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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Das Goethe-Jahrbuch,

der Parteilichkeit Thür und Thor. Zur Errichtung eines kritischen Richter¬
stuhles hatte der Herausgeber nach seinem Programm kein Recht, aber dieser ward
ihm eine werte Errungenschaft, um seine Freunde zu erheben, diejenigen, die
ihm nicht genehm sind, nach Möglichkeit herabzusetzen, die einen mit Bücklingen
zu empfangen, selbst wenn sie den Raum des Jahrbuchs für ihre Berichtigung
von Druckfehlern und Versehen mißbrauchen, dagegen bei den andern das
Breuuusschwert mit dem Vs-s viotis! in die Wagschale zu werfen.

Wie dem Glücklichen alles zum Vorteil gereicht, so gewann Geiger die
Gunst des freien deutschen Hochstiftes, dessen frühere Verwaltung er leiden¬
schaftlich bekämpft hatte, und so gewährte dieses für den sechsten Band eine
"namhafte Unterstützung" (bedürfte das Jahrbuch einer solche" schon?) und
stellte eine noch nähere Verbindung mit ihm in Aussicht. Dagegen unterblieben
diesmal durch besondre Umstände die Mitteilungen aus dem Goethearchiv. So
bot denn der Band unter den "Neuen Mitteilungen" von Geothe selbst nur
ein Gedicht und siebzehn Schreiben (zum Teil amtliche), wozu in ein paar Auf¬
sätzen noch zwei andre kamen. Daß das Gedicht schon gleich nach Goethes Tod
von A. Nicolovins herausgegeben worden war, war Geiger unbekannt. Von
den als ungedruckt bezeichneten Mitteilungen von Zeitgenossen waren längst
gedruckt die höchst bedeutenden Briefe Knebels an Lavater vom 1. September 1780
(bei Hegner) und Riemer vom 6. Februar 1806 (sogar viel ausführlicher von
Riemer selbst herausgegeben) und der von Gerning an Goethe vom 21. März
1811. So wenig beherrscht Geiger sein Gebiet. Die beiden diesmal hinzu-
getretenen Abteilungen "Aus seltenen und vergessenen Büchern" und "Aus
Briefen" dürften kaum als eine wünschenswerte Bereicherung zu betrachten sein.

Bald darauf wurde Geiger das Glück zu Teil, daß die nach dem Aus-
sterben des Goethischen Stammes gebildete Goethegesellschaft sein Jahrbuch
zu ihrem Organ wühlte, wodurch freilich dessen eigentlicher Umfang des Jahres¬
berichts wegen um ein paar Bogen verkürzt wurde, aber es erhielt einen viel
bedeutenden, Wirkungskreis, da es allen Mitgliedern der Goethegesellschaft frei
geliefert wird. Man sollte denken, der Herausgeber sei dadurch zu einer
würdigeren Lösung seiner Aufgabe getrieben wordeu, habe immer größern Fleiß
darauf verwandt und seiner rücksichtlos die Wahrheit entstellenden Parteilichkeit
entsagt. Leider geschah dies nicht. Auf die vielen groben Druckfehler und Ver¬
sehen, die er sich bei den von der Goethegesellschaft ihm anvertrauten so be¬
deutenden Leipziger Studentcnbriefen hat zu Schulden kommen lassen, will ich
hier nicht noch einmal zurückkommen, aber stark ist es jedenfalls, daß diese im
achten Bande nicht berichtigt sind, da sie doch an allgemein zugänglichen Orlen
gerügt worden waren. Von den sonstigen Versehen in diesem Bande hebe ich
nur eines hervor. In dem Briefe an den Schauspieler P. A. Wolff vom
21. September 1821 heißt es: "Dieses Wunder seie Toten zu erwecke,^ gelingt
der Schauspielerkunst mehr als einer andern; deshalb denn auch auf jene grief-


Das Goethe-Jahrbuch,

der Parteilichkeit Thür und Thor. Zur Errichtung eines kritischen Richter¬
stuhles hatte der Herausgeber nach seinem Programm kein Recht, aber dieser ward
ihm eine werte Errungenschaft, um seine Freunde zu erheben, diejenigen, die
ihm nicht genehm sind, nach Möglichkeit herabzusetzen, die einen mit Bücklingen
zu empfangen, selbst wenn sie den Raum des Jahrbuchs für ihre Berichtigung
von Druckfehlern und Versehen mißbrauchen, dagegen bei den andern das
Breuuusschwert mit dem Vs-s viotis! in die Wagschale zu werfen.

Wie dem Glücklichen alles zum Vorteil gereicht, so gewann Geiger die
Gunst des freien deutschen Hochstiftes, dessen frühere Verwaltung er leiden¬
schaftlich bekämpft hatte, und so gewährte dieses für den sechsten Band eine
„namhafte Unterstützung" (bedürfte das Jahrbuch einer solche» schon?) und
stellte eine noch nähere Verbindung mit ihm in Aussicht. Dagegen unterblieben
diesmal durch besondre Umstände die Mitteilungen aus dem Goethearchiv. So
bot denn der Band unter den „Neuen Mitteilungen" von Geothe selbst nur
ein Gedicht und siebzehn Schreiben (zum Teil amtliche), wozu in ein paar Auf¬
sätzen noch zwei andre kamen. Daß das Gedicht schon gleich nach Goethes Tod
von A. Nicolovins herausgegeben worden war, war Geiger unbekannt. Von
den als ungedruckt bezeichneten Mitteilungen von Zeitgenossen waren längst
gedruckt die höchst bedeutenden Briefe Knebels an Lavater vom 1. September 1780
(bei Hegner) und Riemer vom 6. Februar 1806 (sogar viel ausführlicher von
Riemer selbst herausgegeben) und der von Gerning an Goethe vom 21. März
1811. So wenig beherrscht Geiger sein Gebiet. Die beiden diesmal hinzu-
getretenen Abteilungen „Aus seltenen und vergessenen Büchern" und „Aus
Briefen" dürften kaum als eine wünschenswerte Bereicherung zu betrachten sein.

Bald darauf wurde Geiger das Glück zu Teil, daß die nach dem Aus-
sterben des Goethischen Stammes gebildete Goethegesellschaft sein Jahrbuch
zu ihrem Organ wühlte, wodurch freilich dessen eigentlicher Umfang des Jahres¬
berichts wegen um ein paar Bogen verkürzt wurde, aber es erhielt einen viel
bedeutenden, Wirkungskreis, da es allen Mitgliedern der Goethegesellschaft frei
geliefert wird. Man sollte denken, der Herausgeber sei dadurch zu einer
würdigeren Lösung seiner Aufgabe getrieben wordeu, habe immer größern Fleiß
darauf verwandt und seiner rücksichtlos die Wahrheit entstellenden Parteilichkeit
entsagt. Leider geschah dies nicht. Auf die vielen groben Druckfehler und Ver¬
sehen, die er sich bei den von der Goethegesellschaft ihm anvertrauten so be¬
deutenden Leipziger Studentcnbriefen hat zu Schulden kommen lassen, will ich
hier nicht noch einmal zurückkommen, aber stark ist es jedenfalls, daß diese im
achten Bande nicht berichtigt sind, da sie doch an allgemein zugänglichen Orlen
gerügt worden waren. Von den sonstigen Versehen in diesem Bande hebe ich
nur eines hervor. In dem Briefe an den Schauspieler P. A. Wolff vom
21. September 1821 heißt es: „Dieses Wunder seie Toten zu erwecke,^ gelingt
der Schauspielerkunst mehr als einer andern; deshalb denn auch auf jene grief-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/87>, abgerufen am 03.07.2024.