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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Eine christliche Ästhetik.
von Karl Borinski.

cigegcn dürfte in der Aufnahme und Verbreitung des Buches auch
im Auslande allerdings ein Beweis liegen, daß es an Hand¬
büchern der Ästhetik, die für Christen brauchbar sind, einiger¬
maßen fehlt. -- Wir finden das nicht gerade. Auf evange¬
lischer Seite wird gleich mit Luther das ästhetische Gebiet der
weltlichen Wissenschaft ein beliebter Tummelplatz nicht bloß für christliche,
sondern sogar sür zelotische Geister, auf katholischer haben wir die Romantik,
wir haben den alten Stolberg und Schlegel, wir haben Schelling, Eichendorff
und was sich daran anschließt. Aber eine Ästhetik vunr "xprobtttions sups-
rivruni, die hatten wir noch nicht, die fehlte allerdings. Josef Jungmann in
Innsbruck") hat sie uns gegeben, und gleich in so achtungs- und beachtnngs-
werter Weise, daß wir gestehen müssen, die Oberen haben sich ihren Mann gut
gewählt. Sie Hütten keinen bessern finden können.

Die oben im Eingang angeführten Zeilen sind der kurze, rein geschäftlich ge¬
haltenen Vorrede des fast tausend Seiten starken Bandes entnommen. Aber mehr
als die längste Vorrede sagt selbst dem Unkundigen die kurze, inhaltschwere Wid-
mung: "An August Reichensperger." Man kennt August Reichenspergers
Stellung zur modernen Kunst, man kennt seine oft sehr berechtigten Philippiken
gegen den Kultus des Nackten, man kennt aber auch seine oft sehr unberech¬
tigten Kapuzinaden gegen die Antike in der neuern Kunst und alles, was damit
zusammenhängt, gegen die Renaissance, gegen die Säulen, gegen die antiken
Heldenstatucu auf der Berliner Schloßbrücke, gegen Kalides' Bacchantin u. s. w.
Und wenn die Grenzboten bereits 1856 ihm "nachsagten," "er behaupte, daß
die Kunst von der Kirche nicht getrennt werden könne, und daß alle ächte Kunst
katholisch sei" (S. 370), so werden sie heute nach einem Menschenalter in Ver¬
legenheit sein, für die von seinem Gesinnungsgenossen in ein System gebrachten
Behauptungen einen andern zusammenfassenden Ausdruck zu finden. Um jedoch
nicht wieder dem Vorwurfe ausgesetzt zu sein, "daß man zu Widerlegungen (?)
solcher Art zu greifen pflegt, wenn man, um der Wahrheit zu widerstehen, kein
andres Mittel mehr findet," so wollen wir es wenigstens redlich versuchen.



Ästhetik vou Josef Jungmnnn, Priester der Gesellschaft Jesu, Doktor der
Theologie und ordentlichem Professor derselben zu Innsbruck. Freiburg i. Br., Herdersche
Verlagshandlung, 1384.
Eine christliche Ästhetik.
von Karl Borinski.

cigegcn dürfte in der Aufnahme und Verbreitung des Buches auch
im Auslande allerdings ein Beweis liegen, daß es an Hand¬
büchern der Ästhetik, die für Christen brauchbar sind, einiger¬
maßen fehlt. — Wir finden das nicht gerade. Auf evange¬
lischer Seite wird gleich mit Luther das ästhetische Gebiet der
weltlichen Wissenschaft ein beliebter Tummelplatz nicht bloß für christliche,
sondern sogar sür zelotische Geister, auf katholischer haben wir die Romantik,
wir haben den alten Stolberg und Schlegel, wir haben Schelling, Eichendorff
und was sich daran anschließt. Aber eine Ästhetik vunr »xprobtttions sups-
rivruni, die hatten wir noch nicht, die fehlte allerdings. Josef Jungmann in
Innsbruck") hat sie uns gegeben, und gleich in so achtungs- und beachtnngs-
werter Weise, daß wir gestehen müssen, die Oberen haben sich ihren Mann gut
gewählt. Sie Hütten keinen bessern finden können.

Die oben im Eingang angeführten Zeilen sind der kurze, rein geschäftlich ge¬
haltenen Vorrede des fast tausend Seiten starken Bandes entnommen. Aber mehr
als die längste Vorrede sagt selbst dem Unkundigen die kurze, inhaltschwere Wid-
mung: „An August Reichensperger." Man kennt August Reichenspergers
Stellung zur modernen Kunst, man kennt seine oft sehr berechtigten Philippiken
gegen den Kultus des Nackten, man kennt aber auch seine oft sehr unberech¬
tigten Kapuzinaden gegen die Antike in der neuern Kunst und alles, was damit
zusammenhängt, gegen die Renaissance, gegen die Säulen, gegen die antiken
Heldenstatucu auf der Berliner Schloßbrücke, gegen Kalides' Bacchantin u. s. w.
Und wenn die Grenzboten bereits 1856 ihm „nachsagten," „er behaupte, daß
die Kunst von der Kirche nicht getrennt werden könne, und daß alle ächte Kunst
katholisch sei" (S. 370), so werden sie heute nach einem Menschenalter in Ver¬
legenheit sein, für die von seinem Gesinnungsgenossen in ein System gebrachten
Behauptungen einen andern zusammenfassenden Ausdruck zu finden. Um jedoch
nicht wieder dem Vorwurfe ausgesetzt zu sein, „daß man zu Widerlegungen (?)
solcher Art zu greifen pflegt, wenn man, um der Wahrheit zu widerstehen, kein
andres Mittel mehr findet," so wollen wir es wenigstens redlich versuchen.



Ästhetik vou Josef Jungmnnn, Priester der Gesellschaft Jesu, Doktor der
Theologie und ordentlichem Professor derselben zu Innsbruck. Freiburg i. Br., Herdersche
Verlagshandlung, 1384.
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[0085] Eine christliche Ästhetik. von Karl Borinski. cigegcn dürfte in der Aufnahme und Verbreitung des Buches auch im Auslande allerdings ein Beweis liegen, daß es an Hand¬ büchern der Ästhetik, die für Christen brauchbar sind, einiger¬ maßen fehlt. — Wir finden das nicht gerade. Auf evange¬ lischer Seite wird gleich mit Luther das ästhetische Gebiet der weltlichen Wissenschaft ein beliebter Tummelplatz nicht bloß für christliche, sondern sogar sür zelotische Geister, auf katholischer haben wir die Romantik, wir haben den alten Stolberg und Schlegel, wir haben Schelling, Eichendorff und was sich daran anschließt. Aber eine Ästhetik vunr »xprobtttions sups- rivruni, die hatten wir noch nicht, die fehlte allerdings. Josef Jungmann in Innsbruck") hat sie uns gegeben, und gleich in so achtungs- und beachtnngs- werter Weise, daß wir gestehen müssen, die Oberen haben sich ihren Mann gut gewählt. Sie Hütten keinen bessern finden können. Die oben im Eingang angeführten Zeilen sind der kurze, rein geschäftlich ge¬ haltenen Vorrede des fast tausend Seiten starken Bandes entnommen. Aber mehr als die längste Vorrede sagt selbst dem Unkundigen die kurze, inhaltschwere Wid- mung: „An August Reichensperger." Man kennt August Reichenspergers Stellung zur modernen Kunst, man kennt seine oft sehr berechtigten Philippiken gegen den Kultus des Nackten, man kennt aber auch seine oft sehr unberech¬ tigten Kapuzinaden gegen die Antike in der neuern Kunst und alles, was damit zusammenhängt, gegen die Renaissance, gegen die Säulen, gegen die antiken Heldenstatucu auf der Berliner Schloßbrücke, gegen Kalides' Bacchantin u. s. w. Und wenn die Grenzboten bereits 1856 ihm „nachsagten," „er behaupte, daß die Kunst von der Kirche nicht getrennt werden könne, und daß alle ächte Kunst katholisch sei" (S. 370), so werden sie heute nach einem Menschenalter in Ver¬ legenheit sein, für die von seinem Gesinnungsgenossen in ein System gebrachten Behauptungen einen andern zusammenfassenden Ausdruck zu finden. Um jedoch nicht wieder dem Vorwurfe ausgesetzt zu sein, „daß man zu Widerlegungen (?) solcher Art zu greifen pflegt, wenn man, um der Wahrheit zu widerstehen, kein andres Mittel mehr findet," so wollen wir es wenigstens redlich versuchen. Ästhetik vou Josef Jungmnnn, Priester der Gesellschaft Jesu, Doktor der Theologie und ordentlichem Professor derselben zu Innsbruck. Freiburg i. Br., Herdersche Verlagshandlung, 1384.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/85>, abgerufen am 22.12.2024.