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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gymnasialuntorricht und Fachbildung.

sogar den Realschulen gänzlich entzogen. Die wachsende Zahl dieser Anstalten
-- es gab deren im letztgenannten Jahre bereits dreiundvierzig -- reizte die
Eifersucht der Philologen, und sie trugen nicht wenig dazu bei, den realistischen
Bildungsgang in der öffentlichen Meinung herabzusetzen. Aus diesem unbe-
friedigender Zustande wurde das Nealschnlwesen erst im Jahre 1859 erlöst, wo
ein neuer Lehrplan ihm eine feste gesetzliche Grundlage gab. Durch diesen
wurden die Realschulen den Gymnasien an die Seite gestellt, mit einer den
Gymnasien entsprechenden Klasseneinteilung ausgestattet und von der Regierung
ausdrücklich als Anstalten bezeichnet, die es mit allgemeinen Bildungsmitteln
und grundlegenden Kenntnissen zu thun hätten. Doch blieb der realistischen
Gelehrtenschule das Recht verschlossen, für die wissenschaftlichen Fächer der Uni¬
versität vorzubereiten, und damit wurde ihr mittelbar doch wieder der zweite
Rang angewiesen, aus welchem sie emporzuheben die Schulverwaltung bemüht
gewesen war. Sie blieb im Grunde, was sie gewesen war: eine zweckmäßige Vor-
bcreituugsaustalt für die technischen Hochschule", das Forstfach ?c. Durchführbar
war aber jener Rigorismus nicht, da doch das akademische Studium der Mathematik,
der Naturwissenschaften und der neuern Sprachen durch den Nealschuluuterricht
ebenso, wenn nicht besser, vorbereitet wurde als auf dem Gymnasium. So machte
denn die Verfügung von 1870 dieses Studium den Realabiturienten in der gleichen
Weise und mit der gleichen Aussicht ans Anstellung im Staatsdienste zugäng¬
lich, wie den Gymnasialabiturienten. Dies ist der bedeutendste Erfolg, den die An¬
hänger der realistischen Richtung errungen haben. Durch ihn wurde die bisherige
organische Verbindung zwischen Gymnasium und Universität gesprengt. Es
führte jetzt auch noch ein andrer Weg in die akademischen Hörsäle, als der durch
das eaudinische Joch einer philologischen Abgangsprüfnng. Wichtiger aber noch
war die sich daraus ergebende Folge, daß das Lehrpersonal, das bisher nur
aus deu Gymnasien hervorgegangen war, uun durch Elemente mit realistischer
Bildung durchsetzt wurde. Die weitern Folgen dieser Vermischung werden sich
erst in der Zukunft fühlbar machen können, da die Zahl der realistisch gebildeten
Lehrer, die etwa seit 1873 oder 1874 Anstellung im Staatsdienste gefunden
haben, noch gering ist und von den philologischen Kollegen überstimmt wird. Daß
indessen die realistische Gruppe im Publikum wächst und ihre Forderungen
einem thatsächlichen Bedürfnisse entsprechen, beweist das jüngste Zugeständnis
von 1882. Die veränderte Lehrverfassuug verstärkt darin den lateinischen
Unterricht der Realschulen und ordnet die Lehrgegenstände in den untern Klassen
der beiden wetteifernden Anstalten derart, daß der Bildungsgang des Schülers
bis zur Tertia in beiden fast der gleiche ist. Daß den Realschulen erster
Ordnung die Bezeichnung "Realgymnasien" verliehen wurde, ist von keiner
sachlichen Bedeutung, zeugt aber von der wohlwollenden Absicht, den bisherigen
schroffen Gegensatz nach anßen hin abzuschwächen. (Fortsetzung folgt.)




Gymnasialuntorricht und Fachbildung.

sogar den Realschulen gänzlich entzogen. Die wachsende Zahl dieser Anstalten
— es gab deren im letztgenannten Jahre bereits dreiundvierzig — reizte die
Eifersucht der Philologen, und sie trugen nicht wenig dazu bei, den realistischen
Bildungsgang in der öffentlichen Meinung herabzusetzen. Aus diesem unbe-
friedigender Zustande wurde das Nealschnlwesen erst im Jahre 1859 erlöst, wo
ein neuer Lehrplan ihm eine feste gesetzliche Grundlage gab. Durch diesen
wurden die Realschulen den Gymnasien an die Seite gestellt, mit einer den
Gymnasien entsprechenden Klasseneinteilung ausgestattet und von der Regierung
ausdrücklich als Anstalten bezeichnet, die es mit allgemeinen Bildungsmitteln
und grundlegenden Kenntnissen zu thun hätten. Doch blieb der realistischen
Gelehrtenschule das Recht verschlossen, für die wissenschaftlichen Fächer der Uni¬
versität vorzubereiten, und damit wurde ihr mittelbar doch wieder der zweite
Rang angewiesen, aus welchem sie emporzuheben die Schulverwaltung bemüht
gewesen war. Sie blieb im Grunde, was sie gewesen war: eine zweckmäßige Vor-
bcreituugsaustalt für die technischen Hochschule», das Forstfach ?c. Durchführbar
war aber jener Rigorismus nicht, da doch das akademische Studium der Mathematik,
der Naturwissenschaften und der neuern Sprachen durch den Nealschuluuterricht
ebenso, wenn nicht besser, vorbereitet wurde als auf dem Gymnasium. So machte
denn die Verfügung von 1870 dieses Studium den Realabiturienten in der gleichen
Weise und mit der gleichen Aussicht ans Anstellung im Staatsdienste zugäng¬
lich, wie den Gymnasialabiturienten. Dies ist der bedeutendste Erfolg, den die An¬
hänger der realistischen Richtung errungen haben. Durch ihn wurde die bisherige
organische Verbindung zwischen Gymnasium und Universität gesprengt. Es
führte jetzt auch noch ein andrer Weg in die akademischen Hörsäle, als der durch
das eaudinische Joch einer philologischen Abgangsprüfnng. Wichtiger aber noch
war die sich daraus ergebende Folge, daß das Lehrpersonal, das bisher nur
aus deu Gymnasien hervorgegangen war, uun durch Elemente mit realistischer
Bildung durchsetzt wurde. Die weitern Folgen dieser Vermischung werden sich
erst in der Zukunft fühlbar machen können, da die Zahl der realistisch gebildeten
Lehrer, die etwa seit 1873 oder 1874 Anstellung im Staatsdienste gefunden
haben, noch gering ist und von den philologischen Kollegen überstimmt wird. Daß
indessen die realistische Gruppe im Publikum wächst und ihre Forderungen
einem thatsächlichen Bedürfnisse entsprechen, beweist das jüngste Zugeständnis
von 1882. Die veränderte Lehrverfassuug verstärkt darin den lateinischen
Unterricht der Realschulen und ordnet die Lehrgegenstände in den untern Klassen
der beiden wetteifernden Anstalten derart, daß der Bildungsgang des Schülers
bis zur Tertia in beiden fast der gleiche ist. Daß den Realschulen erster
Ordnung die Bezeichnung „Realgymnasien" verliehen wurde, ist von keiner
sachlichen Bedeutung, zeugt aber von der wohlwollenden Absicht, den bisherigen
schroffen Gegensatz nach anßen hin abzuschwächen. (Fortsetzung folgt.)




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[0084] Gymnasialuntorricht und Fachbildung. sogar den Realschulen gänzlich entzogen. Die wachsende Zahl dieser Anstalten — es gab deren im letztgenannten Jahre bereits dreiundvierzig — reizte die Eifersucht der Philologen, und sie trugen nicht wenig dazu bei, den realistischen Bildungsgang in der öffentlichen Meinung herabzusetzen. Aus diesem unbe- friedigender Zustande wurde das Nealschnlwesen erst im Jahre 1859 erlöst, wo ein neuer Lehrplan ihm eine feste gesetzliche Grundlage gab. Durch diesen wurden die Realschulen den Gymnasien an die Seite gestellt, mit einer den Gymnasien entsprechenden Klasseneinteilung ausgestattet und von der Regierung ausdrücklich als Anstalten bezeichnet, die es mit allgemeinen Bildungsmitteln und grundlegenden Kenntnissen zu thun hätten. Doch blieb der realistischen Gelehrtenschule das Recht verschlossen, für die wissenschaftlichen Fächer der Uni¬ versität vorzubereiten, und damit wurde ihr mittelbar doch wieder der zweite Rang angewiesen, aus welchem sie emporzuheben die Schulverwaltung bemüht gewesen war. Sie blieb im Grunde, was sie gewesen war: eine zweckmäßige Vor- bcreituugsaustalt für die technischen Hochschule», das Forstfach ?c. Durchführbar war aber jener Rigorismus nicht, da doch das akademische Studium der Mathematik, der Naturwissenschaften und der neuern Sprachen durch den Nealschuluuterricht ebenso, wenn nicht besser, vorbereitet wurde als auf dem Gymnasium. So machte denn die Verfügung von 1870 dieses Studium den Realabiturienten in der gleichen Weise und mit der gleichen Aussicht ans Anstellung im Staatsdienste zugäng¬ lich, wie den Gymnasialabiturienten. Dies ist der bedeutendste Erfolg, den die An¬ hänger der realistischen Richtung errungen haben. Durch ihn wurde die bisherige organische Verbindung zwischen Gymnasium und Universität gesprengt. Es führte jetzt auch noch ein andrer Weg in die akademischen Hörsäle, als der durch das eaudinische Joch einer philologischen Abgangsprüfnng. Wichtiger aber noch war die sich daraus ergebende Folge, daß das Lehrpersonal, das bisher nur aus deu Gymnasien hervorgegangen war, uun durch Elemente mit realistischer Bildung durchsetzt wurde. Die weitern Folgen dieser Vermischung werden sich erst in der Zukunft fühlbar machen können, da die Zahl der realistisch gebildeten Lehrer, die etwa seit 1873 oder 1874 Anstellung im Staatsdienste gefunden haben, noch gering ist und von den philologischen Kollegen überstimmt wird. Daß indessen die realistische Gruppe im Publikum wächst und ihre Forderungen einem thatsächlichen Bedürfnisse entsprechen, beweist das jüngste Zugeständnis von 1882. Die veränderte Lehrverfassuug verstärkt darin den lateinischen Unterricht der Realschulen und ordnet die Lehrgegenstände in den untern Klassen der beiden wetteifernden Anstalten derart, daß der Bildungsgang des Schülers bis zur Tertia in beiden fast der gleiche ist. Daß den Realschulen erster Ordnung die Bezeichnung „Realgymnasien" verliehen wurde, ist von keiner sachlichen Bedeutung, zeugt aber von der wohlwollenden Absicht, den bisherigen schroffen Gegensatz nach anßen hin abzuschwächen. (Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/84>, abgerufen am 22.12.2024.