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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

bin ich übrigens gewiß nicht -- ich teile den ausgezeichnet bitteren Haß, den
man auf Forster geworfen hat. Man irrt sich in dem, was man über meine
Verbindung mit ihm glaubt -- um seinetwillen allein will man mich als Geißel
betrachten. . . . Muß ich nicht sogar fürchten, daß gehässige Gerüchte meine hilf¬
reichen Freunde von mir abwende"? Daß sie an meinem Charakter irre werden,
den wütende Menschen, die nie mich persönlich kannten, darstellen, wie es ihr
Gesichtskreis mit sich bringt? Hier ist uur von willkürlichem Verfahren, von
falschen Gerüchten die Rede. Geißel soll ich sein darum: Mainzer Bürger sind
als Geißeln nach Straßbnrg geführt, man sucht sie frei zu machen, ehe Mainz
übergeht, um nicht da etwa Verbrecher entwischen lassen zu müssen. Man will
die Weiber schrecken, denen man genaue Verbindungen, wenn auch nicht avouirte,
mit französischen Bürgern zutraut. Mich soll Förster erlösen. Das kann Forster
nicht, und ich werd's nie von ihm fordern, denn wir stehen nicht in diesem
Verhältnis. . . . Gehen Sie hin, lieber Götter, und sehen Sie den schrecklichen
Aufenthalt, den ich gestern verlassen habe, atmen Sie die schneidende Luft ein,
die dort herrscht, lassen Sie sich von dem durch die schädlichsten Dünste ver¬
pesteten Zugwind durchwehen, sehen Sie die traurigen Gestalten, die stunden-
lang in das Freie getrieben werden, um das Ungeziefer abzuschütteln, vor dem
Sie dann Mühe haben, sich selbst zu hüten, deuten Sie sich in einem Zimmer
mit sieben andern Menschen, ohne einen Augenblick von Ruhe und Stille und
genötigt, sich stündlich mit der Reinigung dessen, was Sie umgiebt, zu be¬
schäftigen, damit sie im Staube nicht vergehen, und dann ein Herz voll der
tiefsten Indignation gegen die gepriesene Gerechtigkeit, die mit jedem Tage
durch die Klagen Unglücklicher vermehrt wird, welche ohne Untersuchung dort
schmachten, wie sie von ungefähr aufgegriffen wurden. . . . Und doch war das
Ungemach der Gegenwart nichts gegen die übrigen Folgen meines barbarischen
VerHaftes. Meine Gesundheit ist sehr geschwächt, aber wahrlich die innere
Heiterkeit meiner Seele so wenig, daß ich heute den Mut habe, mich noch in
einem eignen Zimmer, wo es Stühle giebt (seit dem 8. April sah ich nur hohe
hölzerne Bänke) und an einem Orte, wo ich keine Gefangenwärter und Wache
mehr zu sehen brauche, glücklich zu fühlen, so heftig mein Kopf schmerzt und
ein unaufhörlicher Husten, der ganz anhaltend geworden ist, mich plagt."

Alle Hebel setzte sie in Bewegung, um ihre gänzliche Freilassung zu er¬
wirken. Götter, Wilhelm von Humboldt, der Kvadjutor Karl Theodor von
Dalberg, alle einflußreichen Männer in der Umgebung des Mainzer Kurfürsten
sucht sie zu bewegen, ihr beizustehen -- vergeblich. Da eilte ihr jüngster
Bruder Philipp aus Italien herbei, um sie zu retten. Seinen Bemühungen
gelang es, sie frei zu machen. Er wandte sich mit einer gut unterstützten
Bittschrift an den König von Preußen, Friedrich Wilhelm gewann Interesse
an der Sache, und trotz aller Widersetzlichkeiten der Mainzer Minister wies
er seinen Kommandanten in Frankfurt an, sie freizugeben.


Dichterfreundinnen.

bin ich übrigens gewiß nicht — ich teile den ausgezeichnet bitteren Haß, den
man auf Forster geworfen hat. Man irrt sich in dem, was man über meine
Verbindung mit ihm glaubt — um seinetwillen allein will man mich als Geißel
betrachten. . . . Muß ich nicht sogar fürchten, daß gehässige Gerüchte meine hilf¬
reichen Freunde von mir abwende»? Daß sie an meinem Charakter irre werden,
den wütende Menschen, die nie mich persönlich kannten, darstellen, wie es ihr
Gesichtskreis mit sich bringt? Hier ist uur von willkürlichem Verfahren, von
falschen Gerüchten die Rede. Geißel soll ich sein darum: Mainzer Bürger sind
als Geißeln nach Straßbnrg geführt, man sucht sie frei zu machen, ehe Mainz
übergeht, um nicht da etwa Verbrecher entwischen lassen zu müssen. Man will
die Weiber schrecken, denen man genaue Verbindungen, wenn auch nicht avouirte,
mit französischen Bürgern zutraut. Mich soll Förster erlösen. Das kann Forster
nicht, und ich werd's nie von ihm fordern, denn wir stehen nicht in diesem
Verhältnis. . . . Gehen Sie hin, lieber Götter, und sehen Sie den schrecklichen
Aufenthalt, den ich gestern verlassen habe, atmen Sie die schneidende Luft ein,
die dort herrscht, lassen Sie sich von dem durch die schädlichsten Dünste ver¬
pesteten Zugwind durchwehen, sehen Sie die traurigen Gestalten, die stunden-
lang in das Freie getrieben werden, um das Ungeziefer abzuschütteln, vor dem
Sie dann Mühe haben, sich selbst zu hüten, deuten Sie sich in einem Zimmer
mit sieben andern Menschen, ohne einen Augenblick von Ruhe und Stille und
genötigt, sich stündlich mit der Reinigung dessen, was Sie umgiebt, zu be¬
schäftigen, damit sie im Staube nicht vergehen, und dann ein Herz voll der
tiefsten Indignation gegen die gepriesene Gerechtigkeit, die mit jedem Tage
durch die Klagen Unglücklicher vermehrt wird, welche ohne Untersuchung dort
schmachten, wie sie von ungefähr aufgegriffen wurden. . . . Und doch war das
Ungemach der Gegenwart nichts gegen die übrigen Folgen meines barbarischen
VerHaftes. Meine Gesundheit ist sehr geschwächt, aber wahrlich die innere
Heiterkeit meiner Seele so wenig, daß ich heute den Mut habe, mich noch in
einem eignen Zimmer, wo es Stühle giebt (seit dem 8. April sah ich nur hohe
hölzerne Bänke) und an einem Orte, wo ich keine Gefangenwärter und Wache
mehr zu sehen brauche, glücklich zu fühlen, so heftig mein Kopf schmerzt und
ein unaufhörlicher Husten, der ganz anhaltend geworden ist, mich plagt."

Alle Hebel setzte sie in Bewegung, um ihre gänzliche Freilassung zu er¬
wirken. Götter, Wilhelm von Humboldt, der Kvadjutor Karl Theodor von
Dalberg, alle einflußreichen Männer in der Umgebung des Mainzer Kurfürsten
sucht sie zu bewegen, ihr beizustehen — vergeblich. Da eilte ihr jüngster
Bruder Philipp aus Italien herbei, um sie zu retten. Seinen Bemühungen
gelang es, sie frei zu machen. Er wandte sich mit einer gut unterstützten
Bittschrift an den König von Preußen, Friedrich Wilhelm gewann Interesse
an der Sache, und trotz aller Widersetzlichkeiten der Mainzer Minister wies
er seinen Kommandanten in Frankfurt an, sie freizugeben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/188>, abgerufen am 22.07.2024.