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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

Grazie der Weiblichkeit, die sich über alles verbreitet, was sie sagt und thut,
macht sie mir mit jedem Tage schätzbarer."

Im Jahre 1799 traten mancherlei Veränderungen ein, welche die Roman¬
tiker in Jena entzweiten und ihrem Interesse eine andre Richtung gaben. Die
Folge war, daß Karoline, die auf dem einmal gewonnenen Standpunkte ver¬
harrte, sich von ihnen trennte. Fichte, des Atheismus angeklagt, verließ bekannt¬
lich im Mai 1799 Jena und siedelte nach Berlin über, wo er von Friedrich
Schlegel und Tieck mit offnen Armen empfangen ward. Schon vorher, am
6. Oktober 1798, war der junge Schelling nach Jena gekommen und hatte sich
dem Freundeskreise der Romantiker angeschlossen, aber in ziemlich reservirter,
fast trotziger Weise. Dem Fichteschen Ich setzte er die Weltseele, der subjektive"
Weltanschauung die objektive, naturphilosophische entgegen. Über den ersten
Eindruck, den er auf Karoline machte, berichtet diese selbst an Hardenberg 1799:
"Was Schelling betrifft, so hat es nie eine sprödere Hülle gegeben. Aber
ungeachtet ich nicht sechs Minuten mit ihm zusammen bin ohne Zank, ist er
doch weit und breit das Jnteressanteste, was ich kenne, und ich wollte, wir sähen
ihn öfter und vertraulicher. Dann würde sich auch der Zank geben. Er ist
beständig auf der Wache gegen mich und die Ironie in der Schlegelschcn Fa¬
milie; weil es ihm an Fröhlichkeit mangelt, gewinnt er ihr auch so leicht die
fröhliche Seite nicht ab. Kann er nicht unbedeutend schwatzen oder sich
wissenschaftlich mitteilen, so ist er in einer Art von Spannung, die ich noch
nicht das Geheimnis gefunden habe zu lösen. Neulich haben wir seinen vier¬
undzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Er hat noch Zeit, milder zu werden.
Er hat so unbändig viel Charakter, daß man ihn nicht an seinen Charakter
zu mahnen braucht." Schon damals war es entschieden: der vicrundzwanzig-
jährige Philosoph, der "Granit," wie sie ihn nannte, imponirte der dreiund-
dreißigjcihrigen Frau gewaltig, und in demselben Maße entfernte sie sich inner¬
lich von Schlegel, dessen Schwäche sie durchschaute. "Männer, die nicht Männer
sind, machen auch des vorzüglichsten Weibes Unglück," hatte sie schon 1794
an Meyer geschrieben, als sie Forsters gedachte. Während des Jahres 1800
trat die innere Scheidung von den Brüdern Schlegel auch äußerlich hervor,
und daran war vielleicht nicht wenig schuld, daß Friedrich, der in Jena geblieben
war, mit seiner Freundin, Dorothea Veit, in ihrem Hause wohnte. Friedrichs
Lucinde hatte ihr nicht wohlgethan, mit dem Urbild derselben, Dorothea Veit,
geriet sie in MißHelligkeiten, Wilhelm sollte Partei gegen diese und den Bruder
nehmen, ward aber dabei die Kluft gewahr, die ihn von seiner Frau trennte,
und sehnte sich nach Berlin, wo ihm ein größerer Wirkungskreis winkte.

Karoline war jedoch noch weit davon entfernt, die Auflösung ihrer Ehe
zu betreiben. Im Gegenteil, sie faßte alle ihre moralische Kraft zusammen, um
einen Bruch mit Wilhelm, dem sie sich lebenslang zum größten Danke ver¬
pflichtet fühlte, zu vermeiden und doch auch ihrem Herzen zu genügen. Während


Dichterfreundinnen.

Grazie der Weiblichkeit, die sich über alles verbreitet, was sie sagt und thut,
macht sie mir mit jedem Tage schätzbarer."

Im Jahre 1799 traten mancherlei Veränderungen ein, welche die Roman¬
tiker in Jena entzweiten und ihrem Interesse eine andre Richtung gaben. Die
Folge war, daß Karoline, die auf dem einmal gewonnenen Standpunkte ver¬
harrte, sich von ihnen trennte. Fichte, des Atheismus angeklagt, verließ bekannt¬
lich im Mai 1799 Jena und siedelte nach Berlin über, wo er von Friedrich
Schlegel und Tieck mit offnen Armen empfangen ward. Schon vorher, am
6. Oktober 1798, war der junge Schelling nach Jena gekommen und hatte sich
dem Freundeskreise der Romantiker angeschlossen, aber in ziemlich reservirter,
fast trotziger Weise. Dem Fichteschen Ich setzte er die Weltseele, der subjektive«
Weltanschauung die objektive, naturphilosophische entgegen. Über den ersten
Eindruck, den er auf Karoline machte, berichtet diese selbst an Hardenberg 1799:
„Was Schelling betrifft, so hat es nie eine sprödere Hülle gegeben. Aber
ungeachtet ich nicht sechs Minuten mit ihm zusammen bin ohne Zank, ist er
doch weit und breit das Jnteressanteste, was ich kenne, und ich wollte, wir sähen
ihn öfter und vertraulicher. Dann würde sich auch der Zank geben. Er ist
beständig auf der Wache gegen mich und die Ironie in der Schlegelschcn Fa¬
milie; weil es ihm an Fröhlichkeit mangelt, gewinnt er ihr auch so leicht die
fröhliche Seite nicht ab. Kann er nicht unbedeutend schwatzen oder sich
wissenschaftlich mitteilen, so ist er in einer Art von Spannung, die ich noch
nicht das Geheimnis gefunden habe zu lösen. Neulich haben wir seinen vier¬
undzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Er hat noch Zeit, milder zu werden.
Er hat so unbändig viel Charakter, daß man ihn nicht an seinen Charakter
zu mahnen braucht." Schon damals war es entschieden: der vicrundzwanzig-
jährige Philosoph, der „Granit," wie sie ihn nannte, imponirte der dreiund-
dreißigjcihrigen Frau gewaltig, und in demselben Maße entfernte sie sich inner¬
lich von Schlegel, dessen Schwäche sie durchschaute. „Männer, die nicht Männer
sind, machen auch des vorzüglichsten Weibes Unglück," hatte sie schon 1794
an Meyer geschrieben, als sie Forsters gedachte. Während des Jahres 1800
trat die innere Scheidung von den Brüdern Schlegel auch äußerlich hervor,
und daran war vielleicht nicht wenig schuld, daß Friedrich, der in Jena geblieben
war, mit seiner Freundin, Dorothea Veit, in ihrem Hause wohnte. Friedrichs
Lucinde hatte ihr nicht wohlgethan, mit dem Urbild derselben, Dorothea Veit,
geriet sie in MißHelligkeiten, Wilhelm sollte Partei gegen diese und den Bruder
nehmen, ward aber dabei die Kluft gewahr, die ihn von seiner Frau trennte,
und sehnte sich nach Berlin, wo ihm ein größerer Wirkungskreis winkte.

Karoline war jedoch noch weit davon entfernt, die Auflösung ihrer Ehe
zu betreiben. Im Gegenteil, sie faßte alle ihre moralische Kraft zusammen, um
einen Bruch mit Wilhelm, dem sie sich lebenslang zum größten Danke ver¬
pflichtet fühlte, zu vermeiden und doch auch ihrem Herzen zu genügen. Während


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[0235] Dichterfreundinnen. Grazie der Weiblichkeit, die sich über alles verbreitet, was sie sagt und thut, macht sie mir mit jedem Tage schätzbarer." Im Jahre 1799 traten mancherlei Veränderungen ein, welche die Roman¬ tiker in Jena entzweiten und ihrem Interesse eine andre Richtung gaben. Die Folge war, daß Karoline, die auf dem einmal gewonnenen Standpunkte ver¬ harrte, sich von ihnen trennte. Fichte, des Atheismus angeklagt, verließ bekannt¬ lich im Mai 1799 Jena und siedelte nach Berlin über, wo er von Friedrich Schlegel und Tieck mit offnen Armen empfangen ward. Schon vorher, am 6. Oktober 1798, war der junge Schelling nach Jena gekommen und hatte sich dem Freundeskreise der Romantiker angeschlossen, aber in ziemlich reservirter, fast trotziger Weise. Dem Fichteschen Ich setzte er die Weltseele, der subjektive« Weltanschauung die objektive, naturphilosophische entgegen. Über den ersten Eindruck, den er auf Karoline machte, berichtet diese selbst an Hardenberg 1799: „Was Schelling betrifft, so hat es nie eine sprödere Hülle gegeben. Aber ungeachtet ich nicht sechs Minuten mit ihm zusammen bin ohne Zank, ist er doch weit und breit das Jnteressanteste, was ich kenne, und ich wollte, wir sähen ihn öfter und vertraulicher. Dann würde sich auch der Zank geben. Er ist beständig auf der Wache gegen mich und die Ironie in der Schlegelschcn Fa¬ milie; weil es ihm an Fröhlichkeit mangelt, gewinnt er ihr auch so leicht die fröhliche Seite nicht ab. Kann er nicht unbedeutend schwatzen oder sich wissenschaftlich mitteilen, so ist er in einer Art von Spannung, die ich noch nicht das Geheimnis gefunden habe zu lösen. Neulich haben wir seinen vier¬ undzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Er hat noch Zeit, milder zu werden. Er hat so unbändig viel Charakter, daß man ihn nicht an seinen Charakter zu mahnen braucht." Schon damals war es entschieden: der vicrundzwanzig- jährige Philosoph, der „Granit," wie sie ihn nannte, imponirte der dreiund- dreißigjcihrigen Frau gewaltig, und in demselben Maße entfernte sie sich inner¬ lich von Schlegel, dessen Schwäche sie durchschaute. „Männer, die nicht Männer sind, machen auch des vorzüglichsten Weibes Unglück," hatte sie schon 1794 an Meyer geschrieben, als sie Forsters gedachte. Während des Jahres 1800 trat die innere Scheidung von den Brüdern Schlegel auch äußerlich hervor, und daran war vielleicht nicht wenig schuld, daß Friedrich, der in Jena geblieben war, mit seiner Freundin, Dorothea Veit, in ihrem Hause wohnte. Friedrichs Lucinde hatte ihr nicht wohlgethan, mit dem Urbild derselben, Dorothea Veit, geriet sie in MißHelligkeiten, Wilhelm sollte Partei gegen diese und den Bruder nehmen, ward aber dabei die Kluft gewahr, die ihn von seiner Frau trennte, und sehnte sich nach Berlin, wo ihm ein größerer Wirkungskreis winkte. Karoline war jedoch noch weit davon entfernt, die Auflösung ihrer Ehe zu betreiben. Im Gegenteil, sie faßte alle ihre moralische Kraft zusammen, um einen Bruch mit Wilhelm, dem sie sich lebenslang zum größten Danke ver¬ pflichtet fühlte, zu vermeiden und doch auch ihrem Herzen zu genügen. Während

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/235>, abgerufen am 22.07.2024.