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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus einem Rriegstagebuche.

sollen. Ein unbehaglicher Gedanke, so allein zu sein mitten unter den Feinden.
Der General tröstete, es werde nur auf wenige Tage der Übermut der Feinde
z" ertragen sein. Wir räumten in unsern Wohnungen einige Zimmer aus und
sorgten für Matratzen und Stroh, um die fremde Soldateska beim ersten An¬
sturm unterzubringen und nicht alles improvisiren zu müssen.

Ein kleiner militärischer Versuch, von der Pfalz ans nachts einen Viadukt
der französischen Eisenbahn zwischen Bieses und Saargemünd zu sprengen, ist nicht
nach Wunsch gelungen. Ein Ulanen-Rittmeister hatte das Wagnis mit einigen
freiwillig teilnehmenden Mannschaften unternommen, er hatte Jäger und Berg¬
leute zu Hilfe genommen. In der ersten Nacht konnte er nicht unbemerkt an
die Eisenbahn gelangen, er mußte also eine zweite Nacht abwarten. Nun wurde
zum Werke geschritten. Die Postenkette wurde aufgestellt. Der Rittmeister revi-
dirte sie in der Nacht selbst, er fand die äußerst ermüdeten, sonst so rüstigen Mann¬
schaften, auf die alles ankam, trotz der kritischen Lage und der Nähe des Feindes
schlaftrunken. Nachdem er die Leute geweckt und ihnen ihre Verantwortlichkeit
eingeschärft hatte, ging es eine kleine Weile gut. Nach fünfzehn Minuten fand
der Rittmeister sie wieder eingeschlafen. Er kannte seine Leute und -- wachte selbst
für sie, bis die Sprengung stattgefunden hatte. Leider war nicht viel zerstört
worden, in vierundzwanzig Stunden können die Feinde den Schaden ausgebessert
haben.

So sind trotz unsrer Hoffnung die Franzosen doch über unsre Grenze
und in unsre Stadt gerückt. Wir waren umso sicherer geworden, als sich am
frühen Morgen zwei preußische Geschütze durch die Stadt auf die Höhe begeben
hatten, wie wir vermuteten, als Vorläufer eines größeren Heeres. Aber dort soll
den Führern der Geschütze ein höherer Offizier gesagt haben, daß sie recht bald ans
das andre Saarnfcr zurückgehen mochten, wenn sie ihre Kanonen retten wollten.
So geschah es denn; das eine Geschütz nahm am Halbcrg eine vorteilhafte
Stellung südlich von Se. Johann, das andere nördlich über Maistatt. Nun
ahnten wir auch, daß etwas Größeres bevorstehe. Gegen elf Uhr hörten wir
von jenseits unsrer hochgelegenen Gärten schießen, die Schulen wurden eiligst
geschlossen. Eine französische Kugel, die sich verirrt hatte, war schon dnrch das
offne Fenster über die Köpfe der Quintaner weg in die Wand eingedrungen.
Unsre Vierziger schössen sich wacker herum mit den Feinden, drei Kompagnien
gegen drei Divisionen, wie man sagt. Man konnte in der Stadt den Knall
der Chasscpots und der Zündnndelgewchre Wohl unterscheiden. Die Dachziegel
klirrten schließlich von den Kugeln. An gut gelegenen Punkten faßten unsre
Leute, obgleich das Zurückgehen befohlen war, Posrv; die geübtesten Schützen
erlegten noch manche, wiewohl sie in großem Nachteil waren gegen die höher
stehenden Massen der besser bewaffneten Feinde. Die Ermüdung wurde zuletzt
bei der übermenschlichen Anstrengung unsrer wenigen Leute zu groß. Ich sah


Aus einem Rriegstagebuche.

sollen. Ein unbehaglicher Gedanke, so allein zu sein mitten unter den Feinden.
Der General tröstete, es werde nur auf wenige Tage der Übermut der Feinde
z» ertragen sein. Wir räumten in unsern Wohnungen einige Zimmer aus und
sorgten für Matratzen und Stroh, um die fremde Soldateska beim ersten An¬
sturm unterzubringen und nicht alles improvisiren zu müssen.

Ein kleiner militärischer Versuch, von der Pfalz ans nachts einen Viadukt
der französischen Eisenbahn zwischen Bieses und Saargemünd zu sprengen, ist nicht
nach Wunsch gelungen. Ein Ulanen-Rittmeister hatte das Wagnis mit einigen
freiwillig teilnehmenden Mannschaften unternommen, er hatte Jäger und Berg¬
leute zu Hilfe genommen. In der ersten Nacht konnte er nicht unbemerkt an
die Eisenbahn gelangen, er mußte also eine zweite Nacht abwarten. Nun wurde
zum Werke geschritten. Die Postenkette wurde aufgestellt. Der Rittmeister revi-
dirte sie in der Nacht selbst, er fand die äußerst ermüdeten, sonst so rüstigen Mann¬
schaften, auf die alles ankam, trotz der kritischen Lage und der Nähe des Feindes
schlaftrunken. Nachdem er die Leute geweckt und ihnen ihre Verantwortlichkeit
eingeschärft hatte, ging es eine kleine Weile gut. Nach fünfzehn Minuten fand
der Rittmeister sie wieder eingeschlafen. Er kannte seine Leute und — wachte selbst
für sie, bis die Sprengung stattgefunden hatte. Leider war nicht viel zerstört
worden, in vierundzwanzig Stunden können die Feinde den Schaden ausgebessert
haben.

So sind trotz unsrer Hoffnung die Franzosen doch über unsre Grenze
und in unsre Stadt gerückt. Wir waren umso sicherer geworden, als sich am
frühen Morgen zwei preußische Geschütze durch die Stadt auf die Höhe begeben
hatten, wie wir vermuteten, als Vorläufer eines größeren Heeres. Aber dort soll
den Führern der Geschütze ein höherer Offizier gesagt haben, daß sie recht bald ans
das andre Saarnfcr zurückgehen mochten, wenn sie ihre Kanonen retten wollten.
So geschah es denn; das eine Geschütz nahm am Halbcrg eine vorteilhafte
Stellung südlich von Se. Johann, das andere nördlich über Maistatt. Nun
ahnten wir auch, daß etwas Größeres bevorstehe. Gegen elf Uhr hörten wir
von jenseits unsrer hochgelegenen Gärten schießen, die Schulen wurden eiligst
geschlossen. Eine französische Kugel, die sich verirrt hatte, war schon dnrch das
offne Fenster über die Köpfe der Quintaner weg in die Wand eingedrungen.
Unsre Vierziger schössen sich wacker herum mit den Feinden, drei Kompagnien
gegen drei Divisionen, wie man sagt. Man konnte in der Stadt den Knall
der Chasscpots und der Zündnndelgewchre Wohl unterscheiden. Die Dachziegel
klirrten schließlich von den Kugeln. An gut gelegenen Punkten faßten unsre
Leute, obgleich das Zurückgehen befohlen war, Posrv; die geübtesten Schützen
erlegten noch manche, wiewohl sie in großem Nachteil waren gegen die höher
stehenden Massen der besser bewaffneten Feinde. Die Ermüdung wurde zuletzt
bei der übermenschlichen Anstrengung unsrer wenigen Leute zu groß. Ich sah


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[0250] Aus einem Rriegstagebuche. sollen. Ein unbehaglicher Gedanke, so allein zu sein mitten unter den Feinden. Der General tröstete, es werde nur auf wenige Tage der Übermut der Feinde z» ertragen sein. Wir räumten in unsern Wohnungen einige Zimmer aus und sorgten für Matratzen und Stroh, um die fremde Soldateska beim ersten An¬ sturm unterzubringen und nicht alles improvisiren zu müssen. Ein kleiner militärischer Versuch, von der Pfalz ans nachts einen Viadukt der französischen Eisenbahn zwischen Bieses und Saargemünd zu sprengen, ist nicht nach Wunsch gelungen. Ein Ulanen-Rittmeister hatte das Wagnis mit einigen freiwillig teilnehmenden Mannschaften unternommen, er hatte Jäger und Berg¬ leute zu Hilfe genommen. In der ersten Nacht konnte er nicht unbemerkt an die Eisenbahn gelangen, er mußte also eine zweite Nacht abwarten. Nun wurde zum Werke geschritten. Die Postenkette wurde aufgestellt. Der Rittmeister revi- dirte sie in der Nacht selbst, er fand die äußerst ermüdeten, sonst so rüstigen Mann¬ schaften, auf die alles ankam, trotz der kritischen Lage und der Nähe des Feindes schlaftrunken. Nachdem er die Leute geweckt und ihnen ihre Verantwortlichkeit eingeschärft hatte, ging es eine kleine Weile gut. Nach fünfzehn Minuten fand der Rittmeister sie wieder eingeschlafen. Er kannte seine Leute und — wachte selbst für sie, bis die Sprengung stattgefunden hatte. Leider war nicht viel zerstört worden, in vierundzwanzig Stunden können die Feinde den Schaden ausgebessert haben. So sind trotz unsrer Hoffnung die Franzosen doch über unsre Grenze und in unsre Stadt gerückt. Wir waren umso sicherer geworden, als sich am frühen Morgen zwei preußische Geschütze durch die Stadt auf die Höhe begeben hatten, wie wir vermuteten, als Vorläufer eines größeren Heeres. Aber dort soll den Führern der Geschütze ein höherer Offizier gesagt haben, daß sie recht bald ans das andre Saarnfcr zurückgehen mochten, wenn sie ihre Kanonen retten wollten. So geschah es denn; das eine Geschütz nahm am Halbcrg eine vorteilhafte Stellung südlich von Se. Johann, das andere nördlich über Maistatt. Nun ahnten wir auch, daß etwas Größeres bevorstehe. Gegen elf Uhr hörten wir von jenseits unsrer hochgelegenen Gärten schießen, die Schulen wurden eiligst geschlossen. Eine französische Kugel, die sich verirrt hatte, war schon dnrch das offne Fenster über die Köpfe der Quintaner weg in die Wand eingedrungen. Unsre Vierziger schössen sich wacker herum mit den Feinden, drei Kompagnien gegen drei Divisionen, wie man sagt. Man konnte in der Stadt den Knall der Chasscpots und der Zündnndelgewchre Wohl unterscheiden. Die Dachziegel klirrten schließlich von den Kugeln. An gut gelegenen Punkten faßten unsre Leute, obgleich das Zurückgehen befohlen war, Posrv; die geübtesten Schützen erlegten noch manche, wiewohl sie in großem Nachteil waren gegen die höher stehenden Massen der besser bewaffneten Feinde. Die Ermüdung wurde zuletzt bei der übermenschlichen Anstrengung unsrer wenigen Leute zu groß. Ich sah

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/250>, abgerufen am 23.07.2024.