Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.Aus einem Ariegstagebuche. gewchres zeigen mußte, und waren ganz großmütig und liebenswürdig. Sie Man kam nach Umnak und ging in eine große Bierbrauerei. Der ganze Die Inspektion des Kellers war für den Bierwirt sehr aufregend, denn Es liegt seit dem 2. August ein schmerzlicher Druck auf unsrer Stadt, Aus einem Ariegstagebuche. gewchres zeigen mußte, und waren ganz großmütig und liebenswürdig. Sie Man kam nach Umnak und ging in eine große Bierbrauerei. Der ganze Die Inspektion des Kellers war für den Bierwirt sehr aufregend, denn Es liegt seit dem 2. August ein schmerzlicher Druck auf unsrer Stadt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201031"/> <fw type="header" place="top"> Aus einem Ariegstagebuche.</fw><lb/> <p xml:id="ID_739" prev="#ID_738"> gewchres zeigen mußte, und waren ganz großmütig und liebenswürdig. Sie<lb/> zogen Kartoffeln und Äpfel aus den Taschen und bemerkten, indem sie die In¬<lb/> tendantur beschimpften, daß sie in den letzten Tagen keine andre Nahrungs¬<lb/> mittel bekommen hatten als diese. Als sie in die Nähe des Halbergs kamen,<lb/> deuteten sie ärgerlich auf die Gegend, wo das eine Geschütz der Preußen ge¬<lb/> standen hatte. Das Geschütz habe ihnen vielen Schaden zugefügt, ja es sei<lb/> nicht anders möglich, als daß dabei noch Mitrailleusen gestanden hätten. Als<lb/> der Gymnasiallehrer versicherte, die Preußen Hütten diese Waffe gar nicht, er¬<lb/> wiederten sie, daß das wohl gesagt werde, aber mit einer Kanone könne man<lb/> nicht so schnell schießen, als es vom Berge her geschehen sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_740"> Man kam nach Umnak und ging in eine große Bierbrauerei. Der ganze<lb/> Hof war voll französischer Soldaten, die wacker zechten und sich um ihre Offi¬<lb/> ziere nicht im geringsten kümmerten. Die Unordnung wurde immer größer.<lb/> Die Fässer wurden allmählich leer; ein Offizier wollte nicht glauben, daß das<lb/> Bier zu Ende sei, und ging mit in den Keller, wo er jedes Faß durch Klopfe»<lb/> untersuchte. Er fand wirklich noch volle Fässer; der Brauereibesitzer erklärte,<lb/> dieses Bier sei noch nicht fertig, sein Genuß gefährlich. Aber der Offizier hielt<lb/> wenig von der Gefahr, ließ das Bier in Gebrauch nehmen, was das Gute<lb/> hatte, daß die Soldaten sich bald zurückziehen mußten.</p><lb/> <p xml:id="ID_741"> Die Inspektion des Kellers war für den Bierwirt sehr aufregend, denn<lb/> hinter den Fässern im Dunkel des Kellers war ein preußischer Soldat versteckt,<lb/> der sich nicht schnell genug hatte zurückziehen können. Er wurde glücklicher¬<lb/> weise nicht entdeckt. In der späten Nacht gab man ihm Banernkleider und<lb/> brachte ihn über die Saar.</p><lb/> <p xml:id="ID_742" next="#ID_743"> Es liegt seit dem 2. August ein schmerzlicher Druck auf unsrer Stadt,<lb/> wir sind wie abgeschnitten von der Welt, keine Zeitung, keine Post, nicht<lb/> einmal Glockengeläute und Predigt. Dagegen fühlt mau sich an der andern<lb/> Seite der Saar noch in Preußen. Die Franzosen sind angewiesen, nicht über<lb/> die Saar zu gehen. Denn die regelrecht und stetig fortschreitende Mvbilisirung<lb/> der preußischen Armee muß bald die Saarufer erreichen, die Franzosen erblickten<lb/> schon im Geiste Massen von Preußen in den dunkeln Wälder» der östlichen<lb/> Höhen, und in der That zeigten sich auch schon ostpreußische Kürassiere von<lb/> Zeit zu Zeit zwische» Neunkirchen und Se. Johann. Hierbei zeigte sich komischer¬<lb/> weise, daß die Ostpreußen meinten, schon östlich von der Saar wohnten fran¬<lb/> zösisch redende Stämme. Ein Lehrer, der von Se. Johann nach Dudweiler<lb/> ging und eine etwas verwegene Sommertracht trug, wurde von einem Kavalle¬<lb/> risten arretirt und vor den Offizier gebracht, der ihn in französischer Sprache<lb/> ausfragte und zur Rede stellte. Es löste sich bald alles zu beiderseitiger Zu¬<lb/> friedenheit. Unser geographischer Wissensstolz ist, wie man daraus sieht, nicht<lb/> ganz berechtigt. Auch unsre Ulanen waren, wie sich zeigte, nicht ganz ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0252]
Aus einem Ariegstagebuche.
gewchres zeigen mußte, und waren ganz großmütig und liebenswürdig. Sie
zogen Kartoffeln und Äpfel aus den Taschen und bemerkten, indem sie die In¬
tendantur beschimpften, daß sie in den letzten Tagen keine andre Nahrungs¬
mittel bekommen hatten als diese. Als sie in die Nähe des Halbergs kamen,
deuteten sie ärgerlich auf die Gegend, wo das eine Geschütz der Preußen ge¬
standen hatte. Das Geschütz habe ihnen vielen Schaden zugefügt, ja es sei
nicht anders möglich, als daß dabei noch Mitrailleusen gestanden hätten. Als
der Gymnasiallehrer versicherte, die Preußen Hütten diese Waffe gar nicht, er¬
wiederten sie, daß das wohl gesagt werde, aber mit einer Kanone könne man
nicht so schnell schießen, als es vom Berge her geschehen sei.
Man kam nach Umnak und ging in eine große Bierbrauerei. Der ganze
Hof war voll französischer Soldaten, die wacker zechten und sich um ihre Offi¬
ziere nicht im geringsten kümmerten. Die Unordnung wurde immer größer.
Die Fässer wurden allmählich leer; ein Offizier wollte nicht glauben, daß das
Bier zu Ende sei, und ging mit in den Keller, wo er jedes Faß durch Klopfe»
untersuchte. Er fand wirklich noch volle Fässer; der Brauereibesitzer erklärte,
dieses Bier sei noch nicht fertig, sein Genuß gefährlich. Aber der Offizier hielt
wenig von der Gefahr, ließ das Bier in Gebrauch nehmen, was das Gute
hatte, daß die Soldaten sich bald zurückziehen mußten.
Die Inspektion des Kellers war für den Bierwirt sehr aufregend, denn
hinter den Fässern im Dunkel des Kellers war ein preußischer Soldat versteckt,
der sich nicht schnell genug hatte zurückziehen können. Er wurde glücklicher¬
weise nicht entdeckt. In der späten Nacht gab man ihm Banernkleider und
brachte ihn über die Saar.
Es liegt seit dem 2. August ein schmerzlicher Druck auf unsrer Stadt,
wir sind wie abgeschnitten von der Welt, keine Zeitung, keine Post, nicht
einmal Glockengeläute und Predigt. Dagegen fühlt mau sich an der andern
Seite der Saar noch in Preußen. Die Franzosen sind angewiesen, nicht über
die Saar zu gehen. Denn die regelrecht und stetig fortschreitende Mvbilisirung
der preußischen Armee muß bald die Saarufer erreichen, die Franzosen erblickten
schon im Geiste Massen von Preußen in den dunkeln Wälder» der östlichen
Höhen, und in der That zeigten sich auch schon ostpreußische Kürassiere von
Zeit zu Zeit zwische» Neunkirchen und Se. Johann. Hierbei zeigte sich komischer¬
weise, daß die Ostpreußen meinten, schon östlich von der Saar wohnten fran¬
zösisch redende Stämme. Ein Lehrer, der von Se. Johann nach Dudweiler
ging und eine etwas verwegene Sommertracht trug, wurde von einem Kavalle¬
risten arretirt und vor den Offizier gebracht, der ihn in französischer Sprache
ausfragte und zur Rede stellte. Es löste sich bald alles zu beiderseitiger Zu¬
friedenheit. Unser geographischer Wissensstolz ist, wie man daraus sieht, nicht
ganz berechtigt. Auch unsre Ulanen waren, wie sich zeigte, nicht ganz ver-
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