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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

krächzende Krähen rauschten mit trägem Flügelschlage über uns hin, und hie
und dn lies; sich in den hohen Fichtenstämmen mit den uachtduukelu Kronen
das eintönige Klopfen der Spechte hören.

Wir mochten wohl eine gute Stunde gegangen sein, da lichtete sich endlich
der Wald; vor uns lag ein Holzschlag, und hinter diesem erblickten wir zer-
streute Hünser. Eins derselben, das uns den gastlichsten Eindruck machte,
suchten wir auf, um etwas auszuruhen und Erkundigungen über Weg und Ent¬
fernung von Lauban einzuziehen. Die Bewohner des Hanfes nahmen uns
freundlich auf, konnten aber unsre Fragen nicht genau beantworten, denn bis
nach der Stadt Lauban war noch keiner von ihnen gekommen. Lange konnte
unsers Bleibens nicht sein, wenn wir unser Ziel glücklich erreichen wollten, und
auf Besserung des Wetters war nicht zu rechnen. So brachen wir denn nach
kurzer Rast wieder auf mit bereits völlig durchnäßten Kleidern. Zum Glück
spürten wir Brüder keine Müdigkeit, sodaß der Vater, der unsertwegen doch
etwas bangen mochte, beruhigt fürbaß schritt.

In Marklissa am Queis fragte der Vater, ob wir vorzögen, dort zu
bleiben oder in fortwährendem Regen weiterzupilgern. Er verhehlte uns nicht,
daß Lauban fast noch drei Stunden entfernt liege, und daß bei dem vom Regen
durchweichten Boden die Nacht hereinbrechen müsse, ehe wir es erreichen könnten.
Ungeachtet dieser Vorstellung stimmten wir für Fortsetzung der Wanderung.
Bis auf die Haut durchnäßt waren wir ja doch; was konnte uns da ein Nacht¬
quartier bei Fremden nutzen? Dann und wann ein Schluck Wein aus unsern
Feldflaschen erfrischte unsre Lebensgeister, wir begannen laut zu singen und
blieben trotz des gleichmüßig strömenden Regens, der unsre Stiefel mit Wasser
füllte, bei gutem Humor.

Endlich hörten wir vor uns in nicht gar weiter Entfernung die Turm¬
uhren Laubans die achte Abendstunde schlagen. Es war in der That hohe
Zeit, bald an das Ziel unsrer Wanderung zu kommen, denn wir fühlten uns
erschöpft und konnten uns nur laugsam fortschleppen. Selbst den Vater über¬
kam die Ermattung, was wir an seinem langsamen, schleppenden Gange merkten.
Als wir das Thor erreichten, zog der Türmer die Glocke wieder an. Wir
zählten neun Schläge, hatten also eine volle Stunde zur Zurücklegung der
letzten Strecke Weges gebraucht.

Die Gassen der Stadt waren menschenleer, als lägen alle Einwohner schon
in tiefem Schlafe. Man hörte nichts als das Klatschen des Regens und das
Plätschern der weitgehalsten Rinnen, die ihren Inhalt von den Dächern mitten
auf die Straße entleerten. Vom "Schwarzen Bären" aber schimmerte gastlicher
Lichtschein. Als wir den Marktplatz kreuzend uns dem Gasthause näherten,
gewahrten wir unter der Eingangspforte eine hohe Gestalt, die dampfende
Tabakspfeife im Munde. Es war der Onkel, der sorgenvoll nach Bruder und
Neffen ausschaute.


Jugenderinnerungen.

krächzende Krähen rauschten mit trägem Flügelschlage über uns hin, und hie
und dn lies; sich in den hohen Fichtenstämmen mit den uachtduukelu Kronen
das eintönige Klopfen der Spechte hören.

Wir mochten wohl eine gute Stunde gegangen sein, da lichtete sich endlich
der Wald; vor uns lag ein Holzschlag, und hinter diesem erblickten wir zer-
streute Hünser. Eins derselben, das uns den gastlichsten Eindruck machte,
suchten wir auf, um etwas auszuruhen und Erkundigungen über Weg und Ent¬
fernung von Lauban einzuziehen. Die Bewohner des Hanfes nahmen uns
freundlich auf, konnten aber unsre Fragen nicht genau beantworten, denn bis
nach der Stadt Lauban war noch keiner von ihnen gekommen. Lange konnte
unsers Bleibens nicht sein, wenn wir unser Ziel glücklich erreichen wollten, und
auf Besserung des Wetters war nicht zu rechnen. So brachen wir denn nach
kurzer Rast wieder auf mit bereits völlig durchnäßten Kleidern. Zum Glück
spürten wir Brüder keine Müdigkeit, sodaß der Vater, der unsertwegen doch
etwas bangen mochte, beruhigt fürbaß schritt.

In Marklissa am Queis fragte der Vater, ob wir vorzögen, dort zu
bleiben oder in fortwährendem Regen weiterzupilgern. Er verhehlte uns nicht,
daß Lauban fast noch drei Stunden entfernt liege, und daß bei dem vom Regen
durchweichten Boden die Nacht hereinbrechen müsse, ehe wir es erreichen könnten.
Ungeachtet dieser Vorstellung stimmten wir für Fortsetzung der Wanderung.
Bis auf die Haut durchnäßt waren wir ja doch; was konnte uns da ein Nacht¬
quartier bei Fremden nutzen? Dann und wann ein Schluck Wein aus unsern
Feldflaschen erfrischte unsre Lebensgeister, wir begannen laut zu singen und
blieben trotz des gleichmüßig strömenden Regens, der unsre Stiefel mit Wasser
füllte, bei gutem Humor.

Endlich hörten wir vor uns in nicht gar weiter Entfernung die Turm¬
uhren Laubans die achte Abendstunde schlagen. Es war in der That hohe
Zeit, bald an das Ziel unsrer Wanderung zu kommen, denn wir fühlten uns
erschöpft und konnten uns nur laugsam fortschleppen. Selbst den Vater über¬
kam die Ermattung, was wir an seinem langsamen, schleppenden Gange merkten.
Als wir das Thor erreichten, zog der Türmer die Glocke wieder an. Wir
zählten neun Schläge, hatten also eine volle Stunde zur Zurücklegung der
letzten Strecke Weges gebraucht.

Die Gassen der Stadt waren menschenleer, als lägen alle Einwohner schon
in tiefem Schlafe. Man hörte nichts als das Klatschen des Regens und das
Plätschern der weitgehalsten Rinnen, die ihren Inhalt von den Dächern mitten
auf die Straße entleerten. Vom „Schwarzen Bären" aber schimmerte gastlicher
Lichtschein. Als wir den Marktplatz kreuzend uns dem Gasthause näherten,
gewahrten wir unter der Eingangspforte eine hohe Gestalt, die dampfende
Tabakspfeife im Munde. Es war der Onkel, der sorgenvoll nach Bruder und
Neffen ausschaute.


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[0658] Jugenderinnerungen. krächzende Krähen rauschten mit trägem Flügelschlage über uns hin, und hie und dn lies; sich in den hohen Fichtenstämmen mit den uachtduukelu Kronen das eintönige Klopfen der Spechte hören. Wir mochten wohl eine gute Stunde gegangen sein, da lichtete sich endlich der Wald; vor uns lag ein Holzschlag, und hinter diesem erblickten wir zer- streute Hünser. Eins derselben, das uns den gastlichsten Eindruck machte, suchten wir auf, um etwas auszuruhen und Erkundigungen über Weg und Ent¬ fernung von Lauban einzuziehen. Die Bewohner des Hanfes nahmen uns freundlich auf, konnten aber unsre Fragen nicht genau beantworten, denn bis nach der Stadt Lauban war noch keiner von ihnen gekommen. Lange konnte unsers Bleibens nicht sein, wenn wir unser Ziel glücklich erreichen wollten, und auf Besserung des Wetters war nicht zu rechnen. So brachen wir denn nach kurzer Rast wieder auf mit bereits völlig durchnäßten Kleidern. Zum Glück spürten wir Brüder keine Müdigkeit, sodaß der Vater, der unsertwegen doch etwas bangen mochte, beruhigt fürbaß schritt. In Marklissa am Queis fragte der Vater, ob wir vorzögen, dort zu bleiben oder in fortwährendem Regen weiterzupilgern. Er verhehlte uns nicht, daß Lauban fast noch drei Stunden entfernt liege, und daß bei dem vom Regen durchweichten Boden die Nacht hereinbrechen müsse, ehe wir es erreichen könnten. Ungeachtet dieser Vorstellung stimmten wir für Fortsetzung der Wanderung. Bis auf die Haut durchnäßt waren wir ja doch; was konnte uns da ein Nacht¬ quartier bei Fremden nutzen? Dann und wann ein Schluck Wein aus unsern Feldflaschen erfrischte unsre Lebensgeister, wir begannen laut zu singen und blieben trotz des gleichmüßig strömenden Regens, der unsre Stiefel mit Wasser füllte, bei gutem Humor. Endlich hörten wir vor uns in nicht gar weiter Entfernung die Turm¬ uhren Laubans die achte Abendstunde schlagen. Es war in der That hohe Zeit, bald an das Ziel unsrer Wanderung zu kommen, denn wir fühlten uns erschöpft und konnten uns nur laugsam fortschleppen. Selbst den Vater über¬ kam die Ermattung, was wir an seinem langsamen, schleppenden Gange merkten. Als wir das Thor erreichten, zog der Türmer die Glocke wieder an. Wir zählten neun Schläge, hatten also eine volle Stunde zur Zurücklegung der letzten Strecke Weges gebraucht. Die Gassen der Stadt waren menschenleer, als lägen alle Einwohner schon in tiefem Schlafe. Man hörte nichts als das Klatschen des Regens und das Plätschern der weitgehalsten Rinnen, die ihren Inhalt von den Dächern mitten auf die Straße entleerten. Vom „Schwarzen Bären" aber schimmerte gastlicher Lichtschein. Als wir den Marktplatz kreuzend uns dem Gasthause näherten, gewahrten wir unter der Eingangspforte eine hohe Gestalt, die dampfende Tabakspfeife im Munde. Es war der Onkel, der sorgenvoll nach Bruder und Neffen ausschaute.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/658>, abgerufen am 03.07.2024.