
schließlich mit sich selbst in Konflikt. Er ist an der ganzen Sache Schuld, und<lb/>
gleichwohl kommt diese seine Schuld schließlich nicht zur Sprache, wie doch<lb/>
gerade der &#x201E;Realist" verlangen könnte. So hat sein Verfahren &#x2014; er behandelt<lb/>
den unglücklichen Jüngling, das Andenken seines Lebensfreundes, schließlich mit<lb/>
Faustschlägen ins Gesicht, seine edle, unschuldige Frau mit gemeinsten Be¬<lb/>
schimpfungen &#x2014; nicht nur etwas Peinliches, sondern etwas geradezu Em¬<lb/>
pörendes. Es zeigt sich auch hier wieder, daß diese xar exosllsnoe sogenannten<lb/>
realistischen Wirkungen gerade unwahr sind, und gerade durch ihre Unwahrheit<lb/>
verstimmen. Denn die Kunst hat von jeher gelegentlich noch viel schrecklichere<lb/>
Dinge, die aber nicht &#x201E;verstimmen," eben wenn sie wahr behandelt werden. Die<lb/>
Durchführung der Hauptidee verdient aber dafür uneingeschränktes Lob, besonders<lb/>
wenn man (wofür der Dichter in seiner endgiltigen Fassung mit genügender<lb/>
&#x201E;dramatischer Ökonomie" gesorgt hat, was aber die Darstellung im Deutschen<lb/>
Theater nicht immer berücksichtigte) streng darauf hält, daß in der Aufführung<lb/>
der beiden jungen Leute sich nichts von verhaltener oder gar auflodernder<lb/>
Liebcsglut zeige. Dadurch kommt ein Nebcnton in den dramatischen Satz, der<lb/>
verwirrt, feiner hörende eines stört. Gerade je vernünftiger sich die beiden<lb/>
wackern jungen Leute benehmen, je mehr gerade sie in dem tollen Hexensabbat<lb/>
menschlicher Interessen, Begierden und Leidenschaften ihre geistige und moralische<lb/>
Überlegenheit bewahren, desto mehr gewinnt das ganze Stück an Größe, an<lb/>
Eigentümlichkeit. Sie, deren Frauenwürde im Anfange selbst das interessirte<lb/>
Fraubasen- und Geckengeschwätz zu beschämen weiß, die selbst in dem für sie<lb/>
fürchterlichsten Augenblicke noch das einzig richtige Wort findet, schreckt da, wo<lb/>
es ihr nötig scheint, selbst vor der äußersten Hörte gegen ihr eigenstes Gefühl<lb/>
nicht zurück, bloß um das Ganze im Gleichgewicht zu erhalten. Und da es ihr<lb/>
so wenig gelingt, da das Entsetzliche von allen Seiten auf sie einstürmt, da<lb/>
winselt und fleht sie nicht, sondern bricht eben, da sie nichts mehr thun kann,<lb/>
zusammen. Man hat scheinbar mit Recht bemerkt, daß die beiden sich nur<lb/>
leidend verhalten, dies wohl auch gleich als neugeschliffenen Gegenbeweis gegen<lb/>
die Forderung des Handelns in der dramatischen Tragik benutzt. Dies ist aber<lb/>
nicht richtig. Diese Helden handeln sehr energisch, denn sie wehren sich gegen<lb/>
das Unrecht, und wir wüßten nicht, wo des Menschen Handeln sich von Natur<lb/>
thatkräftiger und zugleich edler zeigt. Gerade der tragische Zwang macht aus<lb/>
ihm, dem bisher unentschlossen zaubernden Träumer, mit einem male einen zum<lb/>
äußersten entschlossenen Mann. Uns ist eine Stelle haften geblieben, in der<lb/>
das uach romanischer Art zu einem zugespitzten Ausdruck kommt.  Die Sache</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0247] Galeotto. beginnt die Tragödie. Der Klatsch bemächtigt sich des Verhältnisses, erfüllt die Herzen der jungen Leute mit Befangenheit und Gewissensskrupelu, das des ältern, sonst ruhigen, edeln Mannes nach und nach mit aufregendem Zweifel, Mißtrauen bis zur gemeinsten blinden Eifersucht und plumpster Rachgier. So, wie wir es nun haben, kommt der eigentliche Galeotto durch den uneigentlichen schließlich mit sich selbst in Konflikt. Er ist an der ganzen Sache Schuld, und gleichwohl kommt diese seine Schuld schließlich nicht zur Sprache, wie doch gerade der „Realist" verlangen könnte. So hat sein Verfahren — er behandelt den unglücklichen Jüngling, das Andenken seines Lebensfreundes, schließlich mit Faustschlägen ins Gesicht, seine edle, unschuldige Frau mit gemeinsten Be¬ schimpfungen — nicht nur etwas Peinliches, sondern etwas geradezu Em¬ pörendes. Es zeigt sich auch hier wieder, daß diese xar exosllsnoe sogenannten realistischen Wirkungen gerade unwahr sind, und gerade durch ihre Unwahrheit verstimmen. Denn die Kunst hat von jeher gelegentlich noch viel schrecklichere Dinge, die aber nicht „verstimmen," eben wenn sie wahr behandelt werden. Die Durchführung der Hauptidee verdient aber dafür uneingeschränktes Lob, besonders wenn man (wofür der Dichter in seiner endgiltigen Fassung mit genügender „dramatischer Ökonomie" gesorgt hat, was aber die Darstellung im Deutschen Theater nicht immer berücksichtigte) streng darauf hält, daß in der Aufführung der beiden jungen Leute sich nichts von verhaltener oder gar auflodernder Liebcsglut zeige. Dadurch kommt ein Nebcnton in den dramatischen Satz, der verwirrt, feiner hörende eines stört. Gerade je vernünftiger sich die beiden wackern jungen Leute benehmen, je mehr gerade sie in dem tollen Hexensabbat menschlicher Interessen, Begierden und Leidenschaften ihre geistige und moralische Überlegenheit bewahren, desto mehr gewinnt das ganze Stück an Größe, an Eigentümlichkeit. Sie, deren Frauenwürde im Anfange selbst das interessirte Fraubasen- und Geckengeschwätz zu beschämen weiß, die selbst in dem für sie fürchterlichsten Augenblicke noch das einzig richtige Wort findet, schreckt da, wo es ihr nötig scheint, selbst vor der äußersten Hörte gegen ihr eigenstes Gefühl nicht zurück, bloß um das Ganze im Gleichgewicht zu erhalten. Und da es ihr so wenig gelingt, da das Entsetzliche von allen Seiten auf sie einstürmt, da winselt und fleht sie nicht, sondern bricht eben, da sie nichts mehr thun kann, zusammen. Man hat scheinbar mit Recht bemerkt, daß die beiden sich nur leidend verhalten, dies wohl auch gleich als neugeschliffenen Gegenbeweis gegen die Forderung des Handelns in der dramatischen Tragik benutzt. Dies ist aber nicht richtig. Diese Helden handeln sehr energisch, denn sie wehren sich gegen das Unrecht, und wir wüßten nicht, wo des Menschen Handeln sich von Natur thatkräftiger und zugleich edler zeigt. Gerade der tragische Zwang macht aus ihm, dem bisher unentschlossen zaubernden Träumer, mit einem male einen zum äußersten entschlossenen Mann. Uns ist eine Stelle haften geblieben, in der das uach romanischer Art zu einem zugespitzten Ausdruck kommt. Die Sache

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/247
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/247>, abgerufen am 22.07.2024.