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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

Ihre Leiden waren aber damit nicht zu Ende. Sie war und blieb politisch
sowohl als moralisch verfehmt, eine Ausgestoßene, Gemiedene, Verworfene. Es
ist bekannt, daß die Deutschen ihr Befreiungswerk der Rheinlande durch grau¬
same Bestrafung aller derer schändeten, die Sympathien für die französische
Revolution gezeigt hatten. Die Freundin Forsters wurde mit gehässigen Ge¬
rüchten gepeinigt, die ihren guten Ruf vernichteten und selbst ihre Freunde irre
machten. Wohin sie sich wenden mochte, sie wurde von den Behörden aus¬
gewiesen, von der guten Gesellschaft gemieden. Es gehörte der ganze Herois¬
mus ihrer starken geistigen Natur dazu, sie vom Untergange zu erretten. "Ich
bin nun isolirt in der Welt -- schreibt sie noch von Krvnenberg aus an
Meyer --, aber Mutter, und als solche will ich mich zu erhalte" und zu retten
suchen. ... Ich muß bald vom Schauplatze abtreten können, wenn ich nicht zu
Grunde gehen soll. Wollte Gott, Sie waren in der Nähe, und ich könnte
Sie sprechen. Über meine Schuld und Unschuld kann ich Ihnen nur das sagen,
daß ich seit dem Jünner für alles politische Interesse taub und tot war. Im
Anfang schwärmte ich herzlich, und Forsters Meinung zog natürlich die meine
mit sich fort, aber nie bin ich öffentliche noch geheime Proselytenmacherin ge¬
wesen, und in meinem Leben nicht aristokratisch zurückhaltender, als in dieser
demokratischen Zeit. Von allem, dessen mau mich beschuldigt, ist nichts wahr.
Bei der strengsten Untersuchung kann nur eine Unvorsichtigkeit gegen mich
zeugen, von der ich noch nicht in Erfahrung bringen konnte, ob man sie weiß,
und die gerade nur Mangel an Klugheit ist."

Wo warm um die Männer, denen sie so freigebig ihr Herz entgegen¬
gebracht hatte? Wer nahm sich ihrer an? Meyer wich aus, wollte sie nicht
nach Berlin ziehen, wandte sich vornehm aristokratisch ab. Ihr zärtlicher
Prinzenhofmeister Tadler? "Tadler hätte mich durch etwas mehr männlichen
Mut und ein entscheidendes Wort retten können, der einzige Mann, dessen
Schutz ich je begehrte, versagte ihn mir. Meine sehr entschiedne instinktmäßige
Neigung zur Unabhängigkeit ließ mir's nie zu, meine Gewalt über irgend einen
andern nützen zu wollen. Tadler wird sich quälen, warum konnte er nur das
für mich? Er wollte nicht glücklich sein, und für mich verfloß die Zeit auch,
wo Entbehrung Genuß ist. Hätte Tadler im Dezember, wo ich ihm ängstlich
über meine Zukunft schrieb, gesagt: Verlasse Mainz! so hätte ich ihm gehorcht;
statt dessen heißt's: Ich bin in Verzweiflung, nichts für dich thun zu können.
Meine Geduld brach, mein Herz wurde frei, und in dieser Lage, bei solcher
Bestimmungslosigkeit meinte ich nichts Besseres thun zu können, als einem
Freunde trübe Stunden erleichtern und mich übrigens zu zerstreuen." Selbst
besonnene Männer, wie der berühmte Naturforscher Sömmering, Forsters
Freund, urteilten sehr hart über sie: sie müsse sich sehr tief in die Revolution
eingelassen haben, durch sie sei Forster in die Politik hineingesetzt worden, sie
habe die Trennung Theresens von ihm betrieben und ihn durchaus heiraten


Dichterfreundinnen.

Ihre Leiden waren aber damit nicht zu Ende. Sie war und blieb politisch
sowohl als moralisch verfehmt, eine Ausgestoßene, Gemiedene, Verworfene. Es
ist bekannt, daß die Deutschen ihr Befreiungswerk der Rheinlande durch grau¬
same Bestrafung aller derer schändeten, die Sympathien für die französische
Revolution gezeigt hatten. Die Freundin Forsters wurde mit gehässigen Ge¬
rüchten gepeinigt, die ihren guten Ruf vernichteten und selbst ihre Freunde irre
machten. Wohin sie sich wenden mochte, sie wurde von den Behörden aus¬
gewiesen, von der guten Gesellschaft gemieden. Es gehörte der ganze Herois¬
mus ihrer starken geistigen Natur dazu, sie vom Untergange zu erretten. „Ich
bin nun isolirt in der Welt — schreibt sie noch von Krvnenberg aus an
Meyer —, aber Mutter, und als solche will ich mich zu erhalte» und zu retten
suchen. ... Ich muß bald vom Schauplatze abtreten können, wenn ich nicht zu
Grunde gehen soll. Wollte Gott, Sie waren in der Nähe, und ich könnte
Sie sprechen. Über meine Schuld und Unschuld kann ich Ihnen nur das sagen,
daß ich seit dem Jünner für alles politische Interesse taub und tot war. Im
Anfang schwärmte ich herzlich, und Forsters Meinung zog natürlich die meine
mit sich fort, aber nie bin ich öffentliche noch geheime Proselytenmacherin ge¬
wesen, und in meinem Leben nicht aristokratisch zurückhaltender, als in dieser
demokratischen Zeit. Von allem, dessen mau mich beschuldigt, ist nichts wahr.
Bei der strengsten Untersuchung kann nur eine Unvorsichtigkeit gegen mich
zeugen, von der ich noch nicht in Erfahrung bringen konnte, ob man sie weiß,
und die gerade nur Mangel an Klugheit ist."

Wo warm um die Männer, denen sie so freigebig ihr Herz entgegen¬
gebracht hatte? Wer nahm sich ihrer an? Meyer wich aus, wollte sie nicht
nach Berlin ziehen, wandte sich vornehm aristokratisch ab. Ihr zärtlicher
Prinzenhofmeister Tadler? „Tadler hätte mich durch etwas mehr männlichen
Mut und ein entscheidendes Wort retten können, der einzige Mann, dessen
Schutz ich je begehrte, versagte ihn mir. Meine sehr entschiedne instinktmäßige
Neigung zur Unabhängigkeit ließ mir's nie zu, meine Gewalt über irgend einen
andern nützen zu wollen. Tadler wird sich quälen, warum konnte er nur das
für mich? Er wollte nicht glücklich sein, und für mich verfloß die Zeit auch,
wo Entbehrung Genuß ist. Hätte Tadler im Dezember, wo ich ihm ängstlich
über meine Zukunft schrieb, gesagt: Verlasse Mainz! so hätte ich ihm gehorcht;
statt dessen heißt's: Ich bin in Verzweiflung, nichts für dich thun zu können.
Meine Geduld brach, mein Herz wurde frei, und in dieser Lage, bei solcher
Bestimmungslosigkeit meinte ich nichts Besseres thun zu können, als einem
Freunde trübe Stunden erleichtern und mich übrigens zu zerstreuen." Selbst
besonnene Männer, wie der berühmte Naturforscher Sömmering, Forsters
Freund, urteilten sehr hart über sie: sie müsse sich sehr tief in die Revolution
eingelassen haben, durch sie sei Forster in die Politik hineingesetzt worden, sie
habe die Trennung Theresens von ihm betrieben und ihn durchaus heiraten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/189>, abgerufen am 22.07.2024.