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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Stammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England.

Hauses darüber auszudrücken, daß die Regierung die Politik, die Integrität
Dänemarks zu wahren, nicht festgehalten habe. Mit der schwachen Majorität
von 313 gegen 295 wurde der Antrag abgelehnt. Am 8. Mai 1866 erklärte
Clarendon den Krieg, der auszubrechen drohte, für grundlos und nicht zu recht¬
fertigen. Um die Reihe englischer Staatsmänner aller Farben zu vervoll¬
ständigen, sei noch erwähnt, daß Lord Grey am 9. Mai 1864 dem Oberhause
die unrichtige Mitteilung machte, daß die österreichische Flotte von der dänischen
bei Helgoland geschlagen sei und damit lebhafte Cheers erntete.

Als die preußische Regierung es nicht im Interesse des Staates fand, sich
an dem Kriege gegen Rußland zu beteiligen, in welchen die Engländer nach
einem Worte Lord Clarendons wie ein steuerlvses Schiff getrieben (ärikwct)
waren, richtiger gesagt, sich hatten von Louis Napoleon bugsiren lassen, machte
sich die schlechte Laune, die im Parlament, in der Regierung, in der Presse,
bei Hofe herrschte, durch sehr verletzende Äußerungen Luft, z. B. dnrch den in
den Grenzboten vom 16. Februar 1882 (Ur. 8) beleuchteten Brief des Prinzen
Albert an Herrn von Stvckmar vom 8. Mai 1854. Und als die Negierung
von ihrer Not um Mannschaften dazu getrieben wurde, eine deutsche Legion
anzuwerben, erging man sich im Unterhause in wenig schmeichelhaften Äußerungen
über diese Waffenbrüder.

Unter dem frischen Eindrnck der Schlacht bei Bette-Alliance, die man in
Deutschland nicht Schlacht bei Waterloo nennen sollte, fand Blücher in England
einen sympathischen Empfang; aber die preußischen Militärschriftsteller haben
heute noch damit zu thun, die abgüustigen Entstellungen der englischen über
den 18. Juni 1815 zu berichtigen. Was England auf dem Wiener Kongreß
Preußen gewesen war, hat Treitschke im ersten Bande seiner deutschen Geschichte
anschaulich gemacht; seitdem hat der Briefwechsel Talleyrands mit Ludwig XVIII.
noch den Punkt auf das i gesetzt. In den von Talleyrand selbst verfaßten
Instruktionen, welche der König ihm nach Wien mitgab, heißt es u. a.: "In
Italien kommt es darauf an, zu verhindern, daß Österreich herrsche, indem man
seinem Einfluß widerstrebende Einflüsse entgegensetzt; in Deutschland gilt das¬
selbe für Preußen. Die körperliche Beschaffenheit dieser Monarchie macht ihr
den Ehrgeiz gewissermaßen zu einer Notwendigkeit. Wie man sagt, haben die
Verbündeten sich verpflichtet, derselben das Machtverhältnis zurückzugeben,
welches sie vor ihrem Falle hatte, das heißt zehn Millionen Einwohner. Ließe
man das geschehen, so würde Preuße" bald zwanzig Millionen haben und ganz
Deutschland sich unterwerfen. Es ist daher nötig, seinem Ehrgeiz einen Zügel
anzulegen, indem man erstens seinen Besitzstand in Deutschland soviel wie mög¬
lich beschränkt und zweitens durch die Gestaltung des Bundes seinen Einfluß
beschränkt. Sein Besitzstand wird beschränkt werden dnrch die Erhaltung aller
kleinen und die Vergrößerung aller Mittelstaaten. Die Botschafter des Königs
werden daher mit allen Mitteln die Sache des Königs von Sachsen verteidigen


Stammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England.

Hauses darüber auszudrücken, daß die Regierung die Politik, die Integrität
Dänemarks zu wahren, nicht festgehalten habe. Mit der schwachen Majorität
von 313 gegen 295 wurde der Antrag abgelehnt. Am 8. Mai 1866 erklärte
Clarendon den Krieg, der auszubrechen drohte, für grundlos und nicht zu recht¬
fertigen. Um die Reihe englischer Staatsmänner aller Farben zu vervoll¬
ständigen, sei noch erwähnt, daß Lord Grey am 9. Mai 1864 dem Oberhause
die unrichtige Mitteilung machte, daß die österreichische Flotte von der dänischen
bei Helgoland geschlagen sei und damit lebhafte Cheers erntete.

Als die preußische Regierung es nicht im Interesse des Staates fand, sich
an dem Kriege gegen Rußland zu beteiligen, in welchen die Engländer nach
einem Worte Lord Clarendons wie ein steuerlvses Schiff getrieben (ärikwct)
waren, richtiger gesagt, sich hatten von Louis Napoleon bugsiren lassen, machte
sich die schlechte Laune, die im Parlament, in der Regierung, in der Presse,
bei Hofe herrschte, durch sehr verletzende Äußerungen Luft, z. B. dnrch den in
den Grenzboten vom 16. Februar 1882 (Ur. 8) beleuchteten Brief des Prinzen
Albert an Herrn von Stvckmar vom 8. Mai 1854. Und als die Negierung
von ihrer Not um Mannschaften dazu getrieben wurde, eine deutsche Legion
anzuwerben, erging man sich im Unterhause in wenig schmeichelhaften Äußerungen
über diese Waffenbrüder.

Unter dem frischen Eindrnck der Schlacht bei Bette-Alliance, die man in
Deutschland nicht Schlacht bei Waterloo nennen sollte, fand Blücher in England
einen sympathischen Empfang; aber die preußischen Militärschriftsteller haben
heute noch damit zu thun, die abgüustigen Entstellungen der englischen über
den 18. Juni 1815 zu berichtigen. Was England auf dem Wiener Kongreß
Preußen gewesen war, hat Treitschke im ersten Bande seiner deutschen Geschichte
anschaulich gemacht; seitdem hat der Briefwechsel Talleyrands mit Ludwig XVIII.
noch den Punkt auf das i gesetzt. In den von Talleyrand selbst verfaßten
Instruktionen, welche der König ihm nach Wien mitgab, heißt es u. a.: „In
Italien kommt es darauf an, zu verhindern, daß Österreich herrsche, indem man
seinem Einfluß widerstrebende Einflüsse entgegensetzt; in Deutschland gilt das¬
selbe für Preußen. Die körperliche Beschaffenheit dieser Monarchie macht ihr
den Ehrgeiz gewissermaßen zu einer Notwendigkeit. Wie man sagt, haben die
Verbündeten sich verpflichtet, derselben das Machtverhältnis zurückzugeben,
welches sie vor ihrem Falle hatte, das heißt zehn Millionen Einwohner. Ließe
man das geschehen, so würde Preuße» bald zwanzig Millionen haben und ganz
Deutschland sich unterwerfen. Es ist daher nötig, seinem Ehrgeiz einen Zügel
anzulegen, indem man erstens seinen Besitzstand in Deutschland soviel wie mög¬
lich beschränkt und zweitens durch die Gestaltung des Bundes seinen Einfluß
beschränkt. Sein Besitzstand wird beschränkt werden dnrch die Erhaltung aller
kleinen und die Vergrößerung aller Mittelstaaten. Die Botschafter des Königs
werden daher mit allen Mitteln die Sache des Königs von Sachsen verteidigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/556>, abgerufen am 23.07.2024.