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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Hans Pöhnls Volksbiihnenspiele.

des uralten Motivs der Witwe von Ephesus dar, nämlich die Geschichte der
Gismunda; das vierte behandelt das Feenmärchen Ritter Staufenberg
und die schöne Meerfei, eine Variation der schönen Melusine, die uns durch
den duftigen Aquarellenzyklus Moritz vou Schwinds in schönster Erinnerung ge¬
blieben ist; das fünfte endlich führt in Pöhnls geliebte Heimat Wien und ver¬
herrlicht die Gestalt des lieben Augustin. Man darf Wohl annehmen, daß
diese Geschichten jedem Leser bekannt sind, und es ist daher unnötig, sie wieder¬
zuerzählen.

Es läßt sich nun gar nicht leugnen, daß Pöhnl sich in diesen Stücken als
ein begabter Dramatiker bekundet. Er versteht zu exponiren, zu spannen, drastisch
zu wirken, stimmungsvolle Szenen zu schaffen. Er weiß Charaktere einander
gegenüber zu stellen, ja sogar dichterische Symbolik kennt er. Man muß sein
Bemühen anerkennen, realistisch zu motiviren, die Menschen erst nach und nach
zur Entfaltung ihres Innersten zu leiten. Seine Gestaltungskraft ist auch nicht
unbedeutend, die leidenschaftliche Gismunda, der starre Tancred, der hypochon¬
drische arme Heinrich: das sind Menschen, die leben, denen wir nachempfinden
können. Allein nicht überall ist es Pöhnl gelungen, das wunderliche und wunder¬
bare Märchen uns, das heißt denen, die nicht mehr Kinder sind, sondern mit
nüchterner Weltkenntnis im Parterre sitzen und die Vorgänge da oben auf
der Bühne betrachten, wahrscheinlich und erträglich zu machen. Es bleibt uns
doch ein bloßes Spiel, wenn wir die herzensgute Hadwig bereit sehen, buch¬
stäblich ihr Herzblut für die Genesung des armen Heinrichs zu vergießen. Wir
wissen ja, daß es damit nicht ernst gemeint sein kann, und bleiben deshalb
kühle Zuschauer. Ebenso bei der Magelone, wo Seeräuber das junge Glück
der Liebenden stören -- für unsre Weltordnung giebt es keine Seeräuber. Im
Theater sind wir Zuschauer ja auch naiv, aber doch naiv in unsrer Art, als
Kinder des neunzehnten Jahrhunderts. Wir find nicht Fanatiker des Modernen
in der Weise, daß wir auf der Bühne unsre Alltagsmisere, unsre soziale Frage,
unsern Stadtskandal, unsre allernächste geschichtliche Vergangenheit ansehen wollen.
Durchaus nicht! Wir gehen mit, wenn uns Antigone vorgeführt wird, oder
Heinrich der Löwe, oder Napoleon, wir sind gleich bereit, jede Geschichte anzu¬
hören, wenn sie nur in einer Art dargestellt wird, die unsrer Art, die Welt zu
nehmen, die Menschen zu beurteilen, entspricht. Darum hat uns die leidenschaft¬
liche Gismunda gefesselt, wenn wir auch den alten Tancred schlechtweg für einen
alten Narren halten müssen und damit viel an der tragischen Ergriffenheit ein¬
büßen. Dagegen kommt uns doch im Ritter Staufenberg die ganze Geschichte,
die auf der Bühne vorgeht, närrisch vor, höchstens ini Ballet würden wir sie
ertragen. Man denke: der edle Ritter Dimmringer von Staufenberg verliebt sich
in die schöne Wassernixe Freudilla, die am Psingstsonntag am Zwölfstein er¬
scheint. Sie wird die Seinige unter der Bedingung, daß er niemals ein andres
Weib, nicht etwa besitze, nein, nur nicht kirchlich heirate -- für unser sittliches


Hans Pöhnls Volksbiihnenspiele.

des uralten Motivs der Witwe von Ephesus dar, nämlich die Geschichte der
Gismunda; das vierte behandelt das Feenmärchen Ritter Staufenberg
und die schöne Meerfei, eine Variation der schönen Melusine, die uns durch
den duftigen Aquarellenzyklus Moritz vou Schwinds in schönster Erinnerung ge¬
blieben ist; das fünfte endlich führt in Pöhnls geliebte Heimat Wien und ver¬
herrlicht die Gestalt des lieben Augustin. Man darf Wohl annehmen, daß
diese Geschichten jedem Leser bekannt sind, und es ist daher unnötig, sie wieder¬
zuerzählen.

Es läßt sich nun gar nicht leugnen, daß Pöhnl sich in diesen Stücken als
ein begabter Dramatiker bekundet. Er versteht zu exponiren, zu spannen, drastisch
zu wirken, stimmungsvolle Szenen zu schaffen. Er weiß Charaktere einander
gegenüber zu stellen, ja sogar dichterische Symbolik kennt er. Man muß sein
Bemühen anerkennen, realistisch zu motiviren, die Menschen erst nach und nach
zur Entfaltung ihres Innersten zu leiten. Seine Gestaltungskraft ist auch nicht
unbedeutend, die leidenschaftliche Gismunda, der starre Tancred, der hypochon¬
drische arme Heinrich: das sind Menschen, die leben, denen wir nachempfinden
können. Allein nicht überall ist es Pöhnl gelungen, das wunderliche und wunder¬
bare Märchen uns, das heißt denen, die nicht mehr Kinder sind, sondern mit
nüchterner Weltkenntnis im Parterre sitzen und die Vorgänge da oben auf
der Bühne betrachten, wahrscheinlich und erträglich zu machen. Es bleibt uns
doch ein bloßes Spiel, wenn wir die herzensgute Hadwig bereit sehen, buch¬
stäblich ihr Herzblut für die Genesung des armen Heinrichs zu vergießen. Wir
wissen ja, daß es damit nicht ernst gemeint sein kann, und bleiben deshalb
kühle Zuschauer. Ebenso bei der Magelone, wo Seeräuber das junge Glück
der Liebenden stören — für unsre Weltordnung giebt es keine Seeräuber. Im
Theater sind wir Zuschauer ja auch naiv, aber doch naiv in unsrer Art, als
Kinder des neunzehnten Jahrhunderts. Wir find nicht Fanatiker des Modernen
in der Weise, daß wir auf der Bühne unsre Alltagsmisere, unsre soziale Frage,
unsern Stadtskandal, unsre allernächste geschichtliche Vergangenheit ansehen wollen.
Durchaus nicht! Wir gehen mit, wenn uns Antigone vorgeführt wird, oder
Heinrich der Löwe, oder Napoleon, wir sind gleich bereit, jede Geschichte anzu¬
hören, wenn sie nur in einer Art dargestellt wird, die unsrer Art, die Welt zu
nehmen, die Menschen zu beurteilen, entspricht. Darum hat uns die leidenschaft¬
liche Gismunda gefesselt, wenn wir auch den alten Tancred schlechtweg für einen
alten Narren halten müssen und damit viel an der tragischen Ergriffenheit ein¬
büßen. Dagegen kommt uns doch im Ritter Staufenberg die ganze Geschichte,
die auf der Bühne vorgeht, närrisch vor, höchstens ini Ballet würden wir sie
ertragen. Man denke: der edle Ritter Dimmringer von Staufenberg verliebt sich
in die schöne Wassernixe Freudilla, die am Psingstsonntag am Zwölfstein er¬
scheint. Sie wird die Seinige unter der Bedingung, daß er niemals ein andres
Weib, nicht etwa besitze, nein, nur nicht kirchlich heirate — für unser sittliches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/542>, abgerufen am 23.07.2024.