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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Der Graf von Noer.

Europa bleiben würde. "Wir werden Wohl beide -- schreibt er 1856 einem
Freunde -- die Lösung dieses Knotens nicht erleben."

Dem Wunsche des Vaters entsprechend, hatte er sich während eines Aufent¬
haltes in London bei Hofe gemeldet, wo er freundliche Aufnahme fand. "Trotz
allem Zerstreuenden und Vergnügliche" kann ich aber doch nicht verhehlen, daß
es Stunden giebt, in denen es mir vorkommen will, als könne es doch eigent¬
lich nichts einförmigeres geben als das, was man mit dem Ausdruck "die große
Welt" zu bezeichnen pflegt. . . Das Ideal meines irdischen Glückes, wenn es
nicht anmaßend ist, ein solches zu wünschen, wäre ein schönes, freundliches Heim
und eine gute, liebevolle Frau. Das kauu ich nnn nicht mehr leugnen. Auf
dem letzten Hofbälle tanzte ich die erste Quadrille mit der Prinzessin Alice (der
spätern Großherzogin von Hessen), die zweite mit der Königin, die überaus
huldreich und gnädig war. . . Prinzeß Alice habe ich etwas näher kennen ge¬
lernt, da ich oftmals ihr Tischnachbar sein dürfte. Sie ist nicht das, was man
eine Schönheit nennt, aber anmutig, angenehm, verständig, gebildet, guten
Humors und ohne Vorurteile, ein großes Wort für eine königliche Prinzessin.
Der dänische Minister ist krank geworden, der arme Mann, seit die Königin
mit nur getanzt hat." Drei Wochen später schreibt er: "Ich bin krank gewesen
und war infolgedessen auf Stille und Einsamkeit angewiesen, die mich in mich
selbst zurückgeführt haben. Vergieb mir, lieber Vater, wenn ich gerade Herans¬
sage, daß ich des hohlen Schwindels des lÄMcmAblö Ule allmählich herzlich
müde werde. Es paßt nicht zu meinen literarischen Gewohnheiten. Da nun
"Onvmcmder" erträglicher auszufallen scheint und mehr Interesse erweckt, als
ich anfänglich zu erwarten wagte, so würde ich doch wohl ein Narr sein, wenn
ich auf dem einmal betretenen Wege nicht weiter ginge, der meinem Charakter,
meinem Geschmack und meinen Gewohnheiten so durchaus entspricht und auf
den ich bereits meine beste" Jahre und Kräfte verwendet, oder, wenn du
lieber willst, "verschwendet" habe." Unter dem Titel "Altes und Neues aus
den Ländern des Ostens von Onvmcmder" veröffentlichte damals der Prinz
sein erstes Werk, welches in Deutschland Beifall fand.

Den Fortgang seiner Studien hemmte auf einmal der Tod der Mutter,
welche der Mittelpunkt des Familienkreises gewesen war. Nur langsam hat er
diesen schweren Schlag überwunden. Reisen nach Italien und das gesellschaft¬
liche Leben nahmen ihn in den nächsten Jahren sehr in Anspruch, mehr als die
orientalischen Studien, mit welchen er sich für seine literarische Lanfbcchn vor¬
bereitete. Da lernte er 1850 durch Urquhart in der Londoner ^,8ig>r.i" sooiot/
Goldstücker, einen gebornen Deutschen, seit 1851 Professor des Sanskrit am
Hrrivsrsit^ OoIl<zg'" in London, kennen: "Ihm verdanke ich soviel, daß keine
Worte genügend sind, es auszusprechen. Er ist mein Lehrer und mein Freund,
mein Berater und mein Tröster geworden. Er hat mir beigestanden in meinen
verwirrten Existenzverhältuissen und war mir die kräftigste Hilfe in meinen


Der Graf von Noer.

Europa bleiben würde. „Wir werden Wohl beide — schreibt er 1856 einem
Freunde — die Lösung dieses Knotens nicht erleben."

Dem Wunsche des Vaters entsprechend, hatte er sich während eines Aufent¬
haltes in London bei Hofe gemeldet, wo er freundliche Aufnahme fand. „Trotz
allem Zerstreuenden und Vergnügliche» kann ich aber doch nicht verhehlen, daß
es Stunden giebt, in denen es mir vorkommen will, als könne es doch eigent¬
lich nichts einförmigeres geben als das, was man mit dem Ausdruck »die große
Welt« zu bezeichnen pflegt. . . Das Ideal meines irdischen Glückes, wenn es
nicht anmaßend ist, ein solches zu wünschen, wäre ein schönes, freundliches Heim
und eine gute, liebevolle Frau. Das kauu ich nnn nicht mehr leugnen. Auf
dem letzten Hofbälle tanzte ich die erste Quadrille mit der Prinzessin Alice (der
spätern Großherzogin von Hessen), die zweite mit der Königin, die überaus
huldreich und gnädig war. . . Prinzeß Alice habe ich etwas näher kennen ge¬
lernt, da ich oftmals ihr Tischnachbar sein dürfte. Sie ist nicht das, was man
eine Schönheit nennt, aber anmutig, angenehm, verständig, gebildet, guten
Humors und ohne Vorurteile, ein großes Wort für eine königliche Prinzessin.
Der dänische Minister ist krank geworden, der arme Mann, seit die Königin
mit nur getanzt hat." Drei Wochen später schreibt er: „Ich bin krank gewesen
und war infolgedessen auf Stille und Einsamkeit angewiesen, die mich in mich
selbst zurückgeführt haben. Vergieb mir, lieber Vater, wenn ich gerade Herans¬
sage, daß ich des hohlen Schwindels des lÄMcmAblö Ule allmählich herzlich
müde werde. Es paßt nicht zu meinen literarischen Gewohnheiten. Da nun
»Onvmcmder« erträglicher auszufallen scheint und mehr Interesse erweckt, als
ich anfänglich zu erwarten wagte, so würde ich doch wohl ein Narr sein, wenn
ich auf dem einmal betretenen Wege nicht weiter ginge, der meinem Charakter,
meinem Geschmack und meinen Gewohnheiten so durchaus entspricht und auf
den ich bereits meine beste» Jahre und Kräfte verwendet, oder, wenn du
lieber willst, »verschwendet« habe." Unter dem Titel „Altes und Neues aus
den Ländern des Ostens von Onvmcmder" veröffentlichte damals der Prinz
sein erstes Werk, welches in Deutschland Beifall fand.

Den Fortgang seiner Studien hemmte auf einmal der Tod der Mutter,
welche der Mittelpunkt des Familienkreises gewesen war. Nur langsam hat er
diesen schweren Schlag überwunden. Reisen nach Italien und das gesellschaft¬
liche Leben nahmen ihn in den nächsten Jahren sehr in Anspruch, mehr als die
orientalischen Studien, mit welchen er sich für seine literarische Lanfbcchn vor¬
bereitete. Da lernte er 1850 durch Urquhart in der Londoner ^,8ig>r.i« sooiot/
Goldstücker, einen gebornen Deutschen, seit 1851 Professor des Sanskrit am
Hrrivsrsit^ OoIl<zg'« in London, kennen: „Ihm verdanke ich soviel, daß keine
Worte genügend sind, es auszusprechen. Er ist mein Lehrer und mein Freund,
mein Berater und mein Tröster geworden. Er hat mir beigestanden in meinen
verwirrten Existenzverhältuissen und war mir die kräftigste Hilfe in meinen


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[0648] Der Graf von Noer. Europa bleiben würde. „Wir werden Wohl beide — schreibt er 1856 einem Freunde — die Lösung dieses Knotens nicht erleben." Dem Wunsche des Vaters entsprechend, hatte er sich während eines Aufent¬ haltes in London bei Hofe gemeldet, wo er freundliche Aufnahme fand. „Trotz allem Zerstreuenden und Vergnügliche» kann ich aber doch nicht verhehlen, daß es Stunden giebt, in denen es mir vorkommen will, als könne es doch eigent¬ lich nichts einförmigeres geben als das, was man mit dem Ausdruck »die große Welt« zu bezeichnen pflegt. . . Das Ideal meines irdischen Glückes, wenn es nicht anmaßend ist, ein solches zu wünschen, wäre ein schönes, freundliches Heim und eine gute, liebevolle Frau. Das kauu ich nnn nicht mehr leugnen. Auf dem letzten Hofbälle tanzte ich die erste Quadrille mit der Prinzessin Alice (der spätern Großherzogin von Hessen), die zweite mit der Königin, die überaus huldreich und gnädig war. . . Prinzeß Alice habe ich etwas näher kennen ge¬ lernt, da ich oftmals ihr Tischnachbar sein dürfte. Sie ist nicht das, was man eine Schönheit nennt, aber anmutig, angenehm, verständig, gebildet, guten Humors und ohne Vorurteile, ein großes Wort für eine königliche Prinzessin. Der dänische Minister ist krank geworden, der arme Mann, seit die Königin mit nur getanzt hat." Drei Wochen später schreibt er: „Ich bin krank gewesen und war infolgedessen auf Stille und Einsamkeit angewiesen, die mich in mich selbst zurückgeführt haben. Vergieb mir, lieber Vater, wenn ich gerade Herans¬ sage, daß ich des hohlen Schwindels des lÄMcmAblö Ule allmählich herzlich müde werde. Es paßt nicht zu meinen literarischen Gewohnheiten. Da nun »Onvmcmder« erträglicher auszufallen scheint und mehr Interesse erweckt, als ich anfänglich zu erwarten wagte, so würde ich doch wohl ein Narr sein, wenn ich auf dem einmal betretenen Wege nicht weiter ginge, der meinem Charakter, meinem Geschmack und meinen Gewohnheiten so durchaus entspricht und auf den ich bereits meine beste» Jahre und Kräfte verwendet, oder, wenn du lieber willst, »verschwendet« habe." Unter dem Titel „Altes und Neues aus den Ländern des Ostens von Onvmcmder" veröffentlichte damals der Prinz sein erstes Werk, welches in Deutschland Beifall fand. Den Fortgang seiner Studien hemmte auf einmal der Tod der Mutter, welche der Mittelpunkt des Familienkreises gewesen war. Nur langsam hat er diesen schweren Schlag überwunden. Reisen nach Italien und das gesellschaft¬ liche Leben nahmen ihn in den nächsten Jahren sehr in Anspruch, mehr als die orientalischen Studien, mit welchen er sich für seine literarische Lanfbcchn vor¬ bereitete. Da lernte er 1850 durch Urquhart in der Londoner ^,8ig>r.i« sooiot/ Goldstücker, einen gebornen Deutschen, seit 1851 Professor des Sanskrit am Hrrivsrsit^ OoIl<zg'« in London, kennen: „Ihm verdanke ich soviel, daß keine Worte genügend sind, es auszusprechen. Er ist mein Lehrer und mein Freund, mein Berater und mein Tröster geworden. Er hat mir beigestanden in meinen verwirrten Existenzverhältuissen und war mir die kräftigste Hilfe in meinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/648>, abgerufen am 03.07.2024.