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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Galeotto.

ist zu einem gefährlichen Zweikampf mit einem endlich aus dem gestaltlosen
Nebel des Klatsches herausgegriffenen Individuum gediehen. Ernesto, unser
Held, der gern und leidenschaftlich redende Dichter, ist stumm, gleichgiltig.
Darüber befragt, antwortet er in jenem Goethischen Sinne etwa, daß er sich
nur über Personen errege, den Thatsachen aber gefaßt gegenüber stehe, und
läßt das Wort fallen: "stech' ich den Schurken nieder, so gewinnt die Welt,
tötet er mich, so gewinne ich." Das ist nicht ohne Erhabenheit, wie alles,
wobei das ethische Pathos in einen greifbaren, anschaulichen Gegensatz zur Welt
tritt. Erhabenheit besitzt in diesem Sinne ganz besonders der Schluß. Die
Gemeinheit hat auf allen Linien gesiegt, sie hat Recht behalten gegen das
Heldentum der Unschuldigen, Verworrenheit, Schande überall; gar manchem auch
wahrhaft männlichen Geiste möchte es passend erscheinen, eine solche Tragödie
in stoischen Sinne durch einen Schuß durch die Schläfe zum Abschluß zu bringen.
Allein er sieht auf das arme, hilflos zusammengebrochene Weib, das durch
ihn leidet, das die, wie meist, so auch hier zugleich sehr materiell triumphirende
Gemeinheit auf die Straße stößt, und er beschließt zu leben. Ein solcher Schluß
ist, wenn er Berechtigung hat. tragischer als Dolch und Gift. Schon Ödipus
beweist es. Und daß es nicht an der nötigen Reinigung und Erhebung fehlt,
dafür sorgt der Held durch den moralischen Mut, mit dem er sich jetzt mit dem
Rechte des unschuldig beschimpften, "vom äußersten belehrten" der innerlichst
überwundenen Welt gegenüberstellt. Jetzt tritt er zu ihr und nennt sie sein
Weib. Der Darsteller muß eine heilige Betonung in dies Wort legen.

Es enthält nicht die wenigst bedeutsame Anerkennung, welche man diesem
nicht "philosophischen" und doch von echt philosophischem Geiste erfüllten, nicht
tendenziösen und doch beredten, im Innersten aufrüttelnden und dabei tief sittlichen
Stücke zollen kann, wenn man es eine Tragikomödie nennt. Gerade daß diese
erschütternden Wirkungen sich aus so geringfügigen, ja lächerlichen Anlässen
aufbauen, das ist das eigenste Verdienst unsers Dramas. Es trägt nicht, wie
andere seines Zeichens im Gefühl ihrer Schwäche oder um womöglich die
Tragödie zu Übertragiren, alles Mögliche und Unmögliche in seinem engen
Rahmen zusammen, es erregt nicht die Elemente in einem Wasserglase, es
spreizt sich nicht mit dem "Kosmos" in seiner kleinen Welt, es kennt ebenso¬
wenig wie die Welt selbst "kleinstädtische Titanen" oder besser gesagt "titanische
Kleinstädter." Was seinen Helden zustößt -- das Drama gesteht es ehrlich
zu, ohne zu künsteln oder aufzubauschen --, ist eben das, was man im gewöhn¬
lichen Leben sehr untragisch "Pech" nennt: Mißdeutungen unschuldigster Vor¬
gänge, lächerliche Überraschungen zur Unzeit, allerhöchstes eine kleine Un¬
besonnenheit, die nur durch Ort und Zeit unheilvolle Bedeutung gewinnt. Aber
gerade dies verbindet diese häusliche Tragödie mit dem auf großartigsten
Hintergründe sich abspielenden tragischen Weltvorgange. Durch diese Treue, diese
ruhige Wiedergabe des rein Thatsächlichen wird sie typisch und damit bedeut-


Galeotto.

ist zu einem gefährlichen Zweikampf mit einem endlich aus dem gestaltlosen
Nebel des Klatsches herausgegriffenen Individuum gediehen. Ernesto, unser
Held, der gern und leidenschaftlich redende Dichter, ist stumm, gleichgiltig.
Darüber befragt, antwortet er in jenem Goethischen Sinne etwa, daß er sich
nur über Personen errege, den Thatsachen aber gefaßt gegenüber stehe, und
läßt das Wort fallen: „stech' ich den Schurken nieder, so gewinnt die Welt,
tötet er mich, so gewinne ich." Das ist nicht ohne Erhabenheit, wie alles,
wobei das ethische Pathos in einen greifbaren, anschaulichen Gegensatz zur Welt
tritt. Erhabenheit besitzt in diesem Sinne ganz besonders der Schluß. Die
Gemeinheit hat auf allen Linien gesiegt, sie hat Recht behalten gegen das
Heldentum der Unschuldigen, Verworrenheit, Schande überall; gar manchem auch
wahrhaft männlichen Geiste möchte es passend erscheinen, eine solche Tragödie
in stoischen Sinne durch einen Schuß durch die Schläfe zum Abschluß zu bringen.
Allein er sieht auf das arme, hilflos zusammengebrochene Weib, das durch
ihn leidet, das die, wie meist, so auch hier zugleich sehr materiell triumphirende
Gemeinheit auf die Straße stößt, und er beschließt zu leben. Ein solcher Schluß
ist, wenn er Berechtigung hat. tragischer als Dolch und Gift. Schon Ödipus
beweist es. Und daß es nicht an der nötigen Reinigung und Erhebung fehlt,
dafür sorgt der Held durch den moralischen Mut, mit dem er sich jetzt mit dem
Rechte des unschuldig beschimpften, „vom äußersten belehrten" der innerlichst
überwundenen Welt gegenüberstellt. Jetzt tritt er zu ihr und nennt sie sein
Weib. Der Darsteller muß eine heilige Betonung in dies Wort legen.

Es enthält nicht die wenigst bedeutsame Anerkennung, welche man diesem
nicht „philosophischen" und doch von echt philosophischem Geiste erfüllten, nicht
tendenziösen und doch beredten, im Innersten aufrüttelnden und dabei tief sittlichen
Stücke zollen kann, wenn man es eine Tragikomödie nennt. Gerade daß diese
erschütternden Wirkungen sich aus so geringfügigen, ja lächerlichen Anlässen
aufbauen, das ist das eigenste Verdienst unsers Dramas. Es trägt nicht, wie
andere seines Zeichens im Gefühl ihrer Schwäche oder um womöglich die
Tragödie zu Übertragiren, alles Mögliche und Unmögliche in seinem engen
Rahmen zusammen, es erregt nicht die Elemente in einem Wasserglase, es
spreizt sich nicht mit dem „Kosmos" in seiner kleinen Welt, es kennt ebenso¬
wenig wie die Welt selbst „kleinstädtische Titanen" oder besser gesagt „titanische
Kleinstädter." Was seinen Helden zustößt — das Drama gesteht es ehrlich
zu, ohne zu künsteln oder aufzubauschen —, ist eben das, was man im gewöhn¬
lichen Leben sehr untragisch „Pech" nennt: Mißdeutungen unschuldigster Vor¬
gänge, lächerliche Überraschungen zur Unzeit, allerhöchstes eine kleine Un¬
besonnenheit, die nur durch Ort und Zeit unheilvolle Bedeutung gewinnt. Aber
gerade dies verbindet diese häusliche Tragödie mit dem auf großartigsten
Hintergründe sich abspielenden tragischen Weltvorgange. Durch diese Treue, diese
ruhige Wiedergabe des rein Thatsächlichen wird sie typisch und damit bedeut-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/248>, abgerufen am 22.07.2024.