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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Sie Opposition während dos letzten Wahlkampfes.

der Freisinn in frühern Jahren verstanden hätte, patriotisch zu sein; gerade
dadurch, daß die Fortschrittspartei einerseits und die protestantischen Klerikalen
anderseits die Kraft der preußischen Negierung im Kampfe gegen den Ultra¬
montanismus lähmten, tragen sie die Hauptschuld daran, daß der Kulturkampf
so verlief, wie er min ebeu verlaufen ist. Herr Minister ni. D. Falk kaun davon
wohl manch Stückchen erzählen. Jetzt fehlt nur das eine, daß sie beide über
Verrat schreien. Daß sie Schafe waren, die ihre Wolle für einen andern trugen,
ließen sie sich uicht im Traume einfallen. Was insbesondre die Freisinnigen
angeht, so liegt die Sache so: so lange die Einmischung des offiziellen Apparates
zu Gunsten des Freisinns erfolgte, war dies Heilsani; wenn sie im entgegen¬
gesetzten Fall erfolgt, ist dies eine tiefe Demütigung Deutschlands.

Bei den Friedensschalmeien, die dem Freisinn so liebliche Musik waren,
hatte Frankreich seine Rüstungen fortgesetzt. Zu den sechsundachtzig Millionen fiir
Boulanger, die die französische Deputirtenkammer schweigend und einstimmig be¬
willigt hatte, hatte sie dreißig Millionen zur Vermehrung der Kriegsflotte für
Aube hinzugefügt. Die liovs-notis, und ähnlich wie sie alle Pariser Blätter,
schrieb nach der Abstimmung über diese militärischen Forderungen am 8. Februar:
"Die Kammer hat die militärischen Forderungen ohne alle Umschweife, ebenso
leicht, ebenso natürlich, ebenso rundweg bewilligt, wie das einfachste Gesetz mit
beschränktester Tragweite, mit derselben Schnelligkeit, wir möchten sagen mit
derselben Augenblicklichkeit. Wir haben für uns nur einen Schmerz, daß man
dem nationalen Patriotismus kein noch größeres und wirksameres Opfer ab¬
verlangt hat." Die französische Kaminer bewilligte lautlos für einen Angriffs¬
krieg, der deutsche Reichstag hat aufgelöst werden müssen, weil er die Stcirknng
der Wehrkraft für einen Verteidigungskrieg verweigert hatte. Wenn der Frei¬
sinn mir in einem ehrlichen Irrtum über die Stimmung der entscheidenden
Kreise in Frankreich gewesen wäre, man sollte meinen, aus der Abstimmung der
Deputirtenkammer hätte er entnehmen müssen, daß diese damals vielgerühmte
Stille der Franzosen nur ein allgemeines, erwartungsvolles Harren auf die Stunde
war, wo der erkorene Führer, den mau bereits zu haben glaubte, das Zeichen geben
würde. Welchen Sinn hatte diese Abstimmung in der französischen Kammer,
wenn nicht den, den die I'rg.nos mit klaren Worten gab, als sie, schon mehrere
Wochen vor dieser Abstimmung schrieb: "Boulanger ist der Kümpe, dem wir
vertrauen, der Soldat, von dem wir erwarten, daß er das Sehnen Frankreichs
stille." Und wiederum, am 18. Dezember 1886: "Graf Moltke hat gesagt,
Deutschland werde Elsaß-Lothringen niemals wieder herausgeben. Das haben
wir auch garnicht erwartet; aber da wir beabsichtigen, diese beiden Provinzen
zurückzunehmen . . ., so steht es unwiderruflich fest, daß der Krieg zwischen Frank¬
reich und Deutschland unvermeidlich geworden ist, ein Krieg, der heute oder
morgen, sicherlich aber bei der ersten Gelegenheit zum Ausbruch kommen wird."
Das ist doch wahrlich die Sprache von Feinden, die uns bis aufs Blut hassen


Sie Opposition während dos letzten Wahlkampfes.

der Freisinn in frühern Jahren verstanden hätte, patriotisch zu sein; gerade
dadurch, daß die Fortschrittspartei einerseits und die protestantischen Klerikalen
anderseits die Kraft der preußischen Negierung im Kampfe gegen den Ultra¬
montanismus lähmten, tragen sie die Hauptschuld daran, daß der Kulturkampf
so verlief, wie er min ebeu verlaufen ist. Herr Minister ni. D. Falk kaun davon
wohl manch Stückchen erzählen. Jetzt fehlt nur das eine, daß sie beide über
Verrat schreien. Daß sie Schafe waren, die ihre Wolle für einen andern trugen,
ließen sie sich uicht im Traume einfallen. Was insbesondre die Freisinnigen
angeht, so liegt die Sache so: so lange die Einmischung des offiziellen Apparates
zu Gunsten des Freisinns erfolgte, war dies Heilsani; wenn sie im entgegen¬
gesetzten Fall erfolgt, ist dies eine tiefe Demütigung Deutschlands.

Bei den Friedensschalmeien, die dem Freisinn so liebliche Musik waren,
hatte Frankreich seine Rüstungen fortgesetzt. Zu den sechsundachtzig Millionen fiir
Boulanger, die die französische Deputirtenkammer schweigend und einstimmig be¬
willigt hatte, hatte sie dreißig Millionen zur Vermehrung der Kriegsflotte für
Aube hinzugefügt. Die liovs-notis, und ähnlich wie sie alle Pariser Blätter,
schrieb nach der Abstimmung über diese militärischen Forderungen am 8. Februar:
„Die Kammer hat die militärischen Forderungen ohne alle Umschweife, ebenso
leicht, ebenso natürlich, ebenso rundweg bewilligt, wie das einfachste Gesetz mit
beschränktester Tragweite, mit derselben Schnelligkeit, wir möchten sagen mit
derselben Augenblicklichkeit. Wir haben für uns nur einen Schmerz, daß man
dem nationalen Patriotismus kein noch größeres und wirksameres Opfer ab¬
verlangt hat." Die französische Kaminer bewilligte lautlos für einen Angriffs¬
krieg, der deutsche Reichstag hat aufgelöst werden müssen, weil er die Stcirknng
der Wehrkraft für einen Verteidigungskrieg verweigert hatte. Wenn der Frei¬
sinn mir in einem ehrlichen Irrtum über die Stimmung der entscheidenden
Kreise in Frankreich gewesen wäre, man sollte meinen, aus der Abstimmung der
Deputirtenkammer hätte er entnehmen müssen, daß diese damals vielgerühmte
Stille der Franzosen nur ein allgemeines, erwartungsvolles Harren auf die Stunde
war, wo der erkorene Führer, den mau bereits zu haben glaubte, das Zeichen geben
würde. Welchen Sinn hatte diese Abstimmung in der französischen Kammer,
wenn nicht den, den die I'rg.nos mit klaren Worten gab, als sie, schon mehrere
Wochen vor dieser Abstimmung schrieb: „Boulanger ist der Kümpe, dem wir
vertrauen, der Soldat, von dem wir erwarten, daß er das Sehnen Frankreichs
stille." Und wiederum, am 18. Dezember 1886: „Graf Moltke hat gesagt,
Deutschland werde Elsaß-Lothringen niemals wieder herausgeben. Das haben
wir auch garnicht erwartet; aber da wir beabsichtigen, diese beiden Provinzen
zurückzunehmen . . ., so steht es unwiderruflich fest, daß der Krieg zwischen Frank¬
reich und Deutschland unvermeidlich geworden ist, ein Krieg, der heute oder
morgen, sicherlich aber bei der ersten Gelegenheit zum Ausbruch kommen wird."
Das ist doch wahrlich die Sprache von Feinden, die uns bis aufs Blut hassen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/120>, abgerufen am 23.07.2024.