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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Hans Pöhnls volksbühnensxiele.

neuen Stücken und wir fahnden nach ihnen. Man bespricht die thatsächliche"
Übelstände in der Geschäftsführung und in der künstlerischen Leitung der ein¬
zelnen Bühnen; da beklagt eine Partei die Zurücksetzung eines bedeutenden
Dramatikers, dort die Bevorzugung der Franzosen -- kurz, es sind immer ein¬
zelne Verhältnisse, die in Betracht kommen, und alle Klagen laufen genau be¬
sehen in den einen Wunsch zusammen: die liebe Vorsehung möge uns einen
dramatischen Genius bescheeren, der nicht bloß seine Freunde, sondern auch die
Nation zu befriedigen und das Publikum ins Theater zu locken vermöchte.

Da erscheint Herr Hans Pöhnl, wirft fünf "Volksbühnenspiele" ans den
Markt und schreibt dazu eine gewaltige Vorrede, in der er den Nachweis zu
erbringen sucht, daß wir Deutsche überhaupt noch kein nationales Theater be¬
sitzen, daß hierin das A und O aller Theatermisere stecke, und daß schließlich
seine eignen Volksbühnenstücke jenes vielgesuchte erlösende Heil bringen: "Will
unsre moderne Bühne dazu berufen sein, eine deutsche Volksbühne im Sinne
eines nationalen Vildungsinstituts zu werden, so muß sie daran gehen, unser
Publikum mit diesen ^meinen, Pöhnlschen^ Dichtungen vertraut zu machen."
Zuversichtlicher kann selbst derjenige nicht sprechen, der sich als unmittelbaren
Abgesandten Gottes fühlt. Indes wir lassen uns nicht von diesem gewaltigen
Selbstgefühl abschrecken; man ist an solche Erscheinungen im Gebiete aller Künste
gewöhnt, wenn auch zum Glück die größere Anzahl von Dichtern den guten
Geschmack hat, das eigne Lob nicht den eignen Werken vorzudrucken. Und
Pöhnl hat auch seine gute Seite. Bescheiden ist er zwar nicht, aber er ist
sicherlich ein ehrlicher Mann. Man gewinnt die Überzeugung, daß ihm die
Kunst am Herzen liegt, daß er ihr sein Dasein gewidmet hat, daß er in ihr
aufgeht. Und da heutzutage in allen künstlerischen Dingen ein ideales Streben
so selten geworden ist, so thut es wohl, einem Idealisten vom reinsten Wasser
zu begegnen, mag man auch noch so bedenklich zu seiner Idee den Kopf schütteln
und am Ende die Befürchtung hegen, es sei diese Idee in seinem Kopfe zu einer
fixen geworden.

Zunächst wollen wir uns die Dramen selbst ansehen, welche der Ver¬
jüngungsquell des deutschen Nationaltheaters zu werden berufen sein sollen;
und zwar deshalb zunächst, weil man häufig die Erfahrung machen kann, daß
Theorie und Praxis eines Menschen verschieden sind, ohne daß er sich dessen
bewußt wird, daß entweder der Dichter oder der Theoretiker in demselben Manne
stärker ist, daß er trotz der fehlerhaften Theorie eine gute Praxis bekundet, oder
umgekehrt.

Die fünf Dramen Pöhnls behandeln durchweg alte deutsche Sagen, die
teils in Volksbüchern, teils in andrer Form viel verbreitet sind: das erste be¬
handelt die Sage vom armen Heinrich, welche uns Hartmann von der Ane
mit so schlichter Anmut erzählt hat; das zweite bringt die abenteuerliche Ge¬
schichte von der schönen Magelone; das dritte stellt die deutsche Wandlung


Hans Pöhnls volksbühnensxiele.

neuen Stücken und wir fahnden nach ihnen. Man bespricht die thatsächliche»
Übelstände in der Geschäftsführung und in der künstlerischen Leitung der ein¬
zelnen Bühnen; da beklagt eine Partei die Zurücksetzung eines bedeutenden
Dramatikers, dort die Bevorzugung der Franzosen — kurz, es sind immer ein¬
zelne Verhältnisse, die in Betracht kommen, und alle Klagen laufen genau be¬
sehen in den einen Wunsch zusammen: die liebe Vorsehung möge uns einen
dramatischen Genius bescheeren, der nicht bloß seine Freunde, sondern auch die
Nation zu befriedigen und das Publikum ins Theater zu locken vermöchte.

Da erscheint Herr Hans Pöhnl, wirft fünf „Volksbühnenspiele" ans den
Markt und schreibt dazu eine gewaltige Vorrede, in der er den Nachweis zu
erbringen sucht, daß wir Deutsche überhaupt noch kein nationales Theater be¬
sitzen, daß hierin das A und O aller Theatermisere stecke, und daß schließlich
seine eignen Volksbühnenstücke jenes vielgesuchte erlösende Heil bringen: „Will
unsre moderne Bühne dazu berufen sein, eine deutsche Volksbühne im Sinne
eines nationalen Vildungsinstituts zu werden, so muß sie daran gehen, unser
Publikum mit diesen ^meinen, Pöhnlschen^ Dichtungen vertraut zu machen."
Zuversichtlicher kann selbst derjenige nicht sprechen, der sich als unmittelbaren
Abgesandten Gottes fühlt. Indes wir lassen uns nicht von diesem gewaltigen
Selbstgefühl abschrecken; man ist an solche Erscheinungen im Gebiete aller Künste
gewöhnt, wenn auch zum Glück die größere Anzahl von Dichtern den guten
Geschmack hat, das eigne Lob nicht den eignen Werken vorzudrucken. Und
Pöhnl hat auch seine gute Seite. Bescheiden ist er zwar nicht, aber er ist
sicherlich ein ehrlicher Mann. Man gewinnt die Überzeugung, daß ihm die
Kunst am Herzen liegt, daß er ihr sein Dasein gewidmet hat, daß er in ihr
aufgeht. Und da heutzutage in allen künstlerischen Dingen ein ideales Streben
so selten geworden ist, so thut es wohl, einem Idealisten vom reinsten Wasser
zu begegnen, mag man auch noch so bedenklich zu seiner Idee den Kopf schütteln
und am Ende die Befürchtung hegen, es sei diese Idee in seinem Kopfe zu einer
fixen geworden.

Zunächst wollen wir uns die Dramen selbst ansehen, welche der Ver¬
jüngungsquell des deutschen Nationaltheaters zu werden berufen sein sollen;
und zwar deshalb zunächst, weil man häufig die Erfahrung machen kann, daß
Theorie und Praxis eines Menschen verschieden sind, ohne daß er sich dessen
bewußt wird, daß entweder der Dichter oder der Theoretiker in demselben Manne
stärker ist, daß er trotz der fehlerhaften Theorie eine gute Praxis bekundet, oder
umgekehrt.

Die fünf Dramen Pöhnls behandeln durchweg alte deutsche Sagen, die
teils in Volksbüchern, teils in andrer Form viel verbreitet sind: das erste be¬
handelt die Sage vom armen Heinrich, welche uns Hartmann von der Ane
mit so schlichter Anmut erzählt hat; das zweite bringt die abenteuerliche Ge¬
schichte von der schönen Magelone; das dritte stellt die deutsche Wandlung


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[0541] Hans Pöhnls volksbühnensxiele. neuen Stücken und wir fahnden nach ihnen. Man bespricht die thatsächliche» Übelstände in der Geschäftsführung und in der künstlerischen Leitung der ein¬ zelnen Bühnen; da beklagt eine Partei die Zurücksetzung eines bedeutenden Dramatikers, dort die Bevorzugung der Franzosen — kurz, es sind immer ein¬ zelne Verhältnisse, die in Betracht kommen, und alle Klagen laufen genau be¬ sehen in den einen Wunsch zusammen: die liebe Vorsehung möge uns einen dramatischen Genius bescheeren, der nicht bloß seine Freunde, sondern auch die Nation zu befriedigen und das Publikum ins Theater zu locken vermöchte. Da erscheint Herr Hans Pöhnl, wirft fünf „Volksbühnenspiele" ans den Markt und schreibt dazu eine gewaltige Vorrede, in der er den Nachweis zu erbringen sucht, daß wir Deutsche überhaupt noch kein nationales Theater be¬ sitzen, daß hierin das A und O aller Theatermisere stecke, und daß schließlich seine eignen Volksbühnenstücke jenes vielgesuchte erlösende Heil bringen: „Will unsre moderne Bühne dazu berufen sein, eine deutsche Volksbühne im Sinne eines nationalen Vildungsinstituts zu werden, so muß sie daran gehen, unser Publikum mit diesen ^meinen, Pöhnlschen^ Dichtungen vertraut zu machen." Zuversichtlicher kann selbst derjenige nicht sprechen, der sich als unmittelbaren Abgesandten Gottes fühlt. Indes wir lassen uns nicht von diesem gewaltigen Selbstgefühl abschrecken; man ist an solche Erscheinungen im Gebiete aller Künste gewöhnt, wenn auch zum Glück die größere Anzahl von Dichtern den guten Geschmack hat, das eigne Lob nicht den eignen Werken vorzudrucken. Und Pöhnl hat auch seine gute Seite. Bescheiden ist er zwar nicht, aber er ist sicherlich ein ehrlicher Mann. Man gewinnt die Überzeugung, daß ihm die Kunst am Herzen liegt, daß er ihr sein Dasein gewidmet hat, daß er in ihr aufgeht. Und da heutzutage in allen künstlerischen Dingen ein ideales Streben so selten geworden ist, so thut es wohl, einem Idealisten vom reinsten Wasser zu begegnen, mag man auch noch so bedenklich zu seiner Idee den Kopf schütteln und am Ende die Befürchtung hegen, es sei diese Idee in seinem Kopfe zu einer fixen geworden. Zunächst wollen wir uns die Dramen selbst ansehen, welche der Ver¬ jüngungsquell des deutschen Nationaltheaters zu werden berufen sein sollen; und zwar deshalb zunächst, weil man häufig die Erfahrung machen kann, daß Theorie und Praxis eines Menschen verschieden sind, ohne daß er sich dessen bewußt wird, daß entweder der Dichter oder der Theoretiker in demselben Manne stärker ist, daß er trotz der fehlerhaften Theorie eine gute Praxis bekundet, oder umgekehrt. Die fünf Dramen Pöhnls behandeln durchweg alte deutsche Sagen, die teils in Volksbüchern, teils in andrer Form viel verbreitet sind: das erste be¬ handelt die Sage vom armen Heinrich, welche uns Hartmann von der Ane mit so schlichter Anmut erzählt hat; das zweite bringt die abenteuerliche Ge¬ schichte von der schönen Magelone; das dritte stellt die deutsche Wandlung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/541>, abgerufen am 23.07.2024.