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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

verbunden, zu zeigen, wie die Begeisterung für den Kaiser Hoch und Niedrig
zu einer gemeinsamen Huldigung vereinigt und wie verschiedenartig sich diese
Begeisterung unter dem Eindrucke der ehrwürdigen Erscheinung des Kaisers
äußert. Der Künstler ist seiner Absicht sehr nahe gekommen. Er hat aus einer
Fülle von Individuen, ans einem reichen Beobachtungs- und Studienmaterial
Typen herausgegriffen, welche das Publikum vollkommen charakterisiren, das
sich unter dem Fenster des Kaisers zu versammeln pflegt, von dem gewohnheits¬
müßigen Hurrahschreier, der vor der Musik einhermarschirt, bis zu dem Pa¬
trioten aus der Provinz oder dem Auslande, welcher in diesem Augenblicke die
höchste Weihe seines Berliner Aufenthaltes erblickt. Mit dieser gleichsam kri¬
tischen Thätigkeit des Künstlers kann die Maschine des Photographen und selbst
ein "zweibeiniger Aufuahmeappcirat" nicht wetteifern. Man sieht also an diesem
Beispiel, wie weit noch das Gebiet ist, auf welchem sich der Künstler tummeln
kann, ohne mit dem Photographen zusammenzustoßen oder von ihm überflügelt
zu werden, und dieses Gebiet wird dem Künstler auch für den Fall erhalten
bleiben, daß der Realismus die ausschließliche Herrschaft in der Kunst ge¬
winnen sollte.

Die Aussichten dazu sind vorhanden. Die Abkehr von der Vergangenheit
ist in beständigem Wachsen: die meisten Künstler malen nur noch Bilder idealen
Inhalts, um ihre Kenntnis der Körperformen zu zeigen, oder Historienbilder,
um den Glanz und die Mannichfaltigkeit ihres Kolorits an prächtigen Kostümen
und malerischen Stoffen zu erproben. Nur diese Virtuosität in äußerlichen
Dingen vermag in der That großen Kompositionen wie Ernst Hildebrcmds
"Tullia" (Tullia treibt ihr Gespann über den Leichnam ihres Vaters), Hugo
Vogels "Ernst der Bekenner, Herzog von Braunschweig und Lüneburg" (der
Herzog empfängt in Celle zum ersten male das Abendmahl in beiderlei Gestalt)
und Albert Baurs großer Dekoration für das TextilmuscuM der königlichen
Webschule in Krefeld einiges Interesse zu leihen. Diese Bilder sind, wenn man
von zwei improvisirten Dekorationen absieht, die Geselschap in sklavischer Nach¬
ahmung der Ausdrucksweise des Cornelius zum Schmuck der Kunstakademie für
den neunzigsten Geburtstag des Kaisers gemalt hat, zugleich die einzigen Vertreter
der Malerei großen Stils auf der Ausstellung. Das ist ein schlechter Trost für
diejenigen, welche in dieser Gattung der Malerei ihren Gipfel sehen. Indessen
hat auch die ästhetische Kritik mit der Zunahme realistischer Kunstanschauung
ihren apriorischen Standpunkt aufgegeben und sich zur empirischen Methode be¬
kennen müssen. Auch in der Ästhetik macheu Kleider nicht mehr die Leute, und
ebenso scharf wie mau derjenigen Gattung des historischen Romans zu Leibe
geht, welche das Schaffen der dichterischen Phantasie in den Dienst trockener
Pädagogik stellt, muß man auch das Geschichtsbild bekämpfen, welches seinen
höchsten Ruhm in der treuen Nachbildung der Kleider, der Umgebung und des
Beiwerks sucht. Dieser Ruhm ist uicht fein und überdies sehr wohlfeil. Was


Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

verbunden, zu zeigen, wie die Begeisterung für den Kaiser Hoch und Niedrig
zu einer gemeinsamen Huldigung vereinigt und wie verschiedenartig sich diese
Begeisterung unter dem Eindrucke der ehrwürdigen Erscheinung des Kaisers
äußert. Der Künstler ist seiner Absicht sehr nahe gekommen. Er hat aus einer
Fülle von Individuen, ans einem reichen Beobachtungs- und Studienmaterial
Typen herausgegriffen, welche das Publikum vollkommen charakterisiren, das
sich unter dem Fenster des Kaisers zu versammeln pflegt, von dem gewohnheits¬
müßigen Hurrahschreier, der vor der Musik einhermarschirt, bis zu dem Pa¬
trioten aus der Provinz oder dem Auslande, welcher in diesem Augenblicke die
höchste Weihe seines Berliner Aufenthaltes erblickt. Mit dieser gleichsam kri¬
tischen Thätigkeit des Künstlers kann die Maschine des Photographen und selbst
ein „zweibeiniger Aufuahmeappcirat" nicht wetteifern. Man sieht also an diesem
Beispiel, wie weit noch das Gebiet ist, auf welchem sich der Künstler tummeln
kann, ohne mit dem Photographen zusammenzustoßen oder von ihm überflügelt
zu werden, und dieses Gebiet wird dem Künstler auch für den Fall erhalten
bleiben, daß der Realismus die ausschließliche Herrschaft in der Kunst ge¬
winnen sollte.

Die Aussichten dazu sind vorhanden. Die Abkehr von der Vergangenheit
ist in beständigem Wachsen: die meisten Künstler malen nur noch Bilder idealen
Inhalts, um ihre Kenntnis der Körperformen zu zeigen, oder Historienbilder,
um den Glanz und die Mannichfaltigkeit ihres Kolorits an prächtigen Kostümen
und malerischen Stoffen zu erproben. Nur diese Virtuosität in äußerlichen
Dingen vermag in der That großen Kompositionen wie Ernst Hildebrcmds
„Tullia" (Tullia treibt ihr Gespann über den Leichnam ihres Vaters), Hugo
Vogels „Ernst der Bekenner, Herzog von Braunschweig und Lüneburg" (der
Herzog empfängt in Celle zum ersten male das Abendmahl in beiderlei Gestalt)
und Albert Baurs großer Dekoration für das TextilmuscuM der königlichen
Webschule in Krefeld einiges Interesse zu leihen. Diese Bilder sind, wenn man
von zwei improvisirten Dekorationen absieht, die Geselschap in sklavischer Nach¬
ahmung der Ausdrucksweise des Cornelius zum Schmuck der Kunstakademie für
den neunzigsten Geburtstag des Kaisers gemalt hat, zugleich die einzigen Vertreter
der Malerei großen Stils auf der Ausstellung. Das ist ein schlechter Trost für
diejenigen, welche in dieser Gattung der Malerei ihren Gipfel sehen. Indessen
hat auch die ästhetische Kritik mit der Zunahme realistischer Kunstanschauung
ihren apriorischen Standpunkt aufgegeben und sich zur empirischen Methode be¬
kennen müssen. Auch in der Ästhetik macheu Kleider nicht mehr die Leute, und
ebenso scharf wie mau derjenigen Gattung des historischen Romans zu Leibe
geht, welche das Schaffen der dichterischen Phantasie in den Dienst trockener
Pädagogik stellt, muß man auch das Geschichtsbild bekämpfen, welches seinen
höchsten Ruhm in der treuen Nachbildung der Kleider, der Umgebung und des
Beiwerks sucht. Dieser Ruhm ist uicht fein und überdies sehr wohlfeil. Was


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[0492] Die akademische Kunstausstellung in Berlin. verbunden, zu zeigen, wie die Begeisterung für den Kaiser Hoch und Niedrig zu einer gemeinsamen Huldigung vereinigt und wie verschiedenartig sich diese Begeisterung unter dem Eindrucke der ehrwürdigen Erscheinung des Kaisers äußert. Der Künstler ist seiner Absicht sehr nahe gekommen. Er hat aus einer Fülle von Individuen, ans einem reichen Beobachtungs- und Studienmaterial Typen herausgegriffen, welche das Publikum vollkommen charakterisiren, das sich unter dem Fenster des Kaisers zu versammeln pflegt, von dem gewohnheits¬ müßigen Hurrahschreier, der vor der Musik einhermarschirt, bis zu dem Pa¬ trioten aus der Provinz oder dem Auslande, welcher in diesem Augenblicke die höchste Weihe seines Berliner Aufenthaltes erblickt. Mit dieser gleichsam kri¬ tischen Thätigkeit des Künstlers kann die Maschine des Photographen und selbst ein „zweibeiniger Aufuahmeappcirat" nicht wetteifern. Man sieht also an diesem Beispiel, wie weit noch das Gebiet ist, auf welchem sich der Künstler tummeln kann, ohne mit dem Photographen zusammenzustoßen oder von ihm überflügelt zu werden, und dieses Gebiet wird dem Künstler auch für den Fall erhalten bleiben, daß der Realismus die ausschließliche Herrschaft in der Kunst ge¬ winnen sollte. Die Aussichten dazu sind vorhanden. Die Abkehr von der Vergangenheit ist in beständigem Wachsen: die meisten Künstler malen nur noch Bilder idealen Inhalts, um ihre Kenntnis der Körperformen zu zeigen, oder Historienbilder, um den Glanz und die Mannichfaltigkeit ihres Kolorits an prächtigen Kostümen und malerischen Stoffen zu erproben. Nur diese Virtuosität in äußerlichen Dingen vermag in der That großen Kompositionen wie Ernst Hildebrcmds „Tullia" (Tullia treibt ihr Gespann über den Leichnam ihres Vaters), Hugo Vogels „Ernst der Bekenner, Herzog von Braunschweig und Lüneburg" (der Herzog empfängt in Celle zum ersten male das Abendmahl in beiderlei Gestalt) und Albert Baurs großer Dekoration für das TextilmuscuM der königlichen Webschule in Krefeld einiges Interesse zu leihen. Diese Bilder sind, wenn man von zwei improvisirten Dekorationen absieht, die Geselschap in sklavischer Nach¬ ahmung der Ausdrucksweise des Cornelius zum Schmuck der Kunstakademie für den neunzigsten Geburtstag des Kaisers gemalt hat, zugleich die einzigen Vertreter der Malerei großen Stils auf der Ausstellung. Das ist ein schlechter Trost für diejenigen, welche in dieser Gattung der Malerei ihren Gipfel sehen. Indessen hat auch die ästhetische Kritik mit der Zunahme realistischer Kunstanschauung ihren apriorischen Standpunkt aufgegeben und sich zur empirischen Methode be¬ kennen müssen. Auch in der Ästhetik macheu Kleider nicht mehr die Leute, und ebenso scharf wie mau derjenigen Gattung des historischen Romans zu Leibe geht, welche das Schaffen der dichterischen Phantasie in den Dienst trockener Pädagogik stellt, muß man auch das Geschichtsbild bekämpfen, welches seinen höchsten Ruhm in der treuen Nachbildung der Kleider, der Umgebung und des Beiwerks sucht. Dieser Ruhm ist uicht fein und überdies sehr wohlfeil. Was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/492>, abgerufen am 29.06.2024.