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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Das Goethe-Jahrbuch.

gramigen Pädagogen keineswegs zu achten ist; der wahre Schauspieler hat einen
zu großen Vorsprung, als daß ihn solche Grillenfänger sobald einholen sollten."
Dazu bemerkt der Herausgeber: "Die griesgrämiger Pädagogen sind zweifels¬
ohne Berliner Kritiker, über die Zelter oft derbe Worte braucht, Kritiker, welche
solchen Experimenten mißgünstig zusahen." Daß diese Deutung nicht paßt, liegt
auf der Hand. Sollte man nicht von Geiger bei seiner hervorragenden Stellung
in Sachen Goethes erwarten, er werde sich jener vielberufenen Stelle in den kurz
vorher erschienenen "Wanderjahren" erinnert haben, in welcher sich die Vor¬
steher der pädagogischen Provinz, von ihrem Standpunkte mit Recht, so un¬
günstig über die alle übrigen Künste verderbende Schauspielkunst äußern?

Wenden wir uns endlich zu dem neuesten Jahrgange. Eröffnet wird er
zu unsrer Verwunderung durch zwei Gedichte auf Goethe und Scherer. Alles
zu seiner Zeit! Aber Geiger hofft, der Beifall der Leser werde ihn ermuntern,
ähnliche Zeugnisse (?) zeitgenössischer Dichter zu sammeln und durch eine solche
Zusammenstellung die innige Verknüpfung auch unsrer Dichter mit unserm größten
Meister darzuthun. Dies liegt aber sicher außerhalb des Rahmen eines Goethe-
Jcchrbnchs. Den eigentlichen Anfang bildet eine reiche Sammlung ungedruckter
Briefe, von denen nur einer von Goethe (an Walter Scott) ist, die andern (es
sind ihrer achtzig) größtenteils an ihn gerichtet siud, von Frau von Stael,
Ugo Foscvlv (es ist die einzige Spur eiuer Verbindung des Nachahmers von
"Werthers Leiden" mit Goethe), Manzoni, Oehlenschlciger, Herder, dessen Frau
und Sohn Angust, Schillers Gattin, Körner, Alexander, Wilhelm und Karoline
von Humboldt und Niebuhr. Bei Übersendung dieser Briefe schrieb der Direktor
des Goethearchivs an Geiger: "Die Arbeit, alles auf seine Neuheit hin zu
prüfen, Undatirtes richtig einzureihen und die nötigen Erläuterungen beizufügen,
bleibt Ihnen bis auf gar weniges aufgespart. Nur habe ich den Nummern
aus den Quartalhcften immer ein ungefähres Datum beigefügt, wo es aus der
Nachbarschaft, freilich oft sehr unsicher, zu erschließen war." Geiger hat diese
Aufgabe höchst unzureichend gelöst und nur, wo die Sache handgreiflich war,
das Nötige beigefügt. Der erste Brief der Stael ist von mir schon in meinem
Leben der Stein inhaltlich angeführt und im Schnorrschen "Archiv" vollständig
gegeben worden. Er ist so merkwürdig, daß niemand, der ihn einmal gelesen
hat, ihn je ganz vergessen wird. Für Geiger war er ungedruckt. Von großer
Bedeutung siud Herders Briefe. Auf Geigers Wunsch hat Snphan einiges
dazu bemerkt, sicher ohne zu glciubeu, damit die volle Erläuterung gegeben zu
haben. Seine Bemerkungen sind natürlich richtig, nur gegen die zu Brief 14
sei angeführt, daß ich nicht das Billet Herders 92 einem bestimmten Jahre
zugeschrieben habe, und daß Goethes Aufsatz von den farbigen Schatten erst im
Juli 1793 geschrieben wurde. Die beiden ersten Briefe aus Rom (Dezember
1788) sind sehr bezeichnend. Aber finden sich im Goethearchiv keine frühern
von Herder, oder siud solche für eine andre Gelegenheit zurückgelegt? Höchst


Das Goethe-Jahrbuch.

gramigen Pädagogen keineswegs zu achten ist; der wahre Schauspieler hat einen
zu großen Vorsprung, als daß ihn solche Grillenfänger sobald einholen sollten."
Dazu bemerkt der Herausgeber: „Die griesgrämiger Pädagogen sind zweifels¬
ohne Berliner Kritiker, über die Zelter oft derbe Worte braucht, Kritiker, welche
solchen Experimenten mißgünstig zusahen." Daß diese Deutung nicht paßt, liegt
auf der Hand. Sollte man nicht von Geiger bei seiner hervorragenden Stellung
in Sachen Goethes erwarten, er werde sich jener vielberufenen Stelle in den kurz
vorher erschienenen „Wanderjahren" erinnert haben, in welcher sich die Vor¬
steher der pädagogischen Provinz, von ihrem Standpunkte mit Recht, so un¬
günstig über die alle übrigen Künste verderbende Schauspielkunst äußern?

Wenden wir uns endlich zu dem neuesten Jahrgange. Eröffnet wird er
zu unsrer Verwunderung durch zwei Gedichte auf Goethe und Scherer. Alles
zu seiner Zeit! Aber Geiger hofft, der Beifall der Leser werde ihn ermuntern,
ähnliche Zeugnisse (?) zeitgenössischer Dichter zu sammeln und durch eine solche
Zusammenstellung die innige Verknüpfung auch unsrer Dichter mit unserm größten
Meister darzuthun. Dies liegt aber sicher außerhalb des Rahmen eines Goethe-
Jcchrbnchs. Den eigentlichen Anfang bildet eine reiche Sammlung ungedruckter
Briefe, von denen nur einer von Goethe (an Walter Scott) ist, die andern (es
sind ihrer achtzig) größtenteils an ihn gerichtet siud, von Frau von Stael,
Ugo Foscvlv (es ist die einzige Spur eiuer Verbindung des Nachahmers von
„Werthers Leiden" mit Goethe), Manzoni, Oehlenschlciger, Herder, dessen Frau
und Sohn Angust, Schillers Gattin, Körner, Alexander, Wilhelm und Karoline
von Humboldt und Niebuhr. Bei Übersendung dieser Briefe schrieb der Direktor
des Goethearchivs an Geiger: „Die Arbeit, alles auf seine Neuheit hin zu
prüfen, Undatirtes richtig einzureihen und die nötigen Erläuterungen beizufügen,
bleibt Ihnen bis auf gar weniges aufgespart. Nur habe ich den Nummern
aus den Quartalhcften immer ein ungefähres Datum beigefügt, wo es aus der
Nachbarschaft, freilich oft sehr unsicher, zu erschließen war." Geiger hat diese
Aufgabe höchst unzureichend gelöst und nur, wo die Sache handgreiflich war,
das Nötige beigefügt. Der erste Brief der Stael ist von mir schon in meinem
Leben der Stein inhaltlich angeführt und im Schnorrschen „Archiv" vollständig
gegeben worden. Er ist so merkwürdig, daß niemand, der ihn einmal gelesen
hat, ihn je ganz vergessen wird. Für Geiger war er ungedruckt. Von großer
Bedeutung siud Herders Briefe. Auf Geigers Wunsch hat Snphan einiges
dazu bemerkt, sicher ohne zu glciubeu, damit die volle Erläuterung gegeben zu
haben. Seine Bemerkungen sind natürlich richtig, nur gegen die zu Brief 14
sei angeführt, daß ich nicht das Billet Herders 92 einem bestimmten Jahre
zugeschrieben habe, und daß Goethes Aufsatz von den farbigen Schatten erst im
Juli 1793 geschrieben wurde. Die beiden ersten Briefe aus Rom (Dezember
1788) sind sehr bezeichnend. Aber finden sich im Goethearchiv keine frühern
von Herder, oder siud solche für eine andre Gelegenheit zurückgelegt? Höchst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/88>, abgerufen am 05.07.2024.