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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

von Verehrerinnen diejenigen, welche ihm persönlich am nächsten traten. Die
drei ersten waren verheiratet, und außer Karoline von Feuchtersleben sind alle
als Schriftstellerinnen aufgetreten. Mit allen hat der Dichter des Hesperus
einen kleinen Roman durchgespielt, mit zweien hat er sich in der Übereilung
verlobt, aber möglichst bald das Band wieder gelöst und sich endlich mit Karo¬
line, der Tochter des Obertribunalrates Mayer in Berlin, verheiratet, einem
schlichten, von aller Phantasterei weit entfernten Mädchen. Jean Paul erscheint in
diesen Beziehungen zur Frauenwelt unreif und unmännlich, wenn sich auch
vieles mit der Thorheit der nicht mehr jungen Damen und mit seinem Bestreben,
Studien zu machen, entschuldigen läßt. Die Auflösung seiner Verlobung mit
Karoline von Feuchtersleben, die sich erst mit ihrer ganzen adelsstolzen Familie
hatte verfeinden müssen, ehe sie ihm ihre Hand zusagen konnte, war im Grnnde
doch nichts andres als ein schmählicher Verrat.

Charlotte von Kalb hatte schon im Februar 1796 an Jean Paul ge¬
schrieben, um ihm ihre Wertschätzung auszudrücken. Aus dem warmen Tone
aufrichtiger Höflichkeit ward bald Vertraulichkeit, und schon die zweite Zuschrift
endet mit der Wendung: "Nicht wahr, niemand, niemand sieht meine Briefe?"
Bald kam er selbst. Der Gedanken- und Gefühlsaustausch begann, aber er blieb
noch immer im untadeligem Reiche des Idealen, denn wenn Charlotte zuweilen
im Fluge der Begeisterung ihren Freund mit "du" anredet und ausruft: "Um
Gotteswillen, zeige dich keinem andern als mir, alle, die dich fassen, werden für
dich sterben wollen. Nein, nein, sie flie Welt^I soll ihn nicht haben, oder ich
will vergehen; ich will erst vernichtet sein, dann kann sie ihn haben!" so darf
das nicht Wunder nehmen, war sie doch die unveränderliche Tochter der Sturm¬
und Drangzeit. Jean Paul war nur vier Wochen in Weimar, und drei von
diesen verbrachte Charlotte in Jena, wo sie eine kranke Freundin pflegte. Was
sie in der Freundschaft suchte, drückt sie sehr gut in dem Abschiedsbriefe aus,
den sie Jean Paul uach Weimar schreibt: "Wenn ich Sie nicht wiedersehe, so weiß
ich doch nun das Wesen zu finden, dem ich meine geheimsten Gedanken und
Gesinnungen mitteilen kann. Was gleich einer Ephemere nur in mir lebte, mit
dem Sonnenblicke entstand, am Abend vergangen war, erhält nun ein zweites,
längeres Leben, wenn ich es dem sage, der mich versteht, mich berichtigt, wo
ich irre, mir anch die Schätze seines Geistes vertraulich mitteilt." Als sie den
Freund in Hof wußte, suchte sie ihn für ihre kaufmännischen Unternehmungen
zu intercsstren. Bald aber trat eine Entfremdung ein. Charlotte liebte nur
eine gewisse Seite der Jecin-Paulschen Schreibweise: das Phantastische, Bilder¬
reiche, Ahnungsvolle, Religiöse, dagegen stieß sie das Spaßhafte und satirische
entschieden ab. Herders Widerwille gegen diese tragikomischen Schattenbilder
des Lebens, Schillers und Goethes sehr kühle Beurteilung der Jean-Paulschen
Muse konnte sie darin nur bestärken. Überdies war Jean Paul anderwärts an¬
genehm beschäftigt. Erst ließ er sich die Huldigungen der Frau von Krüdener


Dichterfreundinnen.

von Verehrerinnen diejenigen, welche ihm persönlich am nächsten traten. Die
drei ersten waren verheiratet, und außer Karoline von Feuchtersleben sind alle
als Schriftstellerinnen aufgetreten. Mit allen hat der Dichter des Hesperus
einen kleinen Roman durchgespielt, mit zweien hat er sich in der Übereilung
verlobt, aber möglichst bald das Band wieder gelöst und sich endlich mit Karo¬
line, der Tochter des Obertribunalrates Mayer in Berlin, verheiratet, einem
schlichten, von aller Phantasterei weit entfernten Mädchen. Jean Paul erscheint in
diesen Beziehungen zur Frauenwelt unreif und unmännlich, wenn sich auch
vieles mit der Thorheit der nicht mehr jungen Damen und mit seinem Bestreben,
Studien zu machen, entschuldigen läßt. Die Auflösung seiner Verlobung mit
Karoline von Feuchtersleben, die sich erst mit ihrer ganzen adelsstolzen Familie
hatte verfeinden müssen, ehe sie ihm ihre Hand zusagen konnte, war im Grnnde
doch nichts andres als ein schmählicher Verrat.

Charlotte von Kalb hatte schon im Februar 1796 an Jean Paul ge¬
schrieben, um ihm ihre Wertschätzung auszudrücken. Aus dem warmen Tone
aufrichtiger Höflichkeit ward bald Vertraulichkeit, und schon die zweite Zuschrift
endet mit der Wendung: „Nicht wahr, niemand, niemand sieht meine Briefe?"
Bald kam er selbst. Der Gedanken- und Gefühlsaustausch begann, aber er blieb
noch immer im untadeligem Reiche des Idealen, denn wenn Charlotte zuweilen
im Fluge der Begeisterung ihren Freund mit „du" anredet und ausruft: „Um
Gotteswillen, zeige dich keinem andern als mir, alle, die dich fassen, werden für
dich sterben wollen. Nein, nein, sie flie Welt^I soll ihn nicht haben, oder ich
will vergehen; ich will erst vernichtet sein, dann kann sie ihn haben!" so darf
das nicht Wunder nehmen, war sie doch die unveränderliche Tochter der Sturm¬
und Drangzeit. Jean Paul war nur vier Wochen in Weimar, und drei von
diesen verbrachte Charlotte in Jena, wo sie eine kranke Freundin pflegte. Was
sie in der Freundschaft suchte, drückt sie sehr gut in dem Abschiedsbriefe aus,
den sie Jean Paul uach Weimar schreibt: „Wenn ich Sie nicht wiedersehe, so weiß
ich doch nun das Wesen zu finden, dem ich meine geheimsten Gedanken und
Gesinnungen mitteilen kann. Was gleich einer Ephemere nur in mir lebte, mit
dem Sonnenblicke entstand, am Abend vergangen war, erhält nun ein zweites,
längeres Leben, wenn ich es dem sage, der mich versteht, mich berichtigt, wo
ich irre, mir anch die Schätze seines Geistes vertraulich mitteilt." Als sie den
Freund in Hof wußte, suchte sie ihn für ihre kaufmännischen Unternehmungen
zu intercsstren. Bald aber trat eine Entfremdung ein. Charlotte liebte nur
eine gewisse Seite der Jecin-Paulschen Schreibweise: das Phantastische, Bilder¬
reiche, Ahnungsvolle, Religiöse, dagegen stieß sie das Spaßhafte und satirische
entschieden ab. Herders Widerwille gegen diese tragikomischen Schattenbilder
des Lebens, Schillers und Goethes sehr kühle Beurteilung der Jean-Paulschen
Muse konnte sie darin nur bestärken. Überdies war Jean Paul anderwärts an¬
genehm beschäftigt. Erst ließ er sich die Huldigungen der Frau von Krüdener


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/286>, abgerufen am 03.07.2024.