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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

Hugo Vogel gemalt hat, ist so glatt, so gefeilt und unanstößig wie ein histo¬
rischer Roman von Julius Wolfs. Man sieht, wie der ganze bunte Teppich
sorgfältig aus einer Reihe von Modellen, die hübsch still gesessen oder gestanden
haben, zusammengewebt, wie jede Falte arrangirt und auf ihre Wirkung hin
ausgeprobt ist. Aber der geniale Funke, der Blitz, welcher die Modellpuppen
zum Leben erweckt, ist ausgeblieben. Solche Geschichtsbilder lassen sich aus
Bestellung zu Dutzenden anfertigen, wenn der Maler nur Geduld hat, und
Geduld ist allemal da vorhanden, wo das Genie fehlt. In jüngster Zeit sind
Kostümfeste, historische Festzuge und lebende Bilder nach geschichtlichen Gemälden
sehr in die Mode gekommen. Die Herren und Damen, welche sich während
der Proben in den antiken, mittelalterlichen, Renaissance- und Rokoko-Kostümen
äußerst wohl oder doch sehr wichtig gefühlt haben, lassen sich zum Schluß,
einzeln und in Gruppen, Photographiren. Diese Neigung kann ein geschäfts¬
kundiger Historienmaler, welchem der Born eigner Erfindung nur spärlich quillt,
sehr leicht zu seinem Vorteil ausbeuten. Wenn er die kostümirten Herren und
Damen, je nach ihrer Tracht, auf einen "historischen Mittelpunkt" hin. etwa auf
Huß vor dem Konzil, Luther auf dem Reichstage zu Worms, Kaiser Maximilian,
Königin Elisabeth, Ludwig XIV. oder den großen Kurfürsten gruppirte und dann
Photographiren ließe, würde er ebenso gute Geschichtsbilder zu stände bringen
wie Hugo Vogel.

Albert Baurs Dekorationsgemülde hat einen gewissermaßen belehrenden
Zweck und verlangt deshalb eine andre Beurteilung. Es bildet den ersten Teil
einer Reihe von Darstellungen, in welchen die Entwicklung der Seideniudnstrie
in Europa geschildert werden soll, und zeigt den Empfang der byzantinischen
Mönche, welche in hohlen Bambusstäben die ersten Seidenranpeneier aus China
nach Europa bringen, durch Kaiser Justinian. Was durch Fleiß, Mühe und
Gewissenhaftigkeit erreicht werden kann, ist von dem Maler erreicht worden,
und schwerlich würde ein Künstler, der genialer angelegt ist als Albert Baur,
dem zeremoniellen Vorgange interessantere Seiten abgewonnen haben. Es fragt
sich nnr, ob das Thema richtig gestellt ist, und auf diese Frage muß die Ant¬
wort Nein lauten. Was wir sehen, ist nichts als eine feierliche Prachtentfaltung
des byzantinischen Hofes aus einem Anlaß, welchen ein unbefangener Beschauer
aus der Darstellung selbst nicht entnehmen kann, und an dem Orte, für den
das Gemälde bestimmt ist, wird eine ausführliche Erlnutenmgstafel notwendig
sein. Während die dem Hauptbilde angehängten, grau in grau gemalten Seiten-
stücke, welche das Auffinden und Abwickeln des Coconfadens und das Kochen,
Haspeln und Weben desselben dnrch weibliche Figuren darstellen, nnr die bei¬
läufigen Anmerkungen zu dem Mittelbilde geben sollten, führen sie in Wirk¬
lichkeit den Forscher erst auf die richtige Spur zur Erklärung der feierlichen
Zeremonie in der Mitte. Volkstümlich wird die zu neuem Leben erweckte,
monumentale Kunst unsrer Tage durch solche Aufgaben nicht werden.


Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

Hugo Vogel gemalt hat, ist so glatt, so gefeilt und unanstößig wie ein histo¬
rischer Roman von Julius Wolfs. Man sieht, wie der ganze bunte Teppich
sorgfältig aus einer Reihe von Modellen, die hübsch still gesessen oder gestanden
haben, zusammengewebt, wie jede Falte arrangirt und auf ihre Wirkung hin
ausgeprobt ist. Aber der geniale Funke, der Blitz, welcher die Modellpuppen
zum Leben erweckt, ist ausgeblieben. Solche Geschichtsbilder lassen sich aus
Bestellung zu Dutzenden anfertigen, wenn der Maler nur Geduld hat, und
Geduld ist allemal da vorhanden, wo das Genie fehlt. In jüngster Zeit sind
Kostümfeste, historische Festzuge und lebende Bilder nach geschichtlichen Gemälden
sehr in die Mode gekommen. Die Herren und Damen, welche sich während
der Proben in den antiken, mittelalterlichen, Renaissance- und Rokoko-Kostümen
äußerst wohl oder doch sehr wichtig gefühlt haben, lassen sich zum Schluß,
einzeln und in Gruppen, Photographiren. Diese Neigung kann ein geschäfts¬
kundiger Historienmaler, welchem der Born eigner Erfindung nur spärlich quillt,
sehr leicht zu seinem Vorteil ausbeuten. Wenn er die kostümirten Herren und
Damen, je nach ihrer Tracht, auf einen „historischen Mittelpunkt" hin. etwa auf
Huß vor dem Konzil, Luther auf dem Reichstage zu Worms, Kaiser Maximilian,
Königin Elisabeth, Ludwig XIV. oder den großen Kurfürsten gruppirte und dann
Photographiren ließe, würde er ebenso gute Geschichtsbilder zu stände bringen
wie Hugo Vogel.

Albert Baurs Dekorationsgemülde hat einen gewissermaßen belehrenden
Zweck und verlangt deshalb eine andre Beurteilung. Es bildet den ersten Teil
einer Reihe von Darstellungen, in welchen die Entwicklung der Seideniudnstrie
in Europa geschildert werden soll, und zeigt den Empfang der byzantinischen
Mönche, welche in hohlen Bambusstäben die ersten Seidenranpeneier aus China
nach Europa bringen, durch Kaiser Justinian. Was durch Fleiß, Mühe und
Gewissenhaftigkeit erreicht werden kann, ist von dem Maler erreicht worden,
und schwerlich würde ein Künstler, der genialer angelegt ist als Albert Baur,
dem zeremoniellen Vorgange interessantere Seiten abgewonnen haben. Es fragt
sich nnr, ob das Thema richtig gestellt ist, und auf diese Frage muß die Ant¬
wort Nein lauten. Was wir sehen, ist nichts als eine feierliche Prachtentfaltung
des byzantinischen Hofes aus einem Anlaß, welchen ein unbefangener Beschauer
aus der Darstellung selbst nicht entnehmen kann, und an dem Orte, für den
das Gemälde bestimmt ist, wird eine ausführliche Erlnutenmgstafel notwendig
sein. Während die dem Hauptbilde angehängten, grau in grau gemalten Seiten-
stücke, welche das Auffinden und Abwickeln des Coconfadens und das Kochen,
Haspeln und Weben desselben dnrch weibliche Figuren darstellen, nnr die bei¬
läufigen Anmerkungen zu dem Mittelbilde geben sollten, führen sie in Wirk¬
lichkeit den Forscher erst auf die richtige Spur zur Erklärung der feierlichen
Zeremonie in der Mitte. Volkstümlich wird die zu neuem Leben erweckte,
monumentale Kunst unsrer Tage durch solche Aufgaben nicht werden.


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[0493] Die akademische Kunstausstellung in Berlin. Hugo Vogel gemalt hat, ist so glatt, so gefeilt und unanstößig wie ein histo¬ rischer Roman von Julius Wolfs. Man sieht, wie der ganze bunte Teppich sorgfältig aus einer Reihe von Modellen, die hübsch still gesessen oder gestanden haben, zusammengewebt, wie jede Falte arrangirt und auf ihre Wirkung hin ausgeprobt ist. Aber der geniale Funke, der Blitz, welcher die Modellpuppen zum Leben erweckt, ist ausgeblieben. Solche Geschichtsbilder lassen sich aus Bestellung zu Dutzenden anfertigen, wenn der Maler nur Geduld hat, und Geduld ist allemal da vorhanden, wo das Genie fehlt. In jüngster Zeit sind Kostümfeste, historische Festzuge und lebende Bilder nach geschichtlichen Gemälden sehr in die Mode gekommen. Die Herren und Damen, welche sich während der Proben in den antiken, mittelalterlichen, Renaissance- und Rokoko-Kostümen äußerst wohl oder doch sehr wichtig gefühlt haben, lassen sich zum Schluß, einzeln und in Gruppen, Photographiren. Diese Neigung kann ein geschäfts¬ kundiger Historienmaler, welchem der Born eigner Erfindung nur spärlich quillt, sehr leicht zu seinem Vorteil ausbeuten. Wenn er die kostümirten Herren und Damen, je nach ihrer Tracht, auf einen „historischen Mittelpunkt" hin. etwa auf Huß vor dem Konzil, Luther auf dem Reichstage zu Worms, Kaiser Maximilian, Königin Elisabeth, Ludwig XIV. oder den großen Kurfürsten gruppirte und dann Photographiren ließe, würde er ebenso gute Geschichtsbilder zu stände bringen wie Hugo Vogel. Albert Baurs Dekorationsgemülde hat einen gewissermaßen belehrenden Zweck und verlangt deshalb eine andre Beurteilung. Es bildet den ersten Teil einer Reihe von Darstellungen, in welchen die Entwicklung der Seideniudnstrie in Europa geschildert werden soll, und zeigt den Empfang der byzantinischen Mönche, welche in hohlen Bambusstäben die ersten Seidenranpeneier aus China nach Europa bringen, durch Kaiser Justinian. Was durch Fleiß, Mühe und Gewissenhaftigkeit erreicht werden kann, ist von dem Maler erreicht worden, und schwerlich würde ein Künstler, der genialer angelegt ist als Albert Baur, dem zeremoniellen Vorgange interessantere Seiten abgewonnen haben. Es fragt sich nnr, ob das Thema richtig gestellt ist, und auf diese Frage muß die Ant¬ wort Nein lauten. Was wir sehen, ist nichts als eine feierliche Prachtentfaltung des byzantinischen Hofes aus einem Anlaß, welchen ein unbefangener Beschauer aus der Darstellung selbst nicht entnehmen kann, und an dem Orte, für den das Gemälde bestimmt ist, wird eine ausführliche Erlnutenmgstafel notwendig sein. Während die dem Hauptbilde angehängten, grau in grau gemalten Seiten- stücke, welche das Auffinden und Abwickeln des Coconfadens und das Kochen, Haspeln und Weben desselben dnrch weibliche Figuren darstellen, nnr die bei¬ läufigen Anmerkungen zu dem Mittelbilde geben sollten, führen sie in Wirk¬ lichkeit den Forscher erst auf die richtige Spur zur Erklärung der feierlichen Zeremonie in der Mitte. Volkstümlich wird die zu neuem Leben erweckte, monumentale Kunst unsrer Tage durch solche Aufgaben nicht werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/493>, abgerufen am 26.06.2024.