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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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und denen gegenüber es gelten mußte, unsre Wehrkraft zu stärken, nicht für
heute oder morgen nur, sondern für die Zukunft. Und bei solcher Sprache unsrer
Feinde, die gar kein Hehl daraus machten und machen, daß sie unsern Unter¬
gang ersehnen, da konnten deutsche Zeitungen von französischer Friedensliebe reden!
Solchen in deutscher Sprache schreibenden Zeitungen stellte ein französisches Blatt,
ein förmliches Zeugnis ihres Wohlverhaltens aus: "Man kann den Eifer
nur anerkennen, so schrieb das französische Blatt, in dem unsre Sache in ganz
besondrer Weise von der "Freisinnigen Zeitung", dem Organ des Herrn Richter,
von der "Germania", dem Organ des Herrn Windthorst, vom "Berliner Tage¬
blatt" und von der "Frankfurter Zeitung", dem Organ des Herrn Sonnemanu,
vom "Beobachter" in Stuttgart, dem Organ des Herrn Karl Mäher, des Führers
der Volkspartei in Württemberg, und von der "Volkszeitung", dem katholischen
Journal in Köln, unterstützt worden ist." Und damit auch die lieben Brüder
von Sozialdemokraten ihren Anteil an der Ehre französischer Anerkennung em¬
pfingen, so begrüßte Felix Pyat die Vertreter derselbe" im Reichstage als
"echte Franzosen."

Bereits aber hatte es angefangen, im Lager des Zentrums wie des Freisinns
zu bröckeln, und es bröckelte fort. Für den letzteren war die Lossagung der säch¬
sischen freisinnigen Vertreter von Eugen Richter ein schwerer Schlag, für das
erstere die Lossagung eines Teiles des rheinischen und Westfälischen Adels von
Windthorst. Dagegen siegte in dem rcichstreuen Lager die Kartelltrene der
beiden konservativen und der nationalliberalen Partei, ein Zeichen, daß die
politische Reife mächtig gewachsen war in der schlimmen Zeit der Herrschaft
der drei großen Necken: Windthorst-Richter-Grillenberger. Man unterwarf
überall bei den reichstreuen Parteien aus Gründen der höheren politischen
Einsicht die bestehenden örtlichen und persönlichen Differenzen den höheren Inter¬
essen des Staates. Die Liebe zum Vaterlande erwachte mächtig; die Reihen
der Freisinnigen lichteten sich merklich. Hätte diese nicht eine Götterhand mit
Verblendung geschlagen, sie hätten es bemerken müssen, wie sich die Volksseele
von ihnen wandte, und hätten sich fragen müssen, ob denn nicht ein Teil der
Schuld wenigstens sie träfe. Wie viele ihrer dann ehrliche Männer waren,
sie mußten handeln nach dem alten guten Wort: Huao irooiturg. tsnW, "zuMi-
vis sirck "arg,, rölimzuL! Aber sie wollten das Regen der Volksseele und die
bange Sorge für das Vaterland nicht verstehen, vielmehr trieben sie das Geschäft
der politischen Brunuenvergiftung umso stärker, je mehr die Ahnung vom
Abfall des Volkes sie beschlich. Konnte man bisher ihr Verhalten in Vezng
ans die Sicherheit des Vaterlandes noch als Leichtsinn ihrerseits sich erklären,
so traten gegen das Ende des Wahlkampfes Dinge zu Tage, wo der Leichtsinn
ins Verbrechen umschlug. War es noch interessant gewesen, zu sehen, wie die
Deutschfreisinnigen mit Feuereifer für "die Einheit und Unteilbarkeit" des
Zentrums wirkten und wie die Aufrechthaltung der Macht des Zentrums der


Grenzboten III. 1887. 16

und denen gegenüber es gelten mußte, unsre Wehrkraft zu stärken, nicht für
heute oder morgen nur, sondern für die Zukunft. Und bei solcher Sprache unsrer
Feinde, die gar kein Hehl daraus machten und machen, daß sie unsern Unter¬
gang ersehnen, da konnten deutsche Zeitungen von französischer Friedensliebe reden!
Solchen in deutscher Sprache schreibenden Zeitungen stellte ein französisches Blatt,
ein förmliches Zeugnis ihres Wohlverhaltens aus: „Man kann den Eifer
nur anerkennen, so schrieb das französische Blatt, in dem unsre Sache in ganz
besondrer Weise von der »Freisinnigen Zeitung«, dem Organ des Herrn Richter,
von der »Germania«, dem Organ des Herrn Windthorst, vom »Berliner Tage¬
blatt« und von der »Frankfurter Zeitung«, dem Organ des Herrn Sonnemanu,
vom »Beobachter« in Stuttgart, dem Organ des Herrn Karl Mäher, des Führers
der Volkspartei in Württemberg, und von der »Volkszeitung«, dem katholischen
Journal in Köln, unterstützt worden ist." Und damit auch die lieben Brüder
von Sozialdemokraten ihren Anteil an der Ehre französischer Anerkennung em¬
pfingen, so begrüßte Felix Pyat die Vertreter derselbe» im Reichstage als
„echte Franzosen."

Bereits aber hatte es angefangen, im Lager des Zentrums wie des Freisinns
zu bröckeln, und es bröckelte fort. Für den letzteren war die Lossagung der säch¬
sischen freisinnigen Vertreter von Eugen Richter ein schwerer Schlag, für das
erstere die Lossagung eines Teiles des rheinischen und Westfälischen Adels von
Windthorst. Dagegen siegte in dem rcichstreuen Lager die Kartelltrene der
beiden konservativen und der nationalliberalen Partei, ein Zeichen, daß die
politische Reife mächtig gewachsen war in der schlimmen Zeit der Herrschaft
der drei großen Necken: Windthorst-Richter-Grillenberger. Man unterwarf
überall bei den reichstreuen Parteien aus Gründen der höheren politischen
Einsicht die bestehenden örtlichen und persönlichen Differenzen den höheren Inter¬
essen des Staates. Die Liebe zum Vaterlande erwachte mächtig; die Reihen
der Freisinnigen lichteten sich merklich. Hätte diese nicht eine Götterhand mit
Verblendung geschlagen, sie hätten es bemerken müssen, wie sich die Volksseele
von ihnen wandte, und hätten sich fragen müssen, ob denn nicht ein Teil der
Schuld wenigstens sie träfe. Wie viele ihrer dann ehrliche Männer waren,
sie mußten handeln nach dem alten guten Wort: Huao irooiturg. tsnW, «zuMi-
vis sirck «arg,, rölimzuL! Aber sie wollten das Regen der Volksseele und die
bange Sorge für das Vaterland nicht verstehen, vielmehr trieben sie das Geschäft
der politischen Brunuenvergiftung umso stärker, je mehr die Ahnung vom
Abfall des Volkes sie beschlich. Konnte man bisher ihr Verhalten in Vezng
ans die Sicherheit des Vaterlandes noch als Leichtsinn ihrerseits sich erklären,
so traten gegen das Ende des Wahlkampfes Dinge zu Tage, wo der Leichtsinn
ins Verbrechen umschlug. War es noch interessant gewesen, zu sehen, wie die
Deutschfreisinnigen mit Feuereifer für „die Einheit und Unteilbarkeit" des
Zentrums wirkten und wie die Aufrechthaltung der Macht des Zentrums der


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[0121] und denen gegenüber es gelten mußte, unsre Wehrkraft zu stärken, nicht für heute oder morgen nur, sondern für die Zukunft. Und bei solcher Sprache unsrer Feinde, die gar kein Hehl daraus machten und machen, daß sie unsern Unter¬ gang ersehnen, da konnten deutsche Zeitungen von französischer Friedensliebe reden! Solchen in deutscher Sprache schreibenden Zeitungen stellte ein französisches Blatt, ein förmliches Zeugnis ihres Wohlverhaltens aus: „Man kann den Eifer nur anerkennen, so schrieb das französische Blatt, in dem unsre Sache in ganz besondrer Weise von der »Freisinnigen Zeitung«, dem Organ des Herrn Richter, von der »Germania«, dem Organ des Herrn Windthorst, vom »Berliner Tage¬ blatt« und von der »Frankfurter Zeitung«, dem Organ des Herrn Sonnemanu, vom »Beobachter« in Stuttgart, dem Organ des Herrn Karl Mäher, des Führers der Volkspartei in Württemberg, und von der »Volkszeitung«, dem katholischen Journal in Köln, unterstützt worden ist." Und damit auch die lieben Brüder von Sozialdemokraten ihren Anteil an der Ehre französischer Anerkennung em¬ pfingen, so begrüßte Felix Pyat die Vertreter derselbe» im Reichstage als „echte Franzosen." Bereits aber hatte es angefangen, im Lager des Zentrums wie des Freisinns zu bröckeln, und es bröckelte fort. Für den letzteren war die Lossagung der säch¬ sischen freisinnigen Vertreter von Eugen Richter ein schwerer Schlag, für das erstere die Lossagung eines Teiles des rheinischen und Westfälischen Adels von Windthorst. Dagegen siegte in dem rcichstreuen Lager die Kartelltrene der beiden konservativen und der nationalliberalen Partei, ein Zeichen, daß die politische Reife mächtig gewachsen war in der schlimmen Zeit der Herrschaft der drei großen Necken: Windthorst-Richter-Grillenberger. Man unterwarf überall bei den reichstreuen Parteien aus Gründen der höheren politischen Einsicht die bestehenden örtlichen und persönlichen Differenzen den höheren Inter¬ essen des Staates. Die Liebe zum Vaterlande erwachte mächtig; die Reihen der Freisinnigen lichteten sich merklich. Hätte diese nicht eine Götterhand mit Verblendung geschlagen, sie hätten es bemerken müssen, wie sich die Volksseele von ihnen wandte, und hätten sich fragen müssen, ob denn nicht ein Teil der Schuld wenigstens sie träfe. Wie viele ihrer dann ehrliche Männer waren, sie mußten handeln nach dem alten guten Wort: Huao irooiturg. tsnW, «zuMi- vis sirck «arg,, rölimzuL! Aber sie wollten das Regen der Volksseele und die bange Sorge für das Vaterland nicht verstehen, vielmehr trieben sie das Geschäft der politischen Brunuenvergiftung umso stärker, je mehr die Ahnung vom Abfall des Volkes sie beschlich. Konnte man bisher ihr Verhalten in Vezng ans die Sicherheit des Vaterlandes noch als Leichtsinn ihrerseits sich erklären, so traten gegen das Ende des Wahlkampfes Dinge zu Tage, wo der Leichtsinn ins Verbrechen umschlug. War es noch interessant gewesen, zu sehen, wie die Deutschfreisinnigen mit Feuereifer für „die Einheit und Unteilbarkeit" des Zentrums wirkten und wie die Aufrechthaltung der Macht des Zentrums der Grenzboten III. 1887. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/121>, abgerufen am 23.07.2024.