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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

manche Taktlosigkeit und ließ es sich gefallen, daß sie ihn dafür mit Liebe und
Begeisterung höher hoben, als sie ursprünglich wohl beabsichtigt hatten. Ka¬
roline besonders pries ihn bei jeder Gelegenheit, vertiefte sich in seine Werke
und suchte seine Gesellschaft.

Die Kritik ist der Höhepunkt der ältern Romantik. Friedrich Schlegel
war schon 1796 längere Zeit in Jena gewesen, im September 1799 kam er
wieder, die Veit, seine Vertraute, folgte ihm, auch Tieck mit seiner Frau traf
ein und Hardenberg, man genoß noch einmal die literarische Verbrüderung.

Es ist nicht uninteressant zu beobachten, wie Karoline und die ältern
Romantiker über die Weimarer Gesellschaft dachten. Über Frau Karoline
von Wolzogen schreibt sie schon 1796: "Die Schillers haben andre Gäste,
deren ich für mein geringes Teil allenfalls entübrigt (sie) wäre, das ist ihre
Schwester und Schwager, ein dicker Herr von Wolzogen, der während der
Revolution viel in Paris gewesen ist. Die Schwester ist nicht halb so natürlich
wie die Schiller und kann einem taut soit x"u Langeweile machen." Über
die Frau von Kalb 1796: "Frau von Kalb habe ich auch gesehen -- sie kann
am jüngsten Gericht als eine echte Adliche bestehen und wird so befunden werden.
Über Mangel an Artigkeit hab ich gar nicht zu klagen, allein ihr Geist, und
Geist hat sie, ist doch in eine etwas schiefe, verrenkte Form gegossen. Wer
mich entzückt und sast verliebt gemacht hat, das ist Herder. Wir hatten einen
Thee dort, zu welchem Wieland beschieden worden war, den ich in einer außer¬
ordentlich guten Laune gesehen haben soll, und es ist wahr, er sagte lustige
Sachen, unter anderen schimpfte er gegen die Schweine, deren Schöpfung er
dem lieben Gott nicht verzeihen könne, und die er in dem höchsten Anfall von
Unwillen darüber Antigrazien nannte, dann über die deinen, über Frau
von Verlcpsch, Genlis, Stael____ Madame Herder habe ich mir kleiner, sanfter,
weiblicher gedacht. Aber für die fehlgeschlagene Erwartung hat mich der Mann
belohnt. Der kurländische Accent stiehlt einem schon das Herz, und nun die
Leichtigkeit und Würde zugleich in seinem ganzen Wesen, die geistreiche Anmut
in allem, was er sagt -- er sagt kein Wort, das man nicht gerne hörte --
so hat mir denn seit langer Zeit kein Mensch gefallen, und es scheint mir sogar,
daß ich mich im Eifer sehr verwirrt darüber ausgedrückt habe. Den Mittag
drauf waren wir bei Goethe, und Herder auch, wo ich bei ihm und Knebel saß,
allein ich hatte den Kopf immer nur nach einer Seite. Goethe gab ein allerliebstes
Diner, sehr nett, ohne Überladung, legte alles selbst vor und so gewandt, daß
er immer dazwischen noch Zeit fand, uns irgend ein schönes Bild mit Worten
hinzustellen." Karoline fand freundliches Entgegenkommen, bei manchen sogar
enthusiastische Verehrung. Falk schreibt an Wilhelm Schlegel 1797: "Welch
eine Frau! Ihre ächt genialische Art, Werke der Kunst ins Auge zu fassen,
ihr freier, von allen Fesseln des Schulzwanges entfesselter Geist, der feine Takt
im einzelnen, verbunden mit einem festen Überblicke des Ganzen, und dabei die


Dichterfreundinnen.

manche Taktlosigkeit und ließ es sich gefallen, daß sie ihn dafür mit Liebe und
Begeisterung höher hoben, als sie ursprünglich wohl beabsichtigt hatten. Ka¬
roline besonders pries ihn bei jeder Gelegenheit, vertiefte sich in seine Werke
und suchte seine Gesellschaft.

Die Kritik ist der Höhepunkt der ältern Romantik. Friedrich Schlegel
war schon 1796 längere Zeit in Jena gewesen, im September 1799 kam er
wieder, die Veit, seine Vertraute, folgte ihm, auch Tieck mit seiner Frau traf
ein und Hardenberg, man genoß noch einmal die literarische Verbrüderung.

Es ist nicht uninteressant zu beobachten, wie Karoline und die ältern
Romantiker über die Weimarer Gesellschaft dachten. Über Frau Karoline
von Wolzogen schreibt sie schon 1796: „Die Schillers haben andre Gäste,
deren ich für mein geringes Teil allenfalls entübrigt (sie) wäre, das ist ihre
Schwester und Schwager, ein dicker Herr von Wolzogen, der während der
Revolution viel in Paris gewesen ist. Die Schwester ist nicht halb so natürlich
wie die Schiller und kann einem taut soit x«u Langeweile machen." Über
die Frau von Kalb 1796: „Frau von Kalb habe ich auch gesehen — sie kann
am jüngsten Gericht als eine echte Adliche bestehen und wird so befunden werden.
Über Mangel an Artigkeit hab ich gar nicht zu klagen, allein ihr Geist, und
Geist hat sie, ist doch in eine etwas schiefe, verrenkte Form gegossen. Wer
mich entzückt und sast verliebt gemacht hat, das ist Herder. Wir hatten einen
Thee dort, zu welchem Wieland beschieden worden war, den ich in einer außer¬
ordentlich guten Laune gesehen haben soll, und es ist wahr, er sagte lustige
Sachen, unter anderen schimpfte er gegen die Schweine, deren Schöpfung er
dem lieben Gott nicht verzeihen könne, und die er in dem höchsten Anfall von
Unwillen darüber Antigrazien nannte, dann über die deinen, über Frau
von Verlcpsch, Genlis, Stael____ Madame Herder habe ich mir kleiner, sanfter,
weiblicher gedacht. Aber für die fehlgeschlagene Erwartung hat mich der Mann
belohnt. Der kurländische Accent stiehlt einem schon das Herz, und nun die
Leichtigkeit und Würde zugleich in seinem ganzen Wesen, die geistreiche Anmut
in allem, was er sagt — er sagt kein Wort, das man nicht gerne hörte —
so hat mir denn seit langer Zeit kein Mensch gefallen, und es scheint mir sogar,
daß ich mich im Eifer sehr verwirrt darüber ausgedrückt habe. Den Mittag
drauf waren wir bei Goethe, und Herder auch, wo ich bei ihm und Knebel saß,
allein ich hatte den Kopf immer nur nach einer Seite. Goethe gab ein allerliebstes
Diner, sehr nett, ohne Überladung, legte alles selbst vor und so gewandt, daß
er immer dazwischen noch Zeit fand, uns irgend ein schönes Bild mit Worten
hinzustellen." Karoline fand freundliches Entgegenkommen, bei manchen sogar
enthusiastische Verehrung. Falk schreibt an Wilhelm Schlegel 1797: „Welch
eine Frau! Ihre ächt genialische Art, Werke der Kunst ins Auge zu fassen,
ihr freier, von allen Fesseln des Schulzwanges entfesselter Geist, der feine Takt
im einzelnen, verbunden mit einem festen Überblicke des Ganzen, und dabei die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/234>, abgerufen am 25.08.2024.