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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

gewendeten Mühen und Opfer wert ist. Aber schon der frische Wind, der die
Segel schwellt, giebt Hoffnung und Zuversicht.

Die neue Triebkraft geht freilich nicht auf geistige Quellen zurück, sondern
sie gründet sich, wie ich schon hervorgehoben habe, im wesentlichen auf die
fortschreitende Entwicklung der Technik oder, wenn man es lieber hört, der
Darstellungskunst, die sich alles von frühern Geschlechtern ersonnene unter-
thänig gemacht hat und im Besitz dieser materiellen Mittel kühn die Natur
zum Wettkampf mit der bildenden oder vielmehr nachbildenden Kunst heraus¬
fordert, den Schein der Wirklichkeit ebenbürtig machen will. Diese Erscheinung
steht in unserm Kulturleben keineswegs vereinzelt da, sondern in Zusammen¬
hang mit allen Bestrebungen der Gegenwart, welche das fromme Wort Hallers:
"Ins Innre der Natur dringt kein erschaffener Geist" noch energischer und
handgreiflicher widerlegen wollen, als es Goethe vermocht hat. Was Natur¬
forscher, Ingenieure, Chemiker, Ärzte, Techniker jeglicher Art in unerschrockener,
alle Vorurteile und Wahnvorstellungen überwindender Arbeit erreicht haben,
will sich auch die bildende Kunst erringen. Man wende nicht dagegen ein,
daß die Kunst ihre bevorzugte Stellung, ihre Ideale preisgebe und sich zur
Dienerin des Materialismus mache. Der Trieb zur Erkenntnis der Wahrheit,
die in der vorwiegenden Meinung unsers Zeitalters dasselbe wie Natur bedeutet,
ist bei dem Naturforscher ebenso gut ein idealistischer wie bei dem Künstler, und
der Techniker, welcher die geheimen Kräfte der Natur erforscht und sie sich
dienstbar macht, ist während dieses Kampfes ein Vertreter des Idealismus,
des höchsten Strebens menschlichen Geistes, auch wenn er gelegentlich so trübe
Erfahrungen machen muß, wie einst die Männer, welche den Ossa auf den
Pelion türmen wollten.

Viel anfechtbarer als das Ziel der neueren oder, wenn man bereits die
Bezeichnung wagen will, der "neuen" Kunst sind die gewählten Mittel. Der
schlimmste und am schwersten zu entkräftende Einwand der Gegner wird immer
der folgende sein: "Wenn ihr wirklich zu euerm Ziele gelangt seid, was habt
ihr im günstigsten Falle erreicht? Ein nüchternes Abbild der Natur, welches
die Camera des Photographen, namentlich der vervollkommnete Apparat des
Augenblicksphotographeu, ebenso gut auf mechanischem Wege zu stände bringt,
ohne daß eine lange akademische Bildung und eingehende Vorstudien nötig sind.
Ja ihr Maler werdet dein Augenblicksphotographen gegenüber sogar stets im
Nachteil bleiben; denn ihr könnt nur einen Moment in einer Reihe von Be¬
wegungen festhalten, während der Augeublicksphotograph die Bewegung selbst
zur Anschauung bringen kann, wenn er seine Einzclaufnahmen durch den von
Ottomar Anschütz in Lissa erfundenen "Schnellfeder," eine vertikal gestellte
Drehscheibe, zu einem Gesamtbilde zusammenfassen läßt."

Auf abstrakte Fragen lasten sich nicht immer abstrakte Antworten geben.
Es sei gestattet, aus unsrer Ausstellung zwei Beispiele herauszugreifen, welche


Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

gewendeten Mühen und Opfer wert ist. Aber schon der frische Wind, der die
Segel schwellt, giebt Hoffnung und Zuversicht.

Die neue Triebkraft geht freilich nicht auf geistige Quellen zurück, sondern
sie gründet sich, wie ich schon hervorgehoben habe, im wesentlichen auf die
fortschreitende Entwicklung der Technik oder, wenn man es lieber hört, der
Darstellungskunst, die sich alles von frühern Geschlechtern ersonnene unter-
thänig gemacht hat und im Besitz dieser materiellen Mittel kühn die Natur
zum Wettkampf mit der bildenden oder vielmehr nachbildenden Kunst heraus¬
fordert, den Schein der Wirklichkeit ebenbürtig machen will. Diese Erscheinung
steht in unserm Kulturleben keineswegs vereinzelt da, sondern in Zusammen¬
hang mit allen Bestrebungen der Gegenwart, welche das fromme Wort Hallers:
„Ins Innre der Natur dringt kein erschaffener Geist" noch energischer und
handgreiflicher widerlegen wollen, als es Goethe vermocht hat. Was Natur¬
forscher, Ingenieure, Chemiker, Ärzte, Techniker jeglicher Art in unerschrockener,
alle Vorurteile und Wahnvorstellungen überwindender Arbeit erreicht haben,
will sich auch die bildende Kunst erringen. Man wende nicht dagegen ein,
daß die Kunst ihre bevorzugte Stellung, ihre Ideale preisgebe und sich zur
Dienerin des Materialismus mache. Der Trieb zur Erkenntnis der Wahrheit,
die in der vorwiegenden Meinung unsers Zeitalters dasselbe wie Natur bedeutet,
ist bei dem Naturforscher ebenso gut ein idealistischer wie bei dem Künstler, und
der Techniker, welcher die geheimen Kräfte der Natur erforscht und sie sich
dienstbar macht, ist während dieses Kampfes ein Vertreter des Idealismus,
des höchsten Strebens menschlichen Geistes, auch wenn er gelegentlich so trübe
Erfahrungen machen muß, wie einst die Männer, welche den Ossa auf den
Pelion türmen wollten.

Viel anfechtbarer als das Ziel der neueren oder, wenn man bereits die
Bezeichnung wagen will, der „neuen" Kunst sind die gewählten Mittel. Der
schlimmste und am schwersten zu entkräftende Einwand der Gegner wird immer
der folgende sein: „Wenn ihr wirklich zu euerm Ziele gelangt seid, was habt
ihr im günstigsten Falle erreicht? Ein nüchternes Abbild der Natur, welches
die Camera des Photographen, namentlich der vervollkommnete Apparat des
Augenblicksphotographeu, ebenso gut auf mechanischem Wege zu stände bringt,
ohne daß eine lange akademische Bildung und eingehende Vorstudien nötig sind.
Ja ihr Maler werdet dein Augenblicksphotographen gegenüber sogar stets im
Nachteil bleiben; denn ihr könnt nur einen Moment in einer Reihe von Be¬
wegungen festhalten, während der Augeublicksphotograph die Bewegung selbst
zur Anschauung bringen kann, wenn er seine Einzclaufnahmen durch den von
Ottomar Anschütz in Lissa erfundenen »Schnellfeder,« eine vertikal gestellte
Drehscheibe, zu einem Gesamtbilde zusammenfassen läßt."

Auf abstrakte Fragen lasten sich nicht immer abstrakte Antworten geben.
Es sei gestattet, aus unsrer Ausstellung zwei Beispiele herauszugreifen, welche


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[0490] Die akademische Kunstausstellung in Berlin. gewendeten Mühen und Opfer wert ist. Aber schon der frische Wind, der die Segel schwellt, giebt Hoffnung und Zuversicht. Die neue Triebkraft geht freilich nicht auf geistige Quellen zurück, sondern sie gründet sich, wie ich schon hervorgehoben habe, im wesentlichen auf die fortschreitende Entwicklung der Technik oder, wenn man es lieber hört, der Darstellungskunst, die sich alles von frühern Geschlechtern ersonnene unter- thänig gemacht hat und im Besitz dieser materiellen Mittel kühn die Natur zum Wettkampf mit der bildenden oder vielmehr nachbildenden Kunst heraus¬ fordert, den Schein der Wirklichkeit ebenbürtig machen will. Diese Erscheinung steht in unserm Kulturleben keineswegs vereinzelt da, sondern in Zusammen¬ hang mit allen Bestrebungen der Gegenwart, welche das fromme Wort Hallers: „Ins Innre der Natur dringt kein erschaffener Geist" noch energischer und handgreiflicher widerlegen wollen, als es Goethe vermocht hat. Was Natur¬ forscher, Ingenieure, Chemiker, Ärzte, Techniker jeglicher Art in unerschrockener, alle Vorurteile und Wahnvorstellungen überwindender Arbeit erreicht haben, will sich auch die bildende Kunst erringen. Man wende nicht dagegen ein, daß die Kunst ihre bevorzugte Stellung, ihre Ideale preisgebe und sich zur Dienerin des Materialismus mache. Der Trieb zur Erkenntnis der Wahrheit, die in der vorwiegenden Meinung unsers Zeitalters dasselbe wie Natur bedeutet, ist bei dem Naturforscher ebenso gut ein idealistischer wie bei dem Künstler, und der Techniker, welcher die geheimen Kräfte der Natur erforscht und sie sich dienstbar macht, ist während dieses Kampfes ein Vertreter des Idealismus, des höchsten Strebens menschlichen Geistes, auch wenn er gelegentlich so trübe Erfahrungen machen muß, wie einst die Männer, welche den Ossa auf den Pelion türmen wollten. Viel anfechtbarer als das Ziel der neueren oder, wenn man bereits die Bezeichnung wagen will, der „neuen" Kunst sind die gewählten Mittel. Der schlimmste und am schwersten zu entkräftende Einwand der Gegner wird immer der folgende sein: „Wenn ihr wirklich zu euerm Ziele gelangt seid, was habt ihr im günstigsten Falle erreicht? Ein nüchternes Abbild der Natur, welches die Camera des Photographen, namentlich der vervollkommnete Apparat des Augenblicksphotographeu, ebenso gut auf mechanischem Wege zu stände bringt, ohne daß eine lange akademische Bildung und eingehende Vorstudien nötig sind. Ja ihr Maler werdet dein Augenblicksphotographen gegenüber sogar stets im Nachteil bleiben; denn ihr könnt nur einen Moment in einer Reihe von Be¬ wegungen festhalten, während der Augeublicksphotograph die Bewegung selbst zur Anschauung bringen kann, wenn er seine Einzclaufnahmen durch den von Ottomar Anschütz in Lissa erfundenen »Schnellfeder,« eine vertikal gestellte Drehscheibe, zu einem Gesamtbilde zusammenfassen läßt." Auf abstrakte Fragen lasten sich nicht immer abstrakte Antworten geben. Es sei gestattet, aus unsrer Ausstellung zwei Beispiele herauszugreifen, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/490>, abgerufen am 03.07.2024.