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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Der Graf von Noer.

That so, Wie du glaubst, so hättest du Wohl Recht, mich für einen unbesonnenen
Phantasten zu halten, und ich würde deine Vorwürfe verdienen. Verzeihe mir
aber, wenn ich dir gegenüber zu behaupten wage, daß dem in Wirklichkeit nicht
so ist... "Wenn wir Christen sind," so fährst du fort und scheinst dadurch
andeuten zu wollen, daß den Morgenländern als solchen jeder sittliche Gehalt
abgebe, und es für uns Christen entheiligend sei, mit ihrem Leben und ihrer
Lehre und Wissenschaft uns zu beschäftigen. Lieber Vater, was meine eigne
Erfahrung über diesen Punkt anbelangt, so ist mir, seit ich im Morgenlande
gewesen, das Lesen der heiligen Schrift ein unendlich erhöhter Genuß ge¬
worden. .. Seit jener Zeit rührt mich mehr als je zuvor die tiefe Einfachheit
der Bibelsprache... Glaube nicht, daß ich um Buddhas, Bramas oder Mo¬
hammeds >vnter mich zum Morgenlande hingezogen fühle, und vertraue ein
wenig der Empfindung und der Einsicht deines Sohnes." Und nach diesem
Bekenntnis heißt es weiter: "Nachträglich in Bezug ans Urquhart, so thut es
mir leid, daß auch du so geringschätzig von ihm denkst und über ihn schreibst.
Mein Verhältnis zu ihm und mein Urteil über ihn sind dir ja schon mehr als
geung bekannt, als daß ich noch etwas darüber zu sagen brauchte. Sei es
denn genügend, wenn ich hinzufüge, daß er von unserm ersten Zusammentreffen
an, sich immer gleich bleibend, stets mein Wohlthäter gewesen ist und mich mit
väterlicher Freundschaft behandelt hat. Es ist der einzige unter den vielen so¬
genannten Freunden, den Zeit und Umstände niemals verändert haben. .. Ich
hoffe, lieber Vater -- so lautet der Schluß des Briefes --. daß dn mich jetzt
etwas weniger als zuvor für einen von schwärmerischer Einbildungskraft heim-
gesuchten Träumer halten wirst. Sollten diese Zeilen deine Besorgnisse be¬
schwichtigen und ein Einverständnis unsrer Ansichten ermöglichen, so würde mich
dies sehr glücklich machen; wo nicht, dann weiß ich keinen Rat, als daß ein
jeder von uns in der seinigen verharre. Wenn du in diesen Zeilen eine oder
die andre dir ungefällige Stelle finden solltest, so halte mich nicht für anmaßend,
ich bitte dich, sondern vergieb mir, weil ich geschrieben habe, wie mir's um's
Herz ist."

Trotzdem ward die Besorgnis des Vaters von neuem rege. Auf seine
ernstlichen Mahnungen entschuldigt sich der "unverbesserliche Sohn," als er
Urquhart nach Northumberland begleitet hatte: "Cambridge ist so langweilig,
und ich cunnsirc mich gerne," schließt aber dann mit den Worten: "Seitdem
ich mir in aller Unschuld mehrfach die Finger verbrannt und dir noch dazu
Unannehmlichkeiten bereitet habe, werde ich allen politischen Hirngespinsten,
seien sie auch die meines besten Freundes, deu Abschied geben. Mein Privat¬
verhältnis zu ihm wird nicht darunter leiden."

Es mag hier gleich noch die Charakteristik Platz finden, die er noch in
spätern Jahren von ihm giebt. Wohl beklagt er damals "die heftigen Kon¬
vulsionen seines enttäuschten, verbitterten Gemütes, die Kämpfe seines unbändigen


Der Graf von Noer.

That so, Wie du glaubst, so hättest du Wohl Recht, mich für einen unbesonnenen
Phantasten zu halten, und ich würde deine Vorwürfe verdienen. Verzeihe mir
aber, wenn ich dir gegenüber zu behaupten wage, daß dem in Wirklichkeit nicht
so ist... »Wenn wir Christen sind,« so fährst du fort und scheinst dadurch
andeuten zu wollen, daß den Morgenländern als solchen jeder sittliche Gehalt
abgebe, und es für uns Christen entheiligend sei, mit ihrem Leben und ihrer
Lehre und Wissenschaft uns zu beschäftigen. Lieber Vater, was meine eigne
Erfahrung über diesen Punkt anbelangt, so ist mir, seit ich im Morgenlande
gewesen, das Lesen der heiligen Schrift ein unendlich erhöhter Genuß ge¬
worden. .. Seit jener Zeit rührt mich mehr als je zuvor die tiefe Einfachheit
der Bibelsprache... Glaube nicht, daß ich um Buddhas, Bramas oder Mo¬
hammeds >vnter mich zum Morgenlande hingezogen fühle, und vertraue ein
wenig der Empfindung und der Einsicht deines Sohnes." Und nach diesem
Bekenntnis heißt es weiter: „Nachträglich in Bezug ans Urquhart, so thut es
mir leid, daß auch du so geringschätzig von ihm denkst und über ihn schreibst.
Mein Verhältnis zu ihm und mein Urteil über ihn sind dir ja schon mehr als
geung bekannt, als daß ich noch etwas darüber zu sagen brauchte. Sei es
denn genügend, wenn ich hinzufüge, daß er von unserm ersten Zusammentreffen
an, sich immer gleich bleibend, stets mein Wohlthäter gewesen ist und mich mit
väterlicher Freundschaft behandelt hat. Es ist der einzige unter den vielen so¬
genannten Freunden, den Zeit und Umstände niemals verändert haben. .. Ich
hoffe, lieber Vater — so lautet der Schluß des Briefes —. daß dn mich jetzt
etwas weniger als zuvor für einen von schwärmerischer Einbildungskraft heim-
gesuchten Träumer halten wirst. Sollten diese Zeilen deine Besorgnisse be¬
schwichtigen und ein Einverständnis unsrer Ansichten ermöglichen, so würde mich
dies sehr glücklich machen; wo nicht, dann weiß ich keinen Rat, als daß ein
jeder von uns in der seinigen verharre. Wenn du in diesen Zeilen eine oder
die andre dir ungefällige Stelle finden solltest, so halte mich nicht für anmaßend,
ich bitte dich, sondern vergieb mir, weil ich geschrieben habe, wie mir's um's
Herz ist."

Trotzdem ward die Besorgnis des Vaters von neuem rege. Auf seine
ernstlichen Mahnungen entschuldigt sich der „unverbesserliche Sohn," als er
Urquhart nach Northumberland begleitet hatte: „Cambridge ist so langweilig,
und ich cunnsirc mich gerne," schließt aber dann mit den Worten: „Seitdem
ich mir in aller Unschuld mehrfach die Finger verbrannt und dir noch dazu
Unannehmlichkeiten bereitet habe, werde ich allen politischen Hirngespinsten,
seien sie auch die meines besten Freundes, deu Abschied geben. Mein Privat¬
verhältnis zu ihm wird nicht darunter leiden."

Es mag hier gleich noch die Charakteristik Platz finden, die er noch in
spätern Jahren von ihm giebt. Wohl beklagt er damals „die heftigen Kon¬
vulsionen seines enttäuschten, verbitterten Gemütes, die Kämpfe seines unbändigen


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[0646] Der Graf von Noer. That so, Wie du glaubst, so hättest du Wohl Recht, mich für einen unbesonnenen Phantasten zu halten, und ich würde deine Vorwürfe verdienen. Verzeihe mir aber, wenn ich dir gegenüber zu behaupten wage, daß dem in Wirklichkeit nicht so ist... »Wenn wir Christen sind,« so fährst du fort und scheinst dadurch andeuten zu wollen, daß den Morgenländern als solchen jeder sittliche Gehalt abgebe, und es für uns Christen entheiligend sei, mit ihrem Leben und ihrer Lehre und Wissenschaft uns zu beschäftigen. Lieber Vater, was meine eigne Erfahrung über diesen Punkt anbelangt, so ist mir, seit ich im Morgenlande gewesen, das Lesen der heiligen Schrift ein unendlich erhöhter Genuß ge¬ worden. .. Seit jener Zeit rührt mich mehr als je zuvor die tiefe Einfachheit der Bibelsprache... Glaube nicht, daß ich um Buddhas, Bramas oder Mo¬ hammeds >vnter mich zum Morgenlande hingezogen fühle, und vertraue ein wenig der Empfindung und der Einsicht deines Sohnes." Und nach diesem Bekenntnis heißt es weiter: „Nachträglich in Bezug ans Urquhart, so thut es mir leid, daß auch du so geringschätzig von ihm denkst und über ihn schreibst. Mein Verhältnis zu ihm und mein Urteil über ihn sind dir ja schon mehr als geung bekannt, als daß ich noch etwas darüber zu sagen brauchte. Sei es denn genügend, wenn ich hinzufüge, daß er von unserm ersten Zusammentreffen an, sich immer gleich bleibend, stets mein Wohlthäter gewesen ist und mich mit väterlicher Freundschaft behandelt hat. Es ist der einzige unter den vielen so¬ genannten Freunden, den Zeit und Umstände niemals verändert haben. .. Ich hoffe, lieber Vater — so lautet der Schluß des Briefes —. daß dn mich jetzt etwas weniger als zuvor für einen von schwärmerischer Einbildungskraft heim- gesuchten Träumer halten wirst. Sollten diese Zeilen deine Besorgnisse be¬ schwichtigen und ein Einverständnis unsrer Ansichten ermöglichen, so würde mich dies sehr glücklich machen; wo nicht, dann weiß ich keinen Rat, als daß ein jeder von uns in der seinigen verharre. Wenn du in diesen Zeilen eine oder die andre dir ungefällige Stelle finden solltest, so halte mich nicht für anmaßend, ich bitte dich, sondern vergieb mir, weil ich geschrieben habe, wie mir's um's Herz ist." Trotzdem ward die Besorgnis des Vaters von neuem rege. Auf seine ernstlichen Mahnungen entschuldigt sich der „unverbesserliche Sohn," als er Urquhart nach Northumberland begleitet hatte: „Cambridge ist so langweilig, und ich cunnsirc mich gerne," schließt aber dann mit den Worten: „Seitdem ich mir in aller Unschuld mehrfach die Finger verbrannt und dir noch dazu Unannehmlichkeiten bereitet habe, werde ich allen politischen Hirngespinsten, seien sie auch die meines besten Freundes, deu Abschied geben. Mein Privat¬ verhältnis zu ihm wird nicht darunter leiden." Es mag hier gleich noch die Charakteristik Platz finden, die er noch in spätern Jahren von ihm giebt. Wohl beklagt er damals „die heftigen Kon¬ vulsionen seines enttäuschten, verbitterten Gemütes, die Kämpfe seines unbändigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/646>, abgerufen am 03.07.2024.