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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Stammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England.

und alles, was an ihnen ist, thun, um zu verhindern, daß Sachsen eine preußische
Provinz werde. Gleichermaßen muß verhindert werden, daß Preußen Mainz
erwerbe und auch nur irgend einen Teil des Gebietes links von der Mosel,
muß man Holland behilflich sein, seine Grenze soweit wie möglich auf dem
rechten Ufer der Maas vorzuschieben, muß man die Ansprüche auf Vergrößerung,
welche Baiern, Hessen, Braunschweig und besonders Hannover erheben werden,
unterstützen, damit die für Preußen zur Verfügung bleibenden Gebiete so klein
wie möglich werden."

In der Ausführung dieses Planes stieß Talleyrand anfangs auf starken
Widerstand bei dem englischen Bevollmächtigten Lord Castlerecigh. Dieser, so
berichtet er am 19. Oktober 1814 dem Könige, wolle Preußen so stark wie
möglich machen und eng mit Österreich verbinden, um beide Frankreich entgegen¬
zusetzen. Dem Zwecke würde nichts besser entspreche", als Sachsen an Preußen
zu geben. England sei in diesem Punkte fest entschlossen und dringe in Öster¬
reich, sich einverstanden zu erklären. In der That hatte Castlerecigh in den
ersten Tagen des Monats*) an den Fürsten Hardenberg ein Schreiben gerichtet,
in welchem er mit dem Bestreben, beredt zu sein, sogar mit einem Anfluge von
Wärme, den Anspruch Preußens auf Sachse" billigt und die dagegen erhobenen
Einwände widerlegt. "Ist es ungerecht -- schreibt er --, daß die Verbündeten,
nach den Anstrengungen, welche sie für die Sache Europas gemacht haben, bis
auf einen gewissen Punkt entschädigt werden für die Gefahren, welche sie be¬
standen, für die Verluste, welche sie erlitten haben? Niemand wird so unver¬
nünftig sein, einen solchen Satz zu verteidigen. Welches andre Mittel gäbe es,
sie zu entschädigen, als ans Kosten der Mächte, die sich vergrößert haben dank
ihrem Eifer für den gemeinen Feind, und die der gemeinen Sache der Befreiung
Europas ihre Hilfe versagten, als sich eine günstige Gelegenheit fand, dazu mit¬
zuwirken? Solches ist ganz besonders der Fall des Königs von Sachsen und
seines Verhaltens, das ihn vor alle" andern Souveräne" auszeichnet. Welcher
andern Macht könnte die Last der Entschädigung Preußens gerechter auferlegt
werde" als derjenigen, welche das erste und hauptsächlichste Werkzeug der Zer¬
stückelung Preußens gewesen ist, und später durch ihre Winkelzüge oder ihre
Feigherzigkeit oder ihre" Ehrgeiz wesentlich die Opfer verursacht hat, welche
Preußen zu bringen hatte, um einen Teil des Verlorne" wieder z" gewinnen?
sCastlereagh "".'int die polnischen Provinzen, die Preußen ii" Tilsiter Frieden
abtreten mußte und die zu dem Herzogtum Warschau, dem Geschenk Napoleons
an den König von Sachen, geschlagen wurden.^ Der König vo" Sachsen hat
kein Recht, wieder eingesetzt oder entschädigt zu werden; er mag sich an die
Milde (inäulAsnoo) der Eroberer sseiner Länder^ wenden, und wenn sie ihm eine



*) In Angebcrgs Oovxrss als Vignns ist dieses Schreiben "Wien, Oktober 1314" ohne
den Tag datirt und hinter ein zweites, weiterhin erwähntes vom 11. Oktober gestellt; es muß
aber, wie der Inhalt beider beweist, um einige Tage älter sein.
Stammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England.

und alles, was an ihnen ist, thun, um zu verhindern, daß Sachsen eine preußische
Provinz werde. Gleichermaßen muß verhindert werden, daß Preußen Mainz
erwerbe und auch nur irgend einen Teil des Gebietes links von der Mosel,
muß man Holland behilflich sein, seine Grenze soweit wie möglich auf dem
rechten Ufer der Maas vorzuschieben, muß man die Ansprüche auf Vergrößerung,
welche Baiern, Hessen, Braunschweig und besonders Hannover erheben werden,
unterstützen, damit die für Preußen zur Verfügung bleibenden Gebiete so klein
wie möglich werden."

In der Ausführung dieses Planes stieß Talleyrand anfangs auf starken
Widerstand bei dem englischen Bevollmächtigten Lord Castlerecigh. Dieser, so
berichtet er am 19. Oktober 1814 dem Könige, wolle Preußen so stark wie
möglich machen und eng mit Österreich verbinden, um beide Frankreich entgegen¬
zusetzen. Dem Zwecke würde nichts besser entspreche», als Sachsen an Preußen
zu geben. England sei in diesem Punkte fest entschlossen und dringe in Öster¬
reich, sich einverstanden zu erklären. In der That hatte Castlerecigh in den
ersten Tagen des Monats*) an den Fürsten Hardenberg ein Schreiben gerichtet,
in welchem er mit dem Bestreben, beredt zu sein, sogar mit einem Anfluge von
Wärme, den Anspruch Preußens auf Sachse» billigt und die dagegen erhobenen
Einwände widerlegt. „Ist es ungerecht — schreibt er —, daß die Verbündeten,
nach den Anstrengungen, welche sie für die Sache Europas gemacht haben, bis
auf einen gewissen Punkt entschädigt werden für die Gefahren, welche sie be¬
standen, für die Verluste, welche sie erlitten haben? Niemand wird so unver¬
nünftig sein, einen solchen Satz zu verteidigen. Welches andre Mittel gäbe es,
sie zu entschädigen, als ans Kosten der Mächte, die sich vergrößert haben dank
ihrem Eifer für den gemeinen Feind, und die der gemeinen Sache der Befreiung
Europas ihre Hilfe versagten, als sich eine günstige Gelegenheit fand, dazu mit¬
zuwirken? Solches ist ganz besonders der Fall des Königs von Sachsen und
seines Verhaltens, das ihn vor alle» andern Souveräne» auszeichnet. Welcher
andern Macht könnte die Last der Entschädigung Preußens gerechter auferlegt
werde» als derjenigen, welche das erste und hauptsächlichste Werkzeug der Zer¬
stückelung Preußens gewesen ist, und später durch ihre Winkelzüge oder ihre
Feigherzigkeit oder ihre» Ehrgeiz wesentlich die Opfer verursacht hat, welche
Preußen zu bringen hatte, um einen Teil des Verlorne» wieder z» gewinnen?
sCastlereagh »».'int die polnischen Provinzen, die Preußen ii» Tilsiter Frieden
abtreten mußte und die zu dem Herzogtum Warschau, dem Geschenk Napoleons
an den König von Sachen, geschlagen wurden.^ Der König vo» Sachsen hat
kein Recht, wieder eingesetzt oder entschädigt zu werden; er mag sich an die
Milde (inäulAsnoo) der Eroberer sseiner Länder^ wenden, und wenn sie ihm eine



*) In Angebcrgs Oovxrss als Vignns ist dieses Schreiben „Wien, Oktober 1314" ohne
den Tag datirt und hinter ein zweites, weiterhin erwähntes vom 11. Oktober gestellt; es muß
aber, wie der Inhalt beider beweist, um einige Tage älter sein.
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[0557] Stammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England. und alles, was an ihnen ist, thun, um zu verhindern, daß Sachsen eine preußische Provinz werde. Gleichermaßen muß verhindert werden, daß Preußen Mainz erwerbe und auch nur irgend einen Teil des Gebietes links von der Mosel, muß man Holland behilflich sein, seine Grenze soweit wie möglich auf dem rechten Ufer der Maas vorzuschieben, muß man die Ansprüche auf Vergrößerung, welche Baiern, Hessen, Braunschweig und besonders Hannover erheben werden, unterstützen, damit die für Preußen zur Verfügung bleibenden Gebiete so klein wie möglich werden." In der Ausführung dieses Planes stieß Talleyrand anfangs auf starken Widerstand bei dem englischen Bevollmächtigten Lord Castlerecigh. Dieser, so berichtet er am 19. Oktober 1814 dem Könige, wolle Preußen so stark wie möglich machen und eng mit Österreich verbinden, um beide Frankreich entgegen¬ zusetzen. Dem Zwecke würde nichts besser entspreche», als Sachsen an Preußen zu geben. England sei in diesem Punkte fest entschlossen und dringe in Öster¬ reich, sich einverstanden zu erklären. In der That hatte Castlerecigh in den ersten Tagen des Monats*) an den Fürsten Hardenberg ein Schreiben gerichtet, in welchem er mit dem Bestreben, beredt zu sein, sogar mit einem Anfluge von Wärme, den Anspruch Preußens auf Sachse» billigt und die dagegen erhobenen Einwände widerlegt. „Ist es ungerecht — schreibt er —, daß die Verbündeten, nach den Anstrengungen, welche sie für die Sache Europas gemacht haben, bis auf einen gewissen Punkt entschädigt werden für die Gefahren, welche sie be¬ standen, für die Verluste, welche sie erlitten haben? Niemand wird so unver¬ nünftig sein, einen solchen Satz zu verteidigen. Welches andre Mittel gäbe es, sie zu entschädigen, als ans Kosten der Mächte, die sich vergrößert haben dank ihrem Eifer für den gemeinen Feind, und die der gemeinen Sache der Befreiung Europas ihre Hilfe versagten, als sich eine günstige Gelegenheit fand, dazu mit¬ zuwirken? Solches ist ganz besonders der Fall des Königs von Sachsen und seines Verhaltens, das ihn vor alle» andern Souveräne» auszeichnet. Welcher andern Macht könnte die Last der Entschädigung Preußens gerechter auferlegt werde» als derjenigen, welche das erste und hauptsächlichste Werkzeug der Zer¬ stückelung Preußens gewesen ist, und später durch ihre Winkelzüge oder ihre Feigherzigkeit oder ihre» Ehrgeiz wesentlich die Opfer verursacht hat, welche Preußen zu bringen hatte, um einen Teil des Verlorne» wieder z» gewinnen? sCastlereagh »».'int die polnischen Provinzen, die Preußen ii» Tilsiter Frieden abtreten mußte und die zu dem Herzogtum Warschau, dem Geschenk Napoleons an den König von Sachen, geschlagen wurden.^ Der König vo» Sachsen hat kein Recht, wieder eingesetzt oder entschädigt zu werden; er mag sich an die Milde (inäulAsnoo) der Eroberer sseiner Länder^ wenden, und wenn sie ihm eine *) In Angebcrgs Oovxrss als Vignns ist dieses Schreiben „Wien, Oktober 1314" ohne den Tag datirt und hinter ein zweites, weiterhin erwähntes vom 11. Oktober gestellt; es muß aber, wie der Inhalt beider beweist, um einige Tage älter sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/557>, abgerufen am 23.07.2024.