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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Der Graf von Noer,

Temperaments"; "aber -- fährt er fort -- ich kannte ihn anders, ich sah ihn
in den ersten Zeiten seines Erfolges, wo er seinen zauberischen, hinreißenden
Einfluß auf alle Gemüter noch in vollster Liebenswürdigkeit und Unwider¬
stehlichkeit ausübte."

Im Oktober 1852 endete die Schttlcrzeit zu Cambridge: "Nun ist das
Examen überstanden. . . . Komisch bleibt es immer, daß ich mit meinem hübschen
Namen und Titel und meiner Würde als Orientreisender eine so heillose Furcht
vor dem Examen hatte, wie nur je ein armer deutscher Abiturient, der nach
der Universität trachtet, oder ein Kandidat, der auf die Anstellung wartet."

Nach einer kurzen Studienzeit in Heidelberg, wo er im Verein mit der
Schwester bei Häußer hörte und Ägyptologie unter Braun trieb, ging er nach
Paris. Dort fand er zur Zeit des Krimkrieges ein mächtig bewegtes, an¬
ziehendes Leben. Frohe Stunden bot ein Künstlerkreis im Cafe Frascati, dem
unter andern Gentz, Güterbogh und Knauf angehörten; auch mit Renan, Amari
und Henri Martin ward er bekannt. "Es war ein reiches, schönes Leben, wie
ich es noch kaum je genossen hatte, während im Hintergründe meiner Gedanken
der Plan unverrückt feststand, die Erfahrungen meiner Reise nach besten Kräften
literarisch zu verarbeiten. Der Verkehr mit geistvollen, vielseitig gebildeten
Männern war mir erfreulich und förderlich wie nie zuvor in meinem Leben.
Die Anregung, welche ich empfing, fand keine leere Stätte in nur, sondern ein
ganzes Saatfeld von Ideen und Arbeitsplänen, auf das etwas wie ein befruch¬
tender Regel? siel." Im vierten Stockwerk eines Hanfes in der Rue Luxem-
bourg hatte sich der angehende Schriftsteller niedergelassen, die Wohnung hatte
"einen Blick zwischen Schornsteinen hindurch auf die Vcndomesünle." Mitten
unter seinen Büchern, in Berührung mit allem, was in der großen Weltstadt
an Rang und Geist auf der Höhe stand, gut versorgt durch einen alten
Portier und dessen gute Frau, führte der deutsche Fürstensvhn das glücklichste
Dasein, welches nur durch schwere Krankheit der Schwester und der Mutter
getrübt wurde. In den Tuilerien nicht minder wie in den Salons des Fau-
bourg Se. Germain war er ein gern gesehener Gast.

Von den orientalischen Angelegenheiten hielt er sich zurück. "Obgleich es
meinen Freunden so erscheinen mag, als sei ich für die ehemaligen Interessen
erstorben oder befände mich in einem Zustande hoffnungsloser Lethargie, so habe
ich doch nicht aufgehört, die Sympathie zu hegen, die der gerechten Sache ge¬
hört. Rußland -- so wird in dem Briefe weiter ausgeführt, und dieses Urteil
wird man gerade jetzt nicht ohne Interesse vernehmen -- Rußland ist deshalb
so groß, weil es nie eine Chance unbenutzt vorübergehen ließ; an diplomatischer
List kommt ihm keine Macht gleich. Dennoch wird die Türkei nicht durch Nu߬
land, sondern durch die europäischen Mächte insgesamt vernichtet werden. Dies
ist mein felsenfester Glaube, der mich schwerlich betrügen wird." Er hatte nur
zu Recht, daß die Lastsrn cinesricm viele Jahre lang ein dunkler Fleck für


Der Graf von Noer,

Temperaments"; „aber — fährt er fort — ich kannte ihn anders, ich sah ihn
in den ersten Zeiten seines Erfolges, wo er seinen zauberischen, hinreißenden
Einfluß auf alle Gemüter noch in vollster Liebenswürdigkeit und Unwider¬
stehlichkeit ausübte."

Im Oktober 1852 endete die Schttlcrzeit zu Cambridge: „Nun ist das
Examen überstanden. . . . Komisch bleibt es immer, daß ich mit meinem hübschen
Namen und Titel und meiner Würde als Orientreisender eine so heillose Furcht
vor dem Examen hatte, wie nur je ein armer deutscher Abiturient, der nach
der Universität trachtet, oder ein Kandidat, der auf die Anstellung wartet."

Nach einer kurzen Studienzeit in Heidelberg, wo er im Verein mit der
Schwester bei Häußer hörte und Ägyptologie unter Braun trieb, ging er nach
Paris. Dort fand er zur Zeit des Krimkrieges ein mächtig bewegtes, an¬
ziehendes Leben. Frohe Stunden bot ein Künstlerkreis im Cafe Frascati, dem
unter andern Gentz, Güterbogh und Knauf angehörten; auch mit Renan, Amari
und Henri Martin ward er bekannt. „Es war ein reiches, schönes Leben, wie
ich es noch kaum je genossen hatte, während im Hintergründe meiner Gedanken
der Plan unverrückt feststand, die Erfahrungen meiner Reise nach besten Kräften
literarisch zu verarbeiten. Der Verkehr mit geistvollen, vielseitig gebildeten
Männern war mir erfreulich und förderlich wie nie zuvor in meinem Leben.
Die Anregung, welche ich empfing, fand keine leere Stätte in nur, sondern ein
ganzes Saatfeld von Ideen und Arbeitsplänen, auf das etwas wie ein befruch¬
tender Regel? siel." Im vierten Stockwerk eines Hanfes in der Rue Luxem-
bourg hatte sich der angehende Schriftsteller niedergelassen, die Wohnung hatte
„einen Blick zwischen Schornsteinen hindurch auf die Vcndomesünle." Mitten
unter seinen Büchern, in Berührung mit allem, was in der großen Weltstadt
an Rang und Geist auf der Höhe stand, gut versorgt durch einen alten
Portier und dessen gute Frau, führte der deutsche Fürstensvhn das glücklichste
Dasein, welches nur durch schwere Krankheit der Schwester und der Mutter
getrübt wurde. In den Tuilerien nicht minder wie in den Salons des Fau-
bourg Se. Germain war er ein gern gesehener Gast.

Von den orientalischen Angelegenheiten hielt er sich zurück. „Obgleich es
meinen Freunden so erscheinen mag, als sei ich für die ehemaligen Interessen
erstorben oder befände mich in einem Zustande hoffnungsloser Lethargie, so habe
ich doch nicht aufgehört, die Sympathie zu hegen, die der gerechten Sache ge¬
hört. Rußland — so wird in dem Briefe weiter ausgeführt, und dieses Urteil
wird man gerade jetzt nicht ohne Interesse vernehmen — Rußland ist deshalb
so groß, weil es nie eine Chance unbenutzt vorübergehen ließ; an diplomatischer
List kommt ihm keine Macht gleich. Dennoch wird die Türkei nicht durch Nu߬
land, sondern durch die europäischen Mächte insgesamt vernichtet werden. Dies
ist mein felsenfester Glaube, der mich schwerlich betrügen wird." Er hatte nur
zu Recht, daß die Lastsrn cinesricm viele Jahre lang ein dunkler Fleck für


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[0647] Der Graf von Noer, Temperaments"; „aber — fährt er fort — ich kannte ihn anders, ich sah ihn in den ersten Zeiten seines Erfolges, wo er seinen zauberischen, hinreißenden Einfluß auf alle Gemüter noch in vollster Liebenswürdigkeit und Unwider¬ stehlichkeit ausübte." Im Oktober 1852 endete die Schttlcrzeit zu Cambridge: „Nun ist das Examen überstanden. . . . Komisch bleibt es immer, daß ich mit meinem hübschen Namen und Titel und meiner Würde als Orientreisender eine so heillose Furcht vor dem Examen hatte, wie nur je ein armer deutscher Abiturient, der nach der Universität trachtet, oder ein Kandidat, der auf die Anstellung wartet." Nach einer kurzen Studienzeit in Heidelberg, wo er im Verein mit der Schwester bei Häußer hörte und Ägyptologie unter Braun trieb, ging er nach Paris. Dort fand er zur Zeit des Krimkrieges ein mächtig bewegtes, an¬ ziehendes Leben. Frohe Stunden bot ein Künstlerkreis im Cafe Frascati, dem unter andern Gentz, Güterbogh und Knauf angehörten; auch mit Renan, Amari und Henri Martin ward er bekannt. „Es war ein reiches, schönes Leben, wie ich es noch kaum je genossen hatte, während im Hintergründe meiner Gedanken der Plan unverrückt feststand, die Erfahrungen meiner Reise nach besten Kräften literarisch zu verarbeiten. Der Verkehr mit geistvollen, vielseitig gebildeten Männern war mir erfreulich und förderlich wie nie zuvor in meinem Leben. Die Anregung, welche ich empfing, fand keine leere Stätte in nur, sondern ein ganzes Saatfeld von Ideen und Arbeitsplänen, auf das etwas wie ein befruch¬ tender Regel? siel." Im vierten Stockwerk eines Hanfes in der Rue Luxem- bourg hatte sich der angehende Schriftsteller niedergelassen, die Wohnung hatte „einen Blick zwischen Schornsteinen hindurch auf die Vcndomesünle." Mitten unter seinen Büchern, in Berührung mit allem, was in der großen Weltstadt an Rang und Geist auf der Höhe stand, gut versorgt durch einen alten Portier und dessen gute Frau, führte der deutsche Fürstensvhn das glücklichste Dasein, welches nur durch schwere Krankheit der Schwester und der Mutter getrübt wurde. In den Tuilerien nicht minder wie in den Salons des Fau- bourg Se. Germain war er ein gern gesehener Gast. Von den orientalischen Angelegenheiten hielt er sich zurück. „Obgleich es meinen Freunden so erscheinen mag, als sei ich für die ehemaligen Interessen erstorben oder befände mich in einem Zustande hoffnungsloser Lethargie, so habe ich doch nicht aufgehört, die Sympathie zu hegen, die der gerechten Sache ge¬ hört. Rußland — so wird in dem Briefe weiter ausgeführt, und dieses Urteil wird man gerade jetzt nicht ohne Interesse vernehmen — Rußland ist deshalb so groß, weil es nie eine Chance unbenutzt vorübergehen ließ; an diplomatischer List kommt ihm keine Macht gleich. Dennoch wird die Türkei nicht durch Nu߬ land, sondern durch die europäischen Mächte insgesamt vernichtet werden. Dies ist mein felsenfester Glaube, der mich schwerlich betrügen wird." Er hatte nur zu Recht, daß die Lastsrn cinesricm viele Jahre lang ein dunkler Fleck für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/647>, abgerufen am 22.07.2024.