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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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einen Trupp von den höhern Straßen auf den Ludwigsplatz zurückgehen, um
über die neue Brücke auf die andre Saarseite zu gelangen, voran der Haupt¬
mann, dann aufgelöst, müde, grimmig die Mannschaften. Ich hörte einen sagen:
Wir sind doch zu früh gewichen. Von meinem Fenster hätte ich ihm zurufen
mögen, es sei vielmehr die höchste Zeit gewesen, denn Hunderte von Nothosen er¬
schienen in den nahen Gärten, freilich ohne sich herunter zu wagen. Unsre Ulanen
waren weg, die drei Kompanien auch, so weit sie nicht getötet oder versprengt
waren. Das Schießen hörte auf, gegen zwei Stunden lang war es ganz still,
was fast mehr beängstigend war, als das heftige Schießen vorher. Denn es
war ein heftiges Schießen von den Gärten her nicht bloß, sondern auch von
dem Exerzierplatz aus. Dort von dem östlichen und nördlichen Rande des Platzes
aus donnerten die Kanonen in der Richtung nach dem Se. Johanner Bahnhof
und nach dem Rastphul zu, wo sich preußische Infanterie zeigte. Den Bahnhof
beschoß man mit dem Erfolg, daß der Speisesaal ausbrannte, Fehlschüsse beschä¬
digten Privatgebäude, Balkone, setzten Speicher in Brand, aber man wollte
offenbar nur fiskalisches Eigentum zerstören. Zum erstenmale hörten wir auch
von dort das seltsame Geprassel der Mitrailleusen.

Als die entsetzliche Kanonade und das Gewehrfeuer schwieg und unsre Leute,
wie wir glaubten, fort waren, zog noch ein kleines Kommando beherzter Männer
meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Reserveoffizier kam bei mir vorbei, ein
Gefangener in Zivil, einen Stock in der Hand, folgte ihm, den Schluß bildete
ein preußischer Soldat. Offenbar sprach der Zivilist mit dem Soldaten französisch,
der Offizier drehte sich plötzlich um, entriß dem Franzosen den Stock und warf
ihn weit weg, und der Soldat machte dem Franzosen mit dem Bajonnet klar,
was ihm bevorstehe, wenn er noch einmal das gemeine Schimpfwort wieder¬
holte, das er eben von den Preußen gebraucht hatte. Es war der Redakteur
des Pariser Blattes ^Mix8, der soeben aus der Uniform in einen Zivilanzug
hatte schlüpfen wollen und dabei von dem scharfen Auge des Offiziers (in dem
nahe gelegenen Wirtshause) betroffen worden war. Da er sich zu langsam be¬
wegte, brachte man ihn auf einen Wagen, in welchen sich ein Leichnam befand,*)
und so wurde er transportirt.

Inzwischen war die ganze Umgegend, links von der Saar bis nach Se. U
m-
nak, in dem unbestrittenen Besitze der Feinde. Gegen zwei Uhr brachte ein Gym¬
nasiallehrer D. einen kleinen Schüler und seine Schwester nach Umnak, um sie nicht
ohne Schutz zu lassen. Auf dem Wege ließen sich mehrere französische Offiziere,
die völlig sorglos nach Umnak schlenderten, in ein Gespräch mit ihm ein; sie
riefen einen Soldaten herbei, der dem Deutschen die Einrichtung des Chassepot-



*) Er selbst hat später dies alles erzählt, auch seinen Aufenthalt bei den in Lehbach
sehenden Preußen und sein Abenteuer, als er wieder, "ach einigen Tagen, bei dein Be¬
treten des Vaterlandes sür einen Spion gehalten wurde und in Lebeusgefcchr kam.

einen Trupp von den höhern Straßen auf den Ludwigsplatz zurückgehen, um
über die neue Brücke auf die andre Saarseite zu gelangen, voran der Haupt¬
mann, dann aufgelöst, müde, grimmig die Mannschaften. Ich hörte einen sagen:
Wir sind doch zu früh gewichen. Von meinem Fenster hätte ich ihm zurufen
mögen, es sei vielmehr die höchste Zeit gewesen, denn Hunderte von Nothosen er¬
schienen in den nahen Gärten, freilich ohne sich herunter zu wagen. Unsre Ulanen
waren weg, die drei Kompanien auch, so weit sie nicht getötet oder versprengt
waren. Das Schießen hörte auf, gegen zwei Stunden lang war es ganz still,
was fast mehr beängstigend war, als das heftige Schießen vorher. Denn es
war ein heftiges Schießen von den Gärten her nicht bloß, sondern auch von
dem Exerzierplatz aus. Dort von dem östlichen und nördlichen Rande des Platzes
aus donnerten die Kanonen in der Richtung nach dem Se. Johanner Bahnhof
und nach dem Rastphul zu, wo sich preußische Infanterie zeigte. Den Bahnhof
beschoß man mit dem Erfolg, daß der Speisesaal ausbrannte, Fehlschüsse beschä¬
digten Privatgebäude, Balkone, setzten Speicher in Brand, aber man wollte
offenbar nur fiskalisches Eigentum zerstören. Zum erstenmale hörten wir auch
von dort das seltsame Geprassel der Mitrailleusen.

Als die entsetzliche Kanonade und das Gewehrfeuer schwieg und unsre Leute,
wie wir glaubten, fort waren, zog noch ein kleines Kommando beherzter Männer
meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Reserveoffizier kam bei mir vorbei, ein
Gefangener in Zivil, einen Stock in der Hand, folgte ihm, den Schluß bildete
ein preußischer Soldat. Offenbar sprach der Zivilist mit dem Soldaten französisch,
der Offizier drehte sich plötzlich um, entriß dem Franzosen den Stock und warf
ihn weit weg, und der Soldat machte dem Franzosen mit dem Bajonnet klar,
was ihm bevorstehe, wenn er noch einmal das gemeine Schimpfwort wieder¬
holte, das er eben von den Preußen gebraucht hatte. Es war der Redakteur
des Pariser Blattes ^Mix8, der soeben aus der Uniform in einen Zivilanzug
hatte schlüpfen wollen und dabei von dem scharfen Auge des Offiziers (in dem
nahe gelegenen Wirtshause) betroffen worden war. Da er sich zu langsam be¬
wegte, brachte man ihn auf einen Wagen, in welchen sich ein Leichnam befand,*)
und so wurde er transportirt.

Inzwischen war die ganze Umgegend, links von der Saar bis nach Se. U
m-
nak, in dem unbestrittenen Besitze der Feinde. Gegen zwei Uhr brachte ein Gym¬
nasiallehrer D. einen kleinen Schüler und seine Schwester nach Umnak, um sie nicht
ohne Schutz zu lassen. Auf dem Wege ließen sich mehrere französische Offiziere,
die völlig sorglos nach Umnak schlenderten, in ein Gespräch mit ihm ein; sie
riefen einen Soldaten herbei, der dem Deutschen die Einrichtung des Chassepot-



*) Er selbst hat später dies alles erzählt, auch seinen Aufenthalt bei den in Lehbach
sehenden Preußen und sein Abenteuer, als er wieder, «ach einigen Tagen, bei dein Be¬
treten des Vaterlandes sür einen Spion gehalten wurde und in Lebeusgefcchr kam.
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[0251] einen Trupp von den höhern Straßen auf den Ludwigsplatz zurückgehen, um über die neue Brücke auf die andre Saarseite zu gelangen, voran der Haupt¬ mann, dann aufgelöst, müde, grimmig die Mannschaften. Ich hörte einen sagen: Wir sind doch zu früh gewichen. Von meinem Fenster hätte ich ihm zurufen mögen, es sei vielmehr die höchste Zeit gewesen, denn Hunderte von Nothosen er¬ schienen in den nahen Gärten, freilich ohne sich herunter zu wagen. Unsre Ulanen waren weg, die drei Kompanien auch, so weit sie nicht getötet oder versprengt waren. Das Schießen hörte auf, gegen zwei Stunden lang war es ganz still, was fast mehr beängstigend war, als das heftige Schießen vorher. Denn es war ein heftiges Schießen von den Gärten her nicht bloß, sondern auch von dem Exerzierplatz aus. Dort von dem östlichen und nördlichen Rande des Platzes aus donnerten die Kanonen in der Richtung nach dem Se. Johanner Bahnhof und nach dem Rastphul zu, wo sich preußische Infanterie zeigte. Den Bahnhof beschoß man mit dem Erfolg, daß der Speisesaal ausbrannte, Fehlschüsse beschä¬ digten Privatgebäude, Balkone, setzten Speicher in Brand, aber man wollte offenbar nur fiskalisches Eigentum zerstören. Zum erstenmale hörten wir auch von dort das seltsame Geprassel der Mitrailleusen. Als die entsetzliche Kanonade und das Gewehrfeuer schwieg und unsre Leute, wie wir glaubten, fort waren, zog noch ein kleines Kommando beherzter Männer meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Reserveoffizier kam bei mir vorbei, ein Gefangener in Zivil, einen Stock in der Hand, folgte ihm, den Schluß bildete ein preußischer Soldat. Offenbar sprach der Zivilist mit dem Soldaten französisch, der Offizier drehte sich plötzlich um, entriß dem Franzosen den Stock und warf ihn weit weg, und der Soldat machte dem Franzosen mit dem Bajonnet klar, was ihm bevorstehe, wenn er noch einmal das gemeine Schimpfwort wieder¬ holte, das er eben von den Preußen gebraucht hatte. Es war der Redakteur des Pariser Blattes ^Mix8, der soeben aus der Uniform in einen Zivilanzug hatte schlüpfen wollen und dabei von dem scharfen Auge des Offiziers (in dem nahe gelegenen Wirtshause) betroffen worden war. Da er sich zu langsam be¬ wegte, brachte man ihn auf einen Wagen, in welchen sich ein Leichnam befand,*) und so wurde er transportirt. Inzwischen war die ganze Umgegend, links von der Saar bis nach Se. U m- nak, in dem unbestrittenen Besitze der Feinde. Gegen zwei Uhr brachte ein Gym¬ nasiallehrer D. einen kleinen Schüler und seine Schwester nach Umnak, um sie nicht ohne Schutz zu lassen. Auf dem Wege ließen sich mehrere französische Offiziere, die völlig sorglos nach Umnak schlenderten, in ein Gespräch mit ihm ein; sie riefen einen Soldaten herbei, der dem Deutschen die Einrichtung des Chassepot- *) Er selbst hat später dies alles erzählt, auch seinen Aufenthalt bei den in Lehbach sehenden Preußen und sein Abenteuer, als er wieder, «ach einigen Tagen, bei dein Be¬ treten des Vaterlandes sür einen Spion gehalten wurde und in Lebeusgefcchr kam.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/251>, abgerufen am 23.07.2024.