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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Galeotto.

insbesondre den Ehebruchsstücken gegenüber, wirklich geworden. Er kehrt sie
um, wie weiland der Held der Mancha die Amadisromane. Wie in jenem dem
verschrobenen Geschmack einer höchst unritterlich gewordenen Welt an abenteuer¬
lichen Ritterthaten einmal ein wirklicher Ritter begegnete, der aber keine Aben¬
teuer findet: so stellt sich hier dem vor Liebestollheit mehr als je sicheren
heutigen Publikum der spitzfindigen Ehebruchstragödien ein sogenanntes "schul¬
diges Paar" vor, das nichts weniger als schuldig ist, an nichts weniger als
an Liebe denkt. Das ist der glückliche Griff, den der Dichter des ganzen
Galeotto schließlich über den Dichter seines Vorspiels hinaus machte. Aus der
Liebestragödie wurde ihm unter der Hand eine Tragikomödie der Liebe. Er
konnte sich, wie sein großer Vorgänger, im gleichen Falle sagen: dieser Geschmack
ist nicht echt, natürlich, sondern lediglich durch die Mode gefordert und durch
die Lust am Aufregenden, Pikanten genährt, eben ein Theatergeschmack, wie
jener ein Romangeschmack. Nicht der Ritter ist ihnen die Hauptsache und nicht
die Liebe; sie würden im Gegenteil die ersten sein, welche den wackern, ehrlichen
Ritter säuseln und zum Besten haben, welche edle, unglückliche Liebe begeifern
und in den Schmutz ziehen. Nein, sie selbst sind sich dabei die Hauptsache, die
Aufbauschung ihrer müssigen Nichtigkeit, die Kaffeebegeisterung für den "eklata-
tanten Fall," das "Sensationsereignis," und wie sichs abspielt und heraus¬
kommt; das Romantische dort, das Dramatische hier, beides nichts als Futter
für die Neugierde, für den Klatsch. Der Liebesdramatiker der zweiten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts hat nun erst den eigentlichen Helden seiner
Liebestragödien entdeckt, es ist der "große" Galeotto, der Klatsch. Man könnte
fragen, woher der Klatsch nun ein Kuppler sei? Sicherlich ist dies auch bei
der jetzigen Fassung des Stückes eine berechtigte Frage. Denn es soll ja nicht
gezeigt werden, wie ein unbefangenes, disharmonisches Paar durch das Gerede
der Leute in wirklicher Liebe zusammengebracht wird (ein herrlicher Lustspiel¬
stoff, wie schon Shakespeare in "Beatrice und Benedikt" erkannt hat), sondern
wie im Gegenteil ein sehr harmonisches und von der Gefährlichkeit dieser Har¬
monie nicht unbelehrtes Paar durch die Macht der Verhältnisse zusammen
gehalten und durch den "Klatsch" schließlich wider ihren Willen höchst tragisch
zusammengeführt wird. In diesem Sinne kann man den "Klatsch" nur sehr
uneigentlich einen Kuppler, eiuen "Galeotto" nennen. Jener in seiner Gut¬
mütigkeit beschränkte Ehemann aber ist wirklich ein unbewußter "Galeotto."
Wir haben es also in diesem Stücke mit zwei Galevttvs zu thun, von denen
der eine im wirklichen, der andre nur im übertragenen Sinne gemeint ist.
Wäre das letztere gleich von Anfang an festgehalten und streng durchgeführt
worden, so hätten wir wirklich ein Musterstück vor uns, die runde, sichere
Darstellung einer originellen, kräftigen Idee. Die drei Leutchen, um die es
sich da handelt, leben ruhig, edel, sinnig neben einander, ohne den Galeotto-
bcigeschmack des einen, dnrch natürliche Verhältnisse zusammen gehalten. Nun


Galeotto.

insbesondre den Ehebruchsstücken gegenüber, wirklich geworden. Er kehrt sie
um, wie weiland der Held der Mancha die Amadisromane. Wie in jenem dem
verschrobenen Geschmack einer höchst unritterlich gewordenen Welt an abenteuer¬
lichen Ritterthaten einmal ein wirklicher Ritter begegnete, der aber keine Aben¬
teuer findet: so stellt sich hier dem vor Liebestollheit mehr als je sicheren
heutigen Publikum der spitzfindigen Ehebruchstragödien ein sogenanntes „schul¬
diges Paar" vor, das nichts weniger als schuldig ist, an nichts weniger als
an Liebe denkt. Das ist der glückliche Griff, den der Dichter des ganzen
Galeotto schließlich über den Dichter seines Vorspiels hinaus machte. Aus der
Liebestragödie wurde ihm unter der Hand eine Tragikomödie der Liebe. Er
konnte sich, wie sein großer Vorgänger, im gleichen Falle sagen: dieser Geschmack
ist nicht echt, natürlich, sondern lediglich durch die Mode gefordert und durch
die Lust am Aufregenden, Pikanten genährt, eben ein Theatergeschmack, wie
jener ein Romangeschmack. Nicht der Ritter ist ihnen die Hauptsache und nicht
die Liebe; sie würden im Gegenteil die ersten sein, welche den wackern, ehrlichen
Ritter säuseln und zum Besten haben, welche edle, unglückliche Liebe begeifern
und in den Schmutz ziehen. Nein, sie selbst sind sich dabei die Hauptsache, die
Aufbauschung ihrer müssigen Nichtigkeit, die Kaffeebegeisterung für den „eklata-
tanten Fall," das „Sensationsereignis," und wie sichs abspielt und heraus¬
kommt; das Romantische dort, das Dramatische hier, beides nichts als Futter
für die Neugierde, für den Klatsch. Der Liebesdramatiker der zweiten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts hat nun erst den eigentlichen Helden seiner
Liebestragödien entdeckt, es ist der „große" Galeotto, der Klatsch. Man könnte
fragen, woher der Klatsch nun ein Kuppler sei? Sicherlich ist dies auch bei
der jetzigen Fassung des Stückes eine berechtigte Frage. Denn es soll ja nicht
gezeigt werden, wie ein unbefangenes, disharmonisches Paar durch das Gerede
der Leute in wirklicher Liebe zusammengebracht wird (ein herrlicher Lustspiel¬
stoff, wie schon Shakespeare in „Beatrice und Benedikt" erkannt hat), sondern
wie im Gegenteil ein sehr harmonisches und von der Gefährlichkeit dieser Har¬
monie nicht unbelehrtes Paar durch die Macht der Verhältnisse zusammen
gehalten und durch den „Klatsch" schließlich wider ihren Willen höchst tragisch
zusammengeführt wird. In diesem Sinne kann man den „Klatsch" nur sehr
uneigentlich einen Kuppler, eiuen „Galeotto" nennen. Jener in seiner Gut¬
mütigkeit beschränkte Ehemann aber ist wirklich ein unbewußter „Galeotto."
Wir haben es also in diesem Stücke mit zwei Galevttvs zu thun, von denen
der eine im wirklichen, der andre nur im übertragenen Sinne gemeint ist.
Wäre das letztere gleich von Anfang an festgehalten und streng durchgeführt
worden, so hätten wir wirklich ein Musterstück vor uns, die runde, sichere
Darstellung einer originellen, kräftigen Idee. Die drei Leutchen, um die es
sich da handelt, leben ruhig, edel, sinnig neben einander, ohne den Galeotto-
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[0246] Galeotto. insbesondre den Ehebruchsstücken gegenüber, wirklich geworden. Er kehrt sie um, wie weiland der Held der Mancha die Amadisromane. Wie in jenem dem verschrobenen Geschmack einer höchst unritterlich gewordenen Welt an abenteuer¬ lichen Ritterthaten einmal ein wirklicher Ritter begegnete, der aber keine Aben¬ teuer findet: so stellt sich hier dem vor Liebestollheit mehr als je sicheren heutigen Publikum der spitzfindigen Ehebruchstragödien ein sogenanntes „schul¬ diges Paar" vor, das nichts weniger als schuldig ist, an nichts weniger als an Liebe denkt. Das ist der glückliche Griff, den der Dichter des ganzen Galeotto schließlich über den Dichter seines Vorspiels hinaus machte. Aus der Liebestragödie wurde ihm unter der Hand eine Tragikomödie der Liebe. Er konnte sich, wie sein großer Vorgänger, im gleichen Falle sagen: dieser Geschmack ist nicht echt, natürlich, sondern lediglich durch die Mode gefordert und durch die Lust am Aufregenden, Pikanten genährt, eben ein Theatergeschmack, wie jener ein Romangeschmack. Nicht der Ritter ist ihnen die Hauptsache und nicht die Liebe; sie würden im Gegenteil die ersten sein, welche den wackern, ehrlichen Ritter säuseln und zum Besten haben, welche edle, unglückliche Liebe begeifern und in den Schmutz ziehen. Nein, sie selbst sind sich dabei die Hauptsache, die Aufbauschung ihrer müssigen Nichtigkeit, die Kaffeebegeisterung für den „eklata- tanten Fall," das „Sensationsereignis," und wie sichs abspielt und heraus¬ kommt; das Romantische dort, das Dramatische hier, beides nichts als Futter für die Neugierde, für den Klatsch. Der Liebesdramatiker der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hat nun erst den eigentlichen Helden seiner Liebestragödien entdeckt, es ist der „große" Galeotto, der Klatsch. Man könnte fragen, woher der Klatsch nun ein Kuppler sei? Sicherlich ist dies auch bei der jetzigen Fassung des Stückes eine berechtigte Frage. Denn es soll ja nicht gezeigt werden, wie ein unbefangenes, disharmonisches Paar durch das Gerede der Leute in wirklicher Liebe zusammengebracht wird (ein herrlicher Lustspiel¬ stoff, wie schon Shakespeare in „Beatrice und Benedikt" erkannt hat), sondern wie im Gegenteil ein sehr harmonisches und von der Gefährlichkeit dieser Har¬ monie nicht unbelehrtes Paar durch die Macht der Verhältnisse zusammen gehalten und durch den „Klatsch" schließlich wider ihren Willen höchst tragisch zusammengeführt wird. In diesem Sinne kann man den „Klatsch" nur sehr uneigentlich einen Kuppler, eiuen „Galeotto" nennen. Jener in seiner Gut¬ mütigkeit beschränkte Ehemann aber ist wirklich ein unbewußter „Galeotto." Wir haben es also in diesem Stücke mit zwei Galevttvs zu thun, von denen der eine im wirklichen, der andre nur im übertragenen Sinne gemeint ist. Wäre das letztere gleich von Anfang an festgehalten und streng durchgeführt worden, so hätten wir wirklich ein Musterstück vor uns, die runde, sichere Darstellung einer originellen, kräftigen Idee. Die drei Leutchen, um die es sich da handelt, leben ruhig, edel, sinnig neben einander, ohne den Galeotto- bcigeschmack des einen, dnrch natürliche Verhältnisse zusammen gehalten. Nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/246>, abgerufen am 25.08.2024.