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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

Schilling war trostlos, nur der Zuspruch Karolinens vermochte ihn aufzurichten,
Schlegel beklagte die Verstorbene wie sein eignes Kind, eilte zu ihrem Grabe
und gelobte, ihr ein würdiges Denkmal zu setzen. Der Bildhauer Friedrich
Tieck, des Dichters Bruder, übernahm die Ausführung, allein die Aufstellung
unterblieb. Unterdes hatte Schlegel seiner Trauer um das liebe Mädchen
wiederholt in Gedichten Ausdruck gegeben.

Bis zum 1. Oktober verweilten die drei seltsam verbundenen und getrennten
Menschen an Augustens Grabe und in Bamberg, dann ging Schelling nach
Jena zurück, und Schlegel begleitete seine Gattin nach Vrannschweig. Vorsichtig
dekretirte das hannoversche Universitätskuratorium noch jetzt, daß der Profes¬
sorin Schlegel, verwitweten Böhmer, der Aufenthalt in Göttingen nicht zu ge¬
statten sei, falls sie auf der Durchreise länger als ein paar Tage dort verweilen
würde. Schlegel blieb bis zum Februar 1801 in Vraunschweig, dann begab
er sich nach Berlin, um dort Vorlesungen zu halten, Karoline sollte später nach¬
folgen. Es kam ihr darauf an, ob sie ihren Gemahl von dem Bruder und
dessen Anhang würde losreißen können oder nicht, denn mit Friedrich, der eine
Professur an der Universität Jena anzunehmen im Begriff stand, war sie ganz
zerfallen und hatte von ihm und dessen nächsten Freunden keine Schonung zu
hoffen. Schon unmittelbar nach Augustens Tode schrieb Hardenberg (Novalis)
an Friedrich: "Der Himmel hat sich ihrer angenommen, da ihre Mutter sie
verließ und ihr Vater sie hingab. Eben auf der Schwelle der Welt mußte sie
umkehren. Sie ist einem trüben Schicksal entgangen, und laß ihr uns gluck¬
wünschen und uns freuen, daß sie ein reines, jugendliches Andenken vou dieser
Welt noch mitnahm. Der Frieden ihrer Seele komme auf Wilhelm. Für die
Mutter ist es eine ernste Warnung. Ein solches Kind läßt sich nicht so leicht
wie ein Liebhaber erhalten. Sie ist nnn ganz frei, ganz isolirt. Ich zweifle,
daß sie es so nimmt, wie es zu nehmen wäre. Die Eitelkeit ist ein unsterb¬
liches Kind."

Etwas Wahres lag in dieser Anklage. Karoline ging wirklich ernsten
Verwicklungen entgegen, jetzt, da sie sich aus dem Freundeskreise der Roman¬
tiker losmachte, bedürfte sie mehr als je einer festen Stütze. Eine solche bot
ihr der Gatte, den sie nicht betrüben, nicht verlassen wollte, keineswegs, ans
den einzigen aber, der ihr ein fester Halt im Leben sein wollte und sein konnte,
der sie liebte und von ihr mit der ganzen Glut der ersten Liebe vergöttert
ward, hatte sie kein Anrecht mehr. Vergebens kämpfte sie gegen ihre Neigung
an, vergebeus wollte sie in ihm nur den Bruder ihres verklärten Kindes, nur
den Sohn sehen. "Mein Herz, mein Leben -- ruft sie ihm im Oktober 1800
von Vraunschweig aus zu --, ich liebe dich mit meinem ganzen Wesen, zweifle
nur daran nicht! Welch ein Blitz von Glück, wie mir Schlegel gestern Abend
deinen Brief gab. Gott segne dich, sei recht ruhig, du darfst es sein." Und
einige Tage später: "Du liebst mich, und sollte die Heftigkeit des sich in dir


Dichterfreundinnen.

Schilling war trostlos, nur der Zuspruch Karolinens vermochte ihn aufzurichten,
Schlegel beklagte die Verstorbene wie sein eignes Kind, eilte zu ihrem Grabe
und gelobte, ihr ein würdiges Denkmal zu setzen. Der Bildhauer Friedrich
Tieck, des Dichters Bruder, übernahm die Ausführung, allein die Aufstellung
unterblieb. Unterdes hatte Schlegel seiner Trauer um das liebe Mädchen
wiederholt in Gedichten Ausdruck gegeben.

Bis zum 1. Oktober verweilten die drei seltsam verbundenen und getrennten
Menschen an Augustens Grabe und in Bamberg, dann ging Schelling nach
Jena zurück, und Schlegel begleitete seine Gattin nach Vrannschweig. Vorsichtig
dekretirte das hannoversche Universitätskuratorium noch jetzt, daß der Profes¬
sorin Schlegel, verwitweten Böhmer, der Aufenthalt in Göttingen nicht zu ge¬
statten sei, falls sie auf der Durchreise länger als ein paar Tage dort verweilen
würde. Schlegel blieb bis zum Februar 1801 in Vraunschweig, dann begab
er sich nach Berlin, um dort Vorlesungen zu halten, Karoline sollte später nach¬
folgen. Es kam ihr darauf an, ob sie ihren Gemahl von dem Bruder und
dessen Anhang würde losreißen können oder nicht, denn mit Friedrich, der eine
Professur an der Universität Jena anzunehmen im Begriff stand, war sie ganz
zerfallen und hatte von ihm und dessen nächsten Freunden keine Schonung zu
hoffen. Schon unmittelbar nach Augustens Tode schrieb Hardenberg (Novalis)
an Friedrich: „Der Himmel hat sich ihrer angenommen, da ihre Mutter sie
verließ und ihr Vater sie hingab. Eben auf der Schwelle der Welt mußte sie
umkehren. Sie ist einem trüben Schicksal entgangen, und laß ihr uns gluck¬
wünschen und uns freuen, daß sie ein reines, jugendliches Andenken vou dieser
Welt noch mitnahm. Der Frieden ihrer Seele komme auf Wilhelm. Für die
Mutter ist es eine ernste Warnung. Ein solches Kind läßt sich nicht so leicht
wie ein Liebhaber erhalten. Sie ist nnn ganz frei, ganz isolirt. Ich zweifle,
daß sie es so nimmt, wie es zu nehmen wäre. Die Eitelkeit ist ein unsterb¬
liches Kind."

Etwas Wahres lag in dieser Anklage. Karoline ging wirklich ernsten
Verwicklungen entgegen, jetzt, da sie sich aus dem Freundeskreise der Roman¬
tiker losmachte, bedürfte sie mehr als je einer festen Stütze. Eine solche bot
ihr der Gatte, den sie nicht betrüben, nicht verlassen wollte, keineswegs, ans
den einzigen aber, der ihr ein fester Halt im Leben sein wollte und sein konnte,
der sie liebte und von ihr mit der ganzen Glut der ersten Liebe vergöttert
ward, hatte sie kein Anrecht mehr. Vergebens kämpfte sie gegen ihre Neigung
an, vergebeus wollte sie in ihm nur den Bruder ihres verklärten Kindes, nur
den Sohn sehen. „Mein Herz, mein Leben — ruft sie ihm im Oktober 1800
von Vraunschweig aus zu —, ich liebe dich mit meinem ganzen Wesen, zweifle
nur daran nicht! Welch ein Blitz von Glück, wie mir Schlegel gestern Abend
deinen Brief gab. Gott segne dich, sei recht ruhig, du darfst es sein." Und
einige Tage später: „Du liebst mich, und sollte die Heftigkeit des sich in dir


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[0237] Dichterfreundinnen. Schilling war trostlos, nur der Zuspruch Karolinens vermochte ihn aufzurichten, Schlegel beklagte die Verstorbene wie sein eignes Kind, eilte zu ihrem Grabe und gelobte, ihr ein würdiges Denkmal zu setzen. Der Bildhauer Friedrich Tieck, des Dichters Bruder, übernahm die Ausführung, allein die Aufstellung unterblieb. Unterdes hatte Schlegel seiner Trauer um das liebe Mädchen wiederholt in Gedichten Ausdruck gegeben. Bis zum 1. Oktober verweilten die drei seltsam verbundenen und getrennten Menschen an Augustens Grabe und in Bamberg, dann ging Schelling nach Jena zurück, und Schlegel begleitete seine Gattin nach Vrannschweig. Vorsichtig dekretirte das hannoversche Universitätskuratorium noch jetzt, daß der Profes¬ sorin Schlegel, verwitweten Böhmer, der Aufenthalt in Göttingen nicht zu ge¬ statten sei, falls sie auf der Durchreise länger als ein paar Tage dort verweilen würde. Schlegel blieb bis zum Februar 1801 in Vraunschweig, dann begab er sich nach Berlin, um dort Vorlesungen zu halten, Karoline sollte später nach¬ folgen. Es kam ihr darauf an, ob sie ihren Gemahl von dem Bruder und dessen Anhang würde losreißen können oder nicht, denn mit Friedrich, der eine Professur an der Universität Jena anzunehmen im Begriff stand, war sie ganz zerfallen und hatte von ihm und dessen nächsten Freunden keine Schonung zu hoffen. Schon unmittelbar nach Augustens Tode schrieb Hardenberg (Novalis) an Friedrich: „Der Himmel hat sich ihrer angenommen, da ihre Mutter sie verließ und ihr Vater sie hingab. Eben auf der Schwelle der Welt mußte sie umkehren. Sie ist einem trüben Schicksal entgangen, und laß ihr uns gluck¬ wünschen und uns freuen, daß sie ein reines, jugendliches Andenken vou dieser Welt noch mitnahm. Der Frieden ihrer Seele komme auf Wilhelm. Für die Mutter ist es eine ernste Warnung. Ein solches Kind läßt sich nicht so leicht wie ein Liebhaber erhalten. Sie ist nnn ganz frei, ganz isolirt. Ich zweifle, daß sie es so nimmt, wie es zu nehmen wäre. Die Eitelkeit ist ein unsterb¬ liches Kind." Etwas Wahres lag in dieser Anklage. Karoline ging wirklich ernsten Verwicklungen entgegen, jetzt, da sie sich aus dem Freundeskreise der Roman¬ tiker losmachte, bedürfte sie mehr als je einer festen Stütze. Eine solche bot ihr der Gatte, den sie nicht betrüben, nicht verlassen wollte, keineswegs, ans den einzigen aber, der ihr ein fester Halt im Leben sein wollte und sein konnte, der sie liebte und von ihr mit der ganzen Glut der ersten Liebe vergöttert ward, hatte sie kein Anrecht mehr. Vergebens kämpfte sie gegen ihre Neigung an, vergebeus wollte sie in ihm nur den Bruder ihres verklärten Kindes, nur den Sohn sehen. „Mein Herz, mein Leben — ruft sie ihm im Oktober 1800 von Vraunschweig aus zu —, ich liebe dich mit meinem ganzen Wesen, zweifle nur daran nicht! Welch ein Blitz von Glück, wie mir Schlegel gestern Abend deinen Brief gab. Gott segne dich, sei recht ruhig, du darfst es sein." Und einige Tage später: „Du liebst mich, und sollte die Heftigkeit des sich in dir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/237>, abgerufen am 22.07.2024.