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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

bewegenden Wehes dich auch einmal mit Haß täuschen und mich damit zer¬
reißen, du liebst mich doch, denn ich bin es wert, und dieses Universum ist ein
Tand, oder wir haben uns innerlich für ewig erkannt." Indem sie ihn über
Augustens Verlust tröstet, schmiegt sie sich selbst immer fester an ihn an: "Ich
erkenne deine Schmerzen alle und habe sie mit dir auszutauschen. Aber ich
habe noch welche zurück, die immer nur mein bleiben müssen. Nie kannst du
doch das Wehe der Mutter ganz in dich aufnehmen. Sei nicht betrübt, wenn
du dir denkst, wie das deine Freundin zerreißen müßte. Dieses alles muß mir
wieder zur Freude werden, glaubst du es nicht? Es löst sich meine Seele mehr
und mehr in jenes Wehe auf, und doch bin ich getrost und stark. Dies erhalte
dir gegenwärtig, wenn ich auch nicht verhindern kann, an deinem Busen zu
weinen. . . . Wenn mein Herz Wanken will, dann kann ich mich nur an das
deinige lehnen und Trost suchen, das ist das rechte Verhältnis zwischen der
sterblichen Mutter und dem göttlichen Sohne. Ja, du erhebst mich schon durch
die Hoffnungen, die du mir giebst, durch deine Ansichten, wie ich sie auch haben
könnte, deine Ideen, wie ich sie nur dir nach haben kaun, und daß wir uns
in jener heitern Helle begegnen, die allein das wahre Element meines Gemüts
ist." Von Friedrich Schlegel zieht sie ihn ab, dafür weist sie ihn an Goethe:
"Ich wiederhole es noch einmal, warum kann ich dem Goethe nicht sagen, er
soll dich mit seinem hellen Auge unterstützen. Er wäre der einzige, der das
nötige Gewicht über dich hätte. Gieb dich wenigstens seiner Zuneigung und
seinen Hoffnungen auf dich ganz hin und denke, daß du noch liebe Freunde
hast, so gut wie das Jahrhundert sie vermag. ... Er liebet dich väterlich, ich
liebe dich mütterlich, was hast du für wunderbare Eltern!" Einmal, nachdem
sie ihm ihr ganzes Herz ausgeschüttet hat, schließt sie: "Du mußt endlich ver¬
suchen, ob du mich entbehren kannst, aber traue dir langsam darüber. Wir ge¬
hören einander an, wir sollten innig eins sein. Habe ich dir je mißtraut, du
meine Seele? Warum denn du mir? Du wirst mich fragen, ob mir denn der
Ausgang gleichgiltig ist? Ja, muß ich antworten, und wenn die süße Liebe
mich auch zurückhalten will. Ich bin meines unzerstörbaren Glückes wie meines
unheilbaren Unglückes gewiß. Das ist mein Vorrecht. Und nun laß uns
wieder in unsre bisherige Stille begeben, du hast mich so oft schon Entzücken
in ihr über dich empfinden lassen. Ja, erheitere mich mit deinen Bestrebungen
und Gedanken. Liebe mich, ich kniee vor dir nieder in Gedanken und bitte dich
darum." Einen merkwürdigen Gegensatz zu diesen Ergüssen bilden die Briefe,
die sie gleichzeitig an ihren Gatten nach Berlin schreibt. Sie sind so vertraulich,
so sorglich, so zärtlich, daß man sich unwillkürlich fragt, ob die gewandte Frau
nicht ein frevelhaftes Spiel mit ihrem "lieben Wilhelm" treibt. In Wahrheit
sind sie doch wohl nur der Beweis, daß sie mit schwesterlicher Anhänglichkeit
die Gattin Wilhelms bleiben wollte, auch während ihr Herz einem andern
gehörte.


Dichterfreundinnen.

bewegenden Wehes dich auch einmal mit Haß täuschen und mich damit zer¬
reißen, du liebst mich doch, denn ich bin es wert, und dieses Universum ist ein
Tand, oder wir haben uns innerlich für ewig erkannt." Indem sie ihn über
Augustens Verlust tröstet, schmiegt sie sich selbst immer fester an ihn an: „Ich
erkenne deine Schmerzen alle und habe sie mit dir auszutauschen. Aber ich
habe noch welche zurück, die immer nur mein bleiben müssen. Nie kannst du
doch das Wehe der Mutter ganz in dich aufnehmen. Sei nicht betrübt, wenn
du dir denkst, wie das deine Freundin zerreißen müßte. Dieses alles muß mir
wieder zur Freude werden, glaubst du es nicht? Es löst sich meine Seele mehr
und mehr in jenes Wehe auf, und doch bin ich getrost und stark. Dies erhalte
dir gegenwärtig, wenn ich auch nicht verhindern kann, an deinem Busen zu
weinen. . . . Wenn mein Herz Wanken will, dann kann ich mich nur an das
deinige lehnen und Trost suchen, das ist das rechte Verhältnis zwischen der
sterblichen Mutter und dem göttlichen Sohne. Ja, du erhebst mich schon durch
die Hoffnungen, die du mir giebst, durch deine Ansichten, wie ich sie auch haben
könnte, deine Ideen, wie ich sie nur dir nach haben kaun, und daß wir uns
in jener heitern Helle begegnen, die allein das wahre Element meines Gemüts
ist." Von Friedrich Schlegel zieht sie ihn ab, dafür weist sie ihn an Goethe:
„Ich wiederhole es noch einmal, warum kann ich dem Goethe nicht sagen, er
soll dich mit seinem hellen Auge unterstützen. Er wäre der einzige, der das
nötige Gewicht über dich hätte. Gieb dich wenigstens seiner Zuneigung und
seinen Hoffnungen auf dich ganz hin und denke, daß du noch liebe Freunde
hast, so gut wie das Jahrhundert sie vermag. ... Er liebet dich väterlich, ich
liebe dich mütterlich, was hast du für wunderbare Eltern!" Einmal, nachdem
sie ihm ihr ganzes Herz ausgeschüttet hat, schließt sie: „Du mußt endlich ver¬
suchen, ob du mich entbehren kannst, aber traue dir langsam darüber. Wir ge¬
hören einander an, wir sollten innig eins sein. Habe ich dir je mißtraut, du
meine Seele? Warum denn du mir? Du wirst mich fragen, ob mir denn der
Ausgang gleichgiltig ist? Ja, muß ich antworten, und wenn die süße Liebe
mich auch zurückhalten will. Ich bin meines unzerstörbaren Glückes wie meines
unheilbaren Unglückes gewiß. Das ist mein Vorrecht. Und nun laß uns
wieder in unsre bisherige Stille begeben, du hast mich so oft schon Entzücken
in ihr über dich empfinden lassen. Ja, erheitere mich mit deinen Bestrebungen
und Gedanken. Liebe mich, ich kniee vor dir nieder in Gedanken und bitte dich
darum." Einen merkwürdigen Gegensatz zu diesen Ergüssen bilden die Briefe,
die sie gleichzeitig an ihren Gatten nach Berlin schreibt. Sie sind so vertraulich,
so sorglich, so zärtlich, daß man sich unwillkürlich fragt, ob die gewandte Frau
nicht ein frevelhaftes Spiel mit ihrem „lieben Wilhelm" treibt. In Wahrheit
sind sie doch wohl nur der Beweis, daß sie mit schwesterlicher Anhänglichkeit
die Gattin Wilhelms bleiben wollte, auch während ihr Herz einem andern
gehörte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/238>, abgerufen am 22.07.2024.