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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

Auch ist den Hunden das orientalische Phlegma eigen und jede besondre Auf¬
regung ihnen verhaßt; sie sind Anhänger eines unbedingten Kisineth und werden
deshalb wütend, nicht wenn es irgendwo brennt, sondern wenn die Feuerwehr
löscht. Auf dem Seraskierturm in Stambul, der Station der Feuermehr,
fielen mir eine Menge von stumpfen Spieße" ans; mit ihnen werden die Pom-
piers bewaffnet, um, wenn sie nach der Feuerstätte eilen, die aufgeregten und
sie anfallenden Hunde vou sich abzuwehren. Bei alledem darf man aber nicht
denken, daß die Hunde nutzlos seien; sie haben vielmehr eine hohe Kulturauf-
gabe zu erfüllen, welche den Stadtteilen Konstantinopels das hohe Budget
erspart, das bei uns für die Straßcnreinigung bestimmt ist. Des Nachts, d. h.
vor dem Schlafengehen, wird aus den Häusern Müll und Unrat, der sich tags¬
über innen angesammelt hat, auf der einfachsten, schon von Xanthippe zur An¬
wendung gebrachten Weise auf die Straße geschüttet. Einen solchen Moment
verwerten die Hunde, welche mit der Nacht unruhiger werden, um sich auf das
Herausgeschüttete zu stürzen und aufzuzehren, was überhaupt zu verzehren
möglich ist. Das ist aber schon eine große Menge; das übrige bleibt liegen,
bis es der Wind verweht oder der Regen fortwäscht oder zu neuem Bindemittel
des Pflasters verwendet. Also Achtung vor den Hunden! Unbegreiflich, daß
die Türken das nicht anerkennen und ihre Feinde gerade mit dem Namen dieser
für sie so nützlichen Tiere belegen.

Mein erster Ausgang sollte nach -- Asien sein. Einen fremden Weltteil
zu betreten, hat so viel des Reizvollen und Erhabenen, daß ich so schnell als
möglich diesen Eindruck auf mich wirken lassen wollte. So fuhren wir mit
unsern türkischen Freunden auf dem Dampfer nach Skutari, dem asiatischen
Teile der Stadt. Kaum gelandet, werden wir von einer Masse Pfcrdevermieter
mit ihren Tieren umringt; man glaubt mitten in eine Herde wilder Tiere und
Menschen geraten zu sein. Da gilt kein Mustern, kein Überlegen, jede Wahl
und Willensfreiheit ist ausgeschlossen; ehe man sichs versieht, sitzt man auf dem
Rücken eines Pferdes und nun geht es, heidi! vorwärts. Ich dankte trotzdem
dieser Gelegenheit, die mich wenigstens in den Stand setzte, meiner Umgebung
eine größere Aufmerksamkeit zu schenken. In Skutari wohnen keine Europäer,
hier ist echtes Asien, alles türkisch. Die Straßen eng und schmutzig, das
Pflaster von der gleichen Beschaffenheit wie in Pera. Die Häuser sind unan¬
sehnlich und alle von Holz gebaut, doch mit vorstehenden Erkern, sodaß man
zuweilen in eine alte süddeutsche Stadt versetzt zu sein glaubt; immer lassen
sich die zwei Teile des Hauses erkennen; der eine, dessen Fenster freien Einblick
gewähren, ist für die Männer bestimmt (Salemlik); der andre mit vergitterten
Fenstern birgt die so sorgsam gehüteten Frauen (Haremlik). Aus den Straßen
herrscht reges Leben; die Werkstätten der Handwerker liegen offen am Wege,
ebenso die Kramläden, denn von großen Magazinen ist hier keine Rede, diese
sind vielmehr im Bazar vereinigt. Wir hatten übrigens nicht viel Zeit, Be-


Line Fahrt in den Grient.

Auch ist den Hunden das orientalische Phlegma eigen und jede besondre Auf¬
regung ihnen verhaßt; sie sind Anhänger eines unbedingten Kisineth und werden
deshalb wütend, nicht wenn es irgendwo brennt, sondern wenn die Feuerwehr
löscht. Auf dem Seraskierturm in Stambul, der Station der Feuermehr,
fielen mir eine Menge von stumpfen Spieße» ans; mit ihnen werden die Pom-
piers bewaffnet, um, wenn sie nach der Feuerstätte eilen, die aufgeregten und
sie anfallenden Hunde vou sich abzuwehren. Bei alledem darf man aber nicht
denken, daß die Hunde nutzlos seien; sie haben vielmehr eine hohe Kulturauf-
gabe zu erfüllen, welche den Stadtteilen Konstantinopels das hohe Budget
erspart, das bei uns für die Straßcnreinigung bestimmt ist. Des Nachts, d. h.
vor dem Schlafengehen, wird aus den Häusern Müll und Unrat, der sich tags¬
über innen angesammelt hat, auf der einfachsten, schon von Xanthippe zur An¬
wendung gebrachten Weise auf die Straße geschüttet. Einen solchen Moment
verwerten die Hunde, welche mit der Nacht unruhiger werden, um sich auf das
Herausgeschüttete zu stürzen und aufzuzehren, was überhaupt zu verzehren
möglich ist. Das ist aber schon eine große Menge; das übrige bleibt liegen,
bis es der Wind verweht oder der Regen fortwäscht oder zu neuem Bindemittel
des Pflasters verwendet. Also Achtung vor den Hunden! Unbegreiflich, daß
die Türken das nicht anerkennen und ihre Feinde gerade mit dem Namen dieser
für sie so nützlichen Tiere belegen.

Mein erster Ausgang sollte nach — Asien sein. Einen fremden Weltteil
zu betreten, hat so viel des Reizvollen und Erhabenen, daß ich so schnell als
möglich diesen Eindruck auf mich wirken lassen wollte. So fuhren wir mit
unsern türkischen Freunden auf dem Dampfer nach Skutari, dem asiatischen
Teile der Stadt. Kaum gelandet, werden wir von einer Masse Pfcrdevermieter
mit ihren Tieren umringt; man glaubt mitten in eine Herde wilder Tiere und
Menschen geraten zu sein. Da gilt kein Mustern, kein Überlegen, jede Wahl
und Willensfreiheit ist ausgeschlossen; ehe man sichs versieht, sitzt man auf dem
Rücken eines Pferdes und nun geht es, heidi! vorwärts. Ich dankte trotzdem
dieser Gelegenheit, die mich wenigstens in den Stand setzte, meiner Umgebung
eine größere Aufmerksamkeit zu schenken. In Skutari wohnen keine Europäer,
hier ist echtes Asien, alles türkisch. Die Straßen eng und schmutzig, das
Pflaster von der gleichen Beschaffenheit wie in Pera. Die Häuser sind unan¬
sehnlich und alle von Holz gebaut, doch mit vorstehenden Erkern, sodaß man
zuweilen in eine alte süddeutsche Stadt versetzt zu sein glaubt; immer lassen
sich die zwei Teile des Hauses erkennen; der eine, dessen Fenster freien Einblick
gewähren, ist für die Männer bestimmt (Salemlik); der andre mit vergitterten
Fenstern birgt die so sorgsam gehüteten Frauen (Haremlik). Aus den Straßen
herrscht reges Leben; die Werkstätten der Handwerker liegen offen am Wege,
ebenso die Kramläden, denn von großen Magazinen ist hier keine Rede, diese
sind vielmehr im Bazar vereinigt. Wir hatten übrigens nicht viel Zeit, Be-


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[0150] Line Fahrt in den Grient. Auch ist den Hunden das orientalische Phlegma eigen und jede besondre Auf¬ regung ihnen verhaßt; sie sind Anhänger eines unbedingten Kisineth und werden deshalb wütend, nicht wenn es irgendwo brennt, sondern wenn die Feuerwehr löscht. Auf dem Seraskierturm in Stambul, der Station der Feuermehr, fielen mir eine Menge von stumpfen Spieße» ans; mit ihnen werden die Pom- piers bewaffnet, um, wenn sie nach der Feuerstätte eilen, die aufgeregten und sie anfallenden Hunde vou sich abzuwehren. Bei alledem darf man aber nicht denken, daß die Hunde nutzlos seien; sie haben vielmehr eine hohe Kulturauf- gabe zu erfüllen, welche den Stadtteilen Konstantinopels das hohe Budget erspart, das bei uns für die Straßcnreinigung bestimmt ist. Des Nachts, d. h. vor dem Schlafengehen, wird aus den Häusern Müll und Unrat, der sich tags¬ über innen angesammelt hat, auf der einfachsten, schon von Xanthippe zur An¬ wendung gebrachten Weise auf die Straße geschüttet. Einen solchen Moment verwerten die Hunde, welche mit der Nacht unruhiger werden, um sich auf das Herausgeschüttete zu stürzen und aufzuzehren, was überhaupt zu verzehren möglich ist. Das ist aber schon eine große Menge; das übrige bleibt liegen, bis es der Wind verweht oder der Regen fortwäscht oder zu neuem Bindemittel des Pflasters verwendet. Also Achtung vor den Hunden! Unbegreiflich, daß die Türken das nicht anerkennen und ihre Feinde gerade mit dem Namen dieser für sie so nützlichen Tiere belegen. Mein erster Ausgang sollte nach — Asien sein. Einen fremden Weltteil zu betreten, hat so viel des Reizvollen und Erhabenen, daß ich so schnell als möglich diesen Eindruck auf mich wirken lassen wollte. So fuhren wir mit unsern türkischen Freunden auf dem Dampfer nach Skutari, dem asiatischen Teile der Stadt. Kaum gelandet, werden wir von einer Masse Pfcrdevermieter mit ihren Tieren umringt; man glaubt mitten in eine Herde wilder Tiere und Menschen geraten zu sein. Da gilt kein Mustern, kein Überlegen, jede Wahl und Willensfreiheit ist ausgeschlossen; ehe man sichs versieht, sitzt man auf dem Rücken eines Pferdes und nun geht es, heidi! vorwärts. Ich dankte trotzdem dieser Gelegenheit, die mich wenigstens in den Stand setzte, meiner Umgebung eine größere Aufmerksamkeit zu schenken. In Skutari wohnen keine Europäer, hier ist echtes Asien, alles türkisch. Die Straßen eng und schmutzig, das Pflaster von der gleichen Beschaffenheit wie in Pera. Die Häuser sind unan¬ sehnlich und alle von Holz gebaut, doch mit vorstehenden Erkern, sodaß man zuweilen in eine alte süddeutsche Stadt versetzt zu sein glaubt; immer lassen sich die zwei Teile des Hauses erkennen; der eine, dessen Fenster freien Einblick gewähren, ist für die Männer bestimmt (Salemlik); der andre mit vergitterten Fenstern birgt die so sorgsam gehüteten Frauen (Haremlik). Aus den Straßen herrscht reges Leben; die Werkstätten der Handwerker liegen offen am Wege, ebenso die Kramläden, denn von großen Magazinen ist hier keine Rede, diese sind vielmehr im Bazar vereinigt. Wir hatten übrigens nicht viel Zeit, Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/150>, abgerufen am 01.07.2024.