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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

gefallen, dann, im Juni 1797, ward er ganz von den weichen Fesseln der liebens¬
würdigen Schriftstellerin Emilie von Berlepsch umstrickt, die von ihrem Manne
geschieden war und Heilung für ihr tiefverwundetes Herz in einer idealen Liebe
suchte. Was nur irgend eine Verehrerin ihren: Ideale, eine Liebende dem Ge¬
liebten sagen kann, das sagt sie Jean Paul. Er ist ihr eine unvergeßliche Er¬
scheinung aus jener verschleierten, selig geahnten Welt, der Freund ihres wahren
Selbst, der geliebteste, der ganz die Liebe kennt, womit sie ihn liebt, mehr ein
Genius, als ein Mensch. Ihr Geist beugt sich vor dem seinigen, den sie hoch
auf glänzenden Flügeln schweben sieht, daß es ihr scheint, als dürfe er sich kaum
niederlassen und etwas dauernd berühren, viel weniger von ihr, der Liebenden,
gefesselt werden. In Leipzig, wohin er ihr zugefallen von Hof ans gekommen
war, ergoß sich das Übermaß ihrer Liebe über ihn; sie war bereit, ihr ganzes
Vermögen für ihn hinzugeben, nur um ihn glücklich zu wissen, und wenn er an
der ewigen Harmonie ihrer Seelen zweifelte, so verfiel sie in Krämpfe und
Ohnmachten. In dieser Bedrängnis ging sein Inneres, wie er sagt, auseinander;
er versprach ihr die Ehe, aber fast unmittelbar darauf nahm er sein gegebenes
Wort zurück, und uach zwei "aus der glühendsten Holle gehobenen Tagen" war
er wieder frei. Aber Emilie krankte an ihrer Liebe. Er macht mit ihr eine
Reise nach der sächsischen Schweiz, um sie zu zerstreuen. Vergebens; sie geht
nach Schottland, allein sie kommt noch elender zurück, als sie gegangen ist,
und beruhigt sich nur einigermaßen, als Jean Paul, im Begriffe, sich mit Karo¬
line von Feuchtersleben zu verloben, ihr zusagt, daß er sie nach seiner Ver¬
heiratung zu sich nehmen wolle. Sich und alles, was sie besitzt, will sie in
seine Hände geben, will nichts thun als leben, lieben und sich lieben lassen.
Dies hindert sie aber nicht, sich (im Mai 1801) mit einem mecklenburgischen
Gutsbesitzer zu verloben, und so wurde endlich der gordische Knoten auf die
einfachste Weise gelöst.*)

Schon die erste Hälfte dieses Abenteuers, die sich im Winter 1797 bis
1798 in Leipzig abspielte, hätte Jean Paul mahnen sollen, exzentrischen Frauen
gegenüber auf seiner Hut zu sein. Aber davon war er noch sehr weit entfernt.
Die Korrespondenz mit Frau von Kalb erhält nach einigen Unterbrechungen
wieder einen neuen Aufschwung, und der Major außer Dienst nimmt warmen
Anteil an der Seelenfreundschaft seiner Gattin. Charlotte schreibt gemessen, zu¬
weilen etwas stolz zurückhaltend, doch macht sie aus ihrem Ärger über Emilie
von Berlepsch kein Hehl. "Wenn es auch wahr ist -- schreibt sie ihm -- daß
Sie Charlotte über diese Minerva, Venus, Ninon und Sappho vergessen und
ganz entbehren können, so soll sie doch dieses Glaubens noch nicht leben." Am
26. Oktober 1798 siedelte Jean Paul nach Weimar über, um dieselbe Zeit also,
als die Berlepsch nach Schottland reiste; wenige Tage darauf kehrte auch Char-



*) Paul Ncrrlich, Jean Paul und seine Zeitgenossen, S. 145 ff.
Dichterfreundinnen.

gefallen, dann, im Juni 1797, ward er ganz von den weichen Fesseln der liebens¬
würdigen Schriftstellerin Emilie von Berlepsch umstrickt, die von ihrem Manne
geschieden war und Heilung für ihr tiefverwundetes Herz in einer idealen Liebe
suchte. Was nur irgend eine Verehrerin ihren: Ideale, eine Liebende dem Ge¬
liebten sagen kann, das sagt sie Jean Paul. Er ist ihr eine unvergeßliche Er¬
scheinung aus jener verschleierten, selig geahnten Welt, der Freund ihres wahren
Selbst, der geliebteste, der ganz die Liebe kennt, womit sie ihn liebt, mehr ein
Genius, als ein Mensch. Ihr Geist beugt sich vor dem seinigen, den sie hoch
auf glänzenden Flügeln schweben sieht, daß es ihr scheint, als dürfe er sich kaum
niederlassen und etwas dauernd berühren, viel weniger von ihr, der Liebenden,
gefesselt werden. In Leipzig, wohin er ihr zugefallen von Hof ans gekommen
war, ergoß sich das Übermaß ihrer Liebe über ihn; sie war bereit, ihr ganzes
Vermögen für ihn hinzugeben, nur um ihn glücklich zu wissen, und wenn er an
der ewigen Harmonie ihrer Seelen zweifelte, so verfiel sie in Krämpfe und
Ohnmachten. In dieser Bedrängnis ging sein Inneres, wie er sagt, auseinander;
er versprach ihr die Ehe, aber fast unmittelbar darauf nahm er sein gegebenes
Wort zurück, und uach zwei „aus der glühendsten Holle gehobenen Tagen" war
er wieder frei. Aber Emilie krankte an ihrer Liebe. Er macht mit ihr eine
Reise nach der sächsischen Schweiz, um sie zu zerstreuen. Vergebens; sie geht
nach Schottland, allein sie kommt noch elender zurück, als sie gegangen ist,
und beruhigt sich nur einigermaßen, als Jean Paul, im Begriffe, sich mit Karo¬
line von Feuchtersleben zu verloben, ihr zusagt, daß er sie nach seiner Ver¬
heiratung zu sich nehmen wolle. Sich und alles, was sie besitzt, will sie in
seine Hände geben, will nichts thun als leben, lieben und sich lieben lassen.
Dies hindert sie aber nicht, sich (im Mai 1801) mit einem mecklenburgischen
Gutsbesitzer zu verloben, und so wurde endlich der gordische Knoten auf die
einfachste Weise gelöst.*)

Schon die erste Hälfte dieses Abenteuers, die sich im Winter 1797 bis
1798 in Leipzig abspielte, hätte Jean Paul mahnen sollen, exzentrischen Frauen
gegenüber auf seiner Hut zu sein. Aber davon war er noch sehr weit entfernt.
Die Korrespondenz mit Frau von Kalb erhält nach einigen Unterbrechungen
wieder einen neuen Aufschwung, und der Major außer Dienst nimmt warmen
Anteil an der Seelenfreundschaft seiner Gattin. Charlotte schreibt gemessen, zu¬
weilen etwas stolz zurückhaltend, doch macht sie aus ihrem Ärger über Emilie
von Berlepsch kein Hehl. „Wenn es auch wahr ist — schreibt sie ihm — daß
Sie Charlotte über diese Minerva, Venus, Ninon und Sappho vergessen und
ganz entbehren können, so soll sie doch dieses Glaubens noch nicht leben." Am
26. Oktober 1798 siedelte Jean Paul nach Weimar über, um dieselbe Zeit also,
als die Berlepsch nach Schottland reiste; wenige Tage darauf kehrte auch Char-



*) Paul Ncrrlich, Jean Paul und seine Zeitgenossen, S. 145 ff.
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[0287] Dichterfreundinnen. gefallen, dann, im Juni 1797, ward er ganz von den weichen Fesseln der liebens¬ würdigen Schriftstellerin Emilie von Berlepsch umstrickt, die von ihrem Manne geschieden war und Heilung für ihr tiefverwundetes Herz in einer idealen Liebe suchte. Was nur irgend eine Verehrerin ihren: Ideale, eine Liebende dem Ge¬ liebten sagen kann, das sagt sie Jean Paul. Er ist ihr eine unvergeßliche Er¬ scheinung aus jener verschleierten, selig geahnten Welt, der Freund ihres wahren Selbst, der geliebteste, der ganz die Liebe kennt, womit sie ihn liebt, mehr ein Genius, als ein Mensch. Ihr Geist beugt sich vor dem seinigen, den sie hoch auf glänzenden Flügeln schweben sieht, daß es ihr scheint, als dürfe er sich kaum niederlassen und etwas dauernd berühren, viel weniger von ihr, der Liebenden, gefesselt werden. In Leipzig, wohin er ihr zugefallen von Hof ans gekommen war, ergoß sich das Übermaß ihrer Liebe über ihn; sie war bereit, ihr ganzes Vermögen für ihn hinzugeben, nur um ihn glücklich zu wissen, und wenn er an der ewigen Harmonie ihrer Seelen zweifelte, so verfiel sie in Krämpfe und Ohnmachten. In dieser Bedrängnis ging sein Inneres, wie er sagt, auseinander; er versprach ihr die Ehe, aber fast unmittelbar darauf nahm er sein gegebenes Wort zurück, und uach zwei „aus der glühendsten Holle gehobenen Tagen" war er wieder frei. Aber Emilie krankte an ihrer Liebe. Er macht mit ihr eine Reise nach der sächsischen Schweiz, um sie zu zerstreuen. Vergebens; sie geht nach Schottland, allein sie kommt noch elender zurück, als sie gegangen ist, und beruhigt sich nur einigermaßen, als Jean Paul, im Begriffe, sich mit Karo¬ line von Feuchtersleben zu verloben, ihr zusagt, daß er sie nach seiner Ver¬ heiratung zu sich nehmen wolle. Sich und alles, was sie besitzt, will sie in seine Hände geben, will nichts thun als leben, lieben und sich lieben lassen. Dies hindert sie aber nicht, sich (im Mai 1801) mit einem mecklenburgischen Gutsbesitzer zu verloben, und so wurde endlich der gordische Knoten auf die einfachste Weise gelöst.*) Schon die erste Hälfte dieses Abenteuers, die sich im Winter 1797 bis 1798 in Leipzig abspielte, hätte Jean Paul mahnen sollen, exzentrischen Frauen gegenüber auf seiner Hut zu sein. Aber davon war er noch sehr weit entfernt. Die Korrespondenz mit Frau von Kalb erhält nach einigen Unterbrechungen wieder einen neuen Aufschwung, und der Major außer Dienst nimmt warmen Anteil an der Seelenfreundschaft seiner Gattin. Charlotte schreibt gemessen, zu¬ weilen etwas stolz zurückhaltend, doch macht sie aus ihrem Ärger über Emilie von Berlepsch kein Hehl. „Wenn es auch wahr ist — schreibt sie ihm — daß Sie Charlotte über diese Minerva, Venus, Ninon und Sappho vergessen und ganz entbehren können, so soll sie doch dieses Glaubens noch nicht leben." Am 26. Oktober 1798 siedelte Jean Paul nach Weimar über, um dieselbe Zeit also, als die Berlepsch nach Schottland reiste; wenige Tage darauf kehrte auch Char- *) Paul Ncrrlich, Jean Paul und seine Zeitgenossen, S. 145 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/287>, abgerufen am 03.07.2024.