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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

ward nach sechsstündiger Fahrt glücklich erreicht. Später besuchten und be¬
wunderten wir das Franziskanerkloster Haindorf, und gegen Abend klapperte
unsre Karosse unbeschädigt ans dem holprigen Pflaster des stillen, aber höchst
anmutig gelegenen Badeortes Liebwerda am Fuße der gewaltigen Tafelsichte,
auf deren breitem Scheitel nur noch die Zwergkiefer gedeiht.

Mich entzückte alles, was ich sah, und ich schwamm in einem Meer von
Wonne. Liebwerda zumal erregte meine höchste Bewunderung, denn so präch¬
tige Anlagen zwischen waldigen Thälern mit reinlich gehaltenen breiten Granit-
Wegen Ware" mir noch nie zu Gesicht gekommen. Fast noch mehr imponirten
mir die hübschen Logirhäuser mit den grünen Jalousieen vor deu Fenstern, und
ich beneidete im Stillen jeden Liebwerdaer um das Glück, in dieser unvergleichlichen
Thalmulde zu leben, ein Glück, das durch den Genuß des Säuerlings, der mir
sehr mundete, uoch an Bedeutung gewann.

In einem dieser Häuser übernachteten wir, um bald nach genossenem Früh¬
stück uns von Mutter und Schwester zu verabschiede"; denn der fernere Weg
bis Lauban sollte von uns nach dem Reiseplcme des Vaters zu Fuß zurück¬
gelegt werden.

Leider ließ sich das Wetter für eine Fußwanderung von einigen Meilen
auf wenig bekannten Wegen nicht sehr günstig an. Schon in früher Morgen¬
stunde lagerten sich schwere, graue Wolken um die hochragende Stirn der Tafel¬
fichte und ans den bewaldeten Jsertcimmen im Süden. Selten nur brach die Sonne
durch, und wenn sie sich blicken ließ, erfüllte eine beängstigende Schwüle das
schöne, waldgrüue Thal. Nichtsdestoweniger traten wir Brüder, mit weiugefüllteu
Feldflaschen und genügendem Brot Wohl versehen, unter des Baders Führung
guten Muts die vielversprechende Reise an.

Eine hohe und ziemlich steile Berglehne erprobte zunächst die Kraft unsrer
Muskeln. Sie führte auf eine bedeutende kahle Höhe, welche den sehr be¬
zeichnenden Namen "die Überschau" führte. Noch gestattete uns das immer
tiefer herabsinkende Gewölk einen weiten Fernblick auf die reichbcbaute Gegend
und die langgestreckten Dörfer am Fuße der Tafelsichte, doch siel bereits ein
dttuncr Sprühregen, der alle Berge in gleichförmiges Nebelgrau hüllte.

Vor uns lag der schwarze Saum des großen Hegewaldes, den wir seiner
ganzen Breite nach zu durchschreiten hatten, um deu Marktflecken Marklissa zu
erreichen, wo ein Universitätsfreund des Vaters als Kantor oder Lehrer ange¬
stellt war. Noch ehe wir aber in diesen Wald eintraten, goß es bereits in
Strömen und die ganze Wolkenbildung war derart, daß wir auf baldiges Auf¬
hören uns kaum Hoffnung machen durften. Die Lage wurde recht unerquick¬
lich, denn nicht nur fehlte in dem öden Walde jeder Schutz, wir waren auch
noch auf den vielen sich kreuzenden Wegen der Gefahr, uns zu verirren, aus¬
gesetzt. Es gab weder einen Wegweiser uoch begegnete uus irgend jemand, den
wir nach der Richtung des einzuschlagenden Weges hätten fragen können. Nur


Grenzboten I. 1887. 82
Jugenderinnerungen.

ward nach sechsstündiger Fahrt glücklich erreicht. Später besuchten und be¬
wunderten wir das Franziskanerkloster Haindorf, und gegen Abend klapperte
unsre Karosse unbeschädigt ans dem holprigen Pflaster des stillen, aber höchst
anmutig gelegenen Badeortes Liebwerda am Fuße der gewaltigen Tafelsichte,
auf deren breitem Scheitel nur noch die Zwergkiefer gedeiht.

Mich entzückte alles, was ich sah, und ich schwamm in einem Meer von
Wonne. Liebwerda zumal erregte meine höchste Bewunderung, denn so präch¬
tige Anlagen zwischen waldigen Thälern mit reinlich gehaltenen breiten Granit-
Wegen Ware» mir noch nie zu Gesicht gekommen. Fast noch mehr imponirten
mir die hübschen Logirhäuser mit den grünen Jalousieen vor deu Fenstern, und
ich beneidete im Stillen jeden Liebwerdaer um das Glück, in dieser unvergleichlichen
Thalmulde zu leben, ein Glück, das durch den Genuß des Säuerlings, der mir
sehr mundete, uoch an Bedeutung gewann.

In einem dieser Häuser übernachteten wir, um bald nach genossenem Früh¬
stück uns von Mutter und Schwester zu verabschiede»; denn der fernere Weg
bis Lauban sollte von uns nach dem Reiseplcme des Vaters zu Fuß zurück¬
gelegt werden.

Leider ließ sich das Wetter für eine Fußwanderung von einigen Meilen
auf wenig bekannten Wegen nicht sehr günstig an. Schon in früher Morgen¬
stunde lagerten sich schwere, graue Wolken um die hochragende Stirn der Tafel¬
fichte und ans den bewaldeten Jsertcimmen im Süden. Selten nur brach die Sonne
durch, und wenn sie sich blicken ließ, erfüllte eine beängstigende Schwüle das
schöne, waldgrüue Thal. Nichtsdestoweniger traten wir Brüder, mit weiugefüllteu
Feldflaschen und genügendem Brot Wohl versehen, unter des Baders Führung
guten Muts die vielversprechende Reise an.

Eine hohe und ziemlich steile Berglehne erprobte zunächst die Kraft unsrer
Muskeln. Sie führte auf eine bedeutende kahle Höhe, welche den sehr be¬
zeichnenden Namen „die Überschau" führte. Noch gestattete uns das immer
tiefer herabsinkende Gewölk einen weiten Fernblick auf die reichbcbaute Gegend
und die langgestreckten Dörfer am Fuße der Tafelsichte, doch siel bereits ein
dttuncr Sprühregen, der alle Berge in gleichförmiges Nebelgrau hüllte.

Vor uns lag der schwarze Saum des großen Hegewaldes, den wir seiner
ganzen Breite nach zu durchschreiten hatten, um deu Marktflecken Marklissa zu
erreichen, wo ein Universitätsfreund des Vaters als Kantor oder Lehrer ange¬
stellt war. Noch ehe wir aber in diesen Wald eintraten, goß es bereits in
Strömen und die ganze Wolkenbildung war derart, daß wir auf baldiges Auf¬
hören uns kaum Hoffnung machen durften. Die Lage wurde recht unerquick¬
lich, denn nicht nur fehlte in dem öden Walde jeder Schutz, wir waren auch
noch auf den vielen sich kreuzenden Wegen der Gefahr, uns zu verirren, aus¬
gesetzt. Es gab weder einen Wegweiser uoch begegnete uus irgend jemand, den
wir nach der Richtung des einzuschlagenden Weges hätten fragen können. Nur


Grenzboten I. 1887. 82
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[0657] Jugenderinnerungen. ward nach sechsstündiger Fahrt glücklich erreicht. Später besuchten und be¬ wunderten wir das Franziskanerkloster Haindorf, und gegen Abend klapperte unsre Karosse unbeschädigt ans dem holprigen Pflaster des stillen, aber höchst anmutig gelegenen Badeortes Liebwerda am Fuße der gewaltigen Tafelsichte, auf deren breitem Scheitel nur noch die Zwergkiefer gedeiht. Mich entzückte alles, was ich sah, und ich schwamm in einem Meer von Wonne. Liebwerda zumal erregte meine höchste Bewunderung, denn so präch¬ tige Anlagen zwischen waldigen Thälern mit reinlich gehaltenen breiten Granit- Wegen Ware» mir noch nie zu Gesicht gekommen. Fast noch mehr imponirten mir die hübschen Logirhäuser mit den grünen Jalousieen vor deu Fenstern, und ich beneidete im Stillen jeden Liebwerdaer um das Glück, in dieser unvergleichlichen Thalmulde zu leben, ein Glück, das durch den Genuß des Säuerlings, der mir sehr mundete, uoch an Bedeutung gewann. In einem dieser Häuser übernachteten wir, um bald nach genossenem Früh¬ stück uns von Mutter und Schwester zu verabschiede»; denn der fernere Weg bis Lauban sollte von uns nach dem Reiseplcme des Vaters zu Fuß zurück¬ gelegt werden. Leider ließ sich das Wetter für eine Fußwanderung von einigen Meilen auf wenig bekannten Wegen nicht sehr günstig an. Schon in früher Morgen¬ stunde lagerten sich schwere, graue Wolken um die hochragende Stirn der Tafel¬ fichte und ans den bewaldeten Jsertcimmen im Süden. Selten nur brach die Sonne durch, und wenn sie sich blicken ließ, erfüllte eine beängstigende Schwüle das schöne, waldgrüue Thal. Nichtsdestoweniger traten wir Brüder, mit weiugefüllteu Feldflaschen und genügendem Brot Wohl versehen, unter des Baders Führung guten Muts die vielversprechende Reise an. Eine hohe und ziemlich steile Berglehne erprobte zunächst die Kraft unsrer Muskeln. Sie führte auf eine bedeutende kahle Höhe, welche den sehr be¬ zeichnenden Namen „die Überschau" führte. Noch gestattete uns das immer tiefer herabsinkende Gewölk einen weiten Fernblick auf die reichbcbaute Gegend und die langgestreckten Dörfer am Fuße der Tafelsichte, doch siel bereits ein dttuncr Sprühregen, der alle Berge in gleichförmiges Nebelgrau hüllte. Vor uns lag der schwarze Saum des großen Hegewaldes, den wir seiner ganzen Breite nach zu durchschreiten hatten, um deu Marktflecken Marklissa zu erreichen, wo ein Universitätsfreund des Vaters als Kantor oder Lehrer ange¬ stellt war. Noch ehe wir aber in diesen Wald eintraten, goß es bereits in Strömen und die ganze Wolkenbildung war derart, daß wir auf baldiges Auf¬ hören uns kaum Hoffnung machen durften. Die Lage wurde recht unerquick¬ lich, denn nicht nur fehlte in dem öden Walde jeder Schutz, wir waren auch noch auf den vielen sich kreuzenden Wegen der Gefahr, uns zu verirren, aus¬ gesetzt. Es gab weder einen Wegweiser uoch begegnete uus irgend jemand, den wir nach der Richtung des einzuschlagenden Weges hätten fragen können. Nur Grenzboten I. 1887. 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/657>, abgerufen am 01.10.2024.