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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Wähler und Rival der Krone zugleich war der Adel, der von jeher in
Spanien besonders heimisch gewesen ist, zur arianischen Zeit der Laienadcl, zur
katholischen dieser und der der Kirche, beide nicht selten ineinander übergehend.
Er war entstanden aus den alten provinziellen Latifnndienbesitzcrn und den
eingewanderten Großen des Siegcrvolles, sein Kennzeichen war Reichtum und
Erblichkeit desselben, wodurch er das gewählte Königtum wie von selber über¬
wucherte. Nicht dieses, die gegenseitige Eifersucht einzelner Geschlechter hielt
den Staat nur zu oft in einer Art taumelnden Gleichgewichtes. In der All¬
gemeinheit der Herrschsucht und Unbotmüßigkcit bestand die Milderung des
Systems, der Kreis der Geschlechter war kein abgeschlossener. Unaufhörlich
stiegen neue und sanken alte, selbst Unfreie klommen zu den höchsten Sprossen
empor. Eine Wechselbewegung, die oft mit dem Wechsel der Krone zusammen¬
hing, denn die ihr widerstrebenden suchte sie zu stürzen und neue, möglichst
abhängige Menschen mächtig zu machen.

Formell besaß das westgotische Königtum unter dem Zusammenfluß seiner
germanischen mit der römischen Jmperatoreuwürdc eine nahezu absolute Gewalt
in allen Hoheitsrechten, umsomehr als die alten Schranken desselben. Volks¬
versammlungen und Vvlksadel, abhanden gekommen waren. Dagegen hatte sich
in Land-Dienstadel und Prälatur eine neue, vielfach schärfere Machtbcengnng
gebildet. Anfangs überwogen die Laien in Hof- oder, wenn man so will, in
Reichstagen. Als die katholische Kirche emporkam, stellte sie sich ihnen dnrch
Konzilien zur Seite, bis beide verschmolzen, die vorwiegenden Konzilien die
Hoftage in sich aufnahmen oder ihnen doch nur eine untergeordnete Rolle übrig
ließen. Diese Bewegung nahm zu, jemehr der hohe Adel, zumal der gotische,
sich zu Kirchenämtern drängte und damit Vertretung der Kirche und des Adels
vielfach identisch, die Kirchcnversnmmlnngen zugleich zu Adelskonventen machte.
War Krone, Adel und Kirche einig, so ging alles vortrefflich, da dies aber bei
den widerstreitenden Interessen selten der Fall war, so bewirkte das System
einen wechselvollen Kampf der Gewalten, worin keineswegs die Krone immer
das Übergewicht behielt. Bald gestattete sich der Adel Eingriffe durch Em¬
pörung und Mord, bald die Kirche, indem sie die Könige beherrschte und ab¬
hängig machte, bald die Krone durch Handlungen sultanischer Gewalt. Es fehlte
die Abgrenzung der gegenseitigen Befugnisse, Zufall und Persönlichkeiten traten
bedingend hervor.

Die Kirche faßte im Episkopat ihre Kraft zusammen, welche durch Beschlüsse
der Konzilien zum Ausdrucke kam. Diese wurden vom Könige berufen und
pflegten über das zu beraten, was er vorlegte; aber er durfte nicht wagen
etwas vorzulegen, was gewichtige Kreise der weltlichen oder geistlichen Großen
verletzte, er konnte deshalb nicht Wohl etwas vorlege", bevor er Rücksprache
mit den maßgebenden Männern genommen hatte, und der wichtigste von ihnen
war der Metropolit von Toledo. Das vornehmste Kirchenhnupt war also


Grenzboten I. 1837. 80

Wähler und Rival der Krone zugleich war der Adel, der von jeher in
Spanien besonders heimisch gewesen ist, zur arianischen Zeit der Laienadcl, zur
katholischen dieser und der der Kirche, beide nicht selten ineinander übergehend.
Er war entstanden aus den alten provinziellen Latifnndienbesitzcrn und den
eingewanderten Großen des Siegcrvolles, sein Kennzeichen war Reichtum und
Erblichkeit desselben, wodurch er das gewählte Königtum wie von selber über¬
wucherte. Nicht dieses, die gegenseitige Eifersucht einzelner Geschlechter hielt
den Staat nur zu oft in einer Art taumelnden Gleichgewichtes. In der All¬
gemeinheit der Herrschsucht und Unbotmüßigkcit bestand die Milderung des
Systems, der Kreis der Geschlechter war kein abgeschlossener. Unaufhörlich
stiegen neue und sanken alte, selbst Unfreie klommen zu den höchsten Sprossen
empor. Eine Wechselbewegung, die oft mit dem Wechsel der Krone zusammen¬
hing, denn die ihr widerstrebenden suchte sie zu stürzen und neue, möglichst
abhängige Menschen mächtig zu machen.

Formell besaß das westgotische Königtum unter dem Zusammenfluß seiner
germanischen mit der römischen Jmperatoreuwürdc eine nahezu absolute Gewalt
in allen Hoheitsrechten, umsomehr als die alten Schranken desselben. Volks¬
versammlungen und Vvlksadel, abhanden gekommen waren. Dagegen hatte sich
in Land-Dienstadel und Prälatur eine neue, vielfach schärfere Machtbcengnng
gebildet. Anfangs überwogen die Laien in Hof- oder, wenn man so will, in
Reichstagen. Als die katholische Kirche emporkam, stellte sie sich ihnen dnrch
Konzilien zur Seite, bis beide verschmolzen, die vorwiegenden Konzilien die
Hoftage in sich aufnahmen oder ihnen doch nur eine untergeordnete Rolle übrig
ließen. Diese Bewegung nahm zu, jemehr der hohe Adel, zumal der gotische,
sich zu Kirchenämtern drängte und damit Vertretung der Kirche und des Adels
vielfach identisch, die Kirchcnversnmmlnngen zugleich zu Adelskonventen machte.
War Krone, Adel und Kirche einig, so ging alles vortrefflich, da dies aber bei
den widerstreitenden Interessen selten der Fall war, so bewirkte das System
einen wechselvollen Kampf der Gewalten, worin keineswegs die Krone immer
das Übergewicht behielt. Bald gestattete sich der Adel Eingriffe durch Em¬
pörung und Mord, bald die Kirche, indem sie die Könige beherrschte und ab¬
hängig machte, bald die Krone durch Handlungen sultanischer Gewalt. Es fehlte
die Abgrenzung der gegenseitigen Befugnisse, Zufall und Persönlichkeiten traten
bedingend hervor.

Die Kirche faßte im Episkopat ihre Kraft zusammen, welche durch Beschlüsse
der Konzilien zum Ausdrucke kam. Diese wurden vom Könige berufen und
pflegten über das zu beraten, was er vorlegte; aber er durfte nicht wagen
etwas vorzulegen, was gewichtige Kreise der weltlichen oder geistlichen Großen
verletzte, er konnte deshalb nicht Wohl etwas vorlege», bevor er Rücksprache
mit den maßgebenden Männern genommen hatte, und der wichtigste von ihnen
war der Metropolit von Toledo. Das vornehmste Kirchenhnupt war also


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[0641] Wähler und Rival der Krone zugleich war der Adel, der von jeher in Spanien besonders heimisch gewesen ist, zur arianischen Zeit der Laienadcl, zur katholischen dieser und der der Kirche, beide nicht selten ineinander übergehend. Er war entstanden aus den alten provinziellen Latifnndienbesitzcrn und den eingewanderten Großen des Siegcrvolles, sein Kennzeichen war Reichtum und Erblichkeit desselben, wodurch er das gewählte Königtum wie von selber über¬ wucherte. Nicht dieses, die gegenseitige Eifersucht einzelner Geschlechter hielt den Staat nur zu oft in einer Art taumelnden Gleichgewichtes. In der All¬ gemeinheit der Herrschsucht und Unbotmüßigkcit bestand die Milderung des Systems, der Kreis der Geschlechter war kein abgeschlossener. Unaufhörlich stiegen neue und sanken alte, selbst Unfreie klommen zu den höchsten Sprossen empor. Eine Wechselbewegung, die oft mit dem Wechsel der Krone zusammen¬ hing, denn die ihr widerstrebenden suchte sie zu stürzen und neue, möglichst abhängige Menschen mächtig zu machen. Formell besaß das westgotische Königtum unter dem Zusammenfluß seiner germanischen mit der römischen Jmperatoreuwürdc eine nahezu absolute Gewalt in allen Hoheitsrechten, umsomehr als die alten Schranken desselben. Volks¬ versammlungen und Vvlksadel, abhanden gekommen waren. Dagegen hatte sich in Land-Dienstadel und Prälatur eine neue, vielfach schärfere Machtbcengnng gebildet. Anfangs überwogen die Laien in Hof- oder, wenn man so will, in Reichstagen. Als die katholische Kirche emporkam, stellte sie sich ihnen dnrch Konzilien zur Seite, bis beide verschmolzen, die vorwiegenden Konzilien die Hoftage in sich aufnahmen oder ihnen doch nur eine untergeordnete Rolle übrig ließen. Diese Bewegung nahm zu, jemehr der hohe Adel, zumal der gotische, sich zu Kirchenämtern drängte und damit Vertretung der Kirche und des Adels vielfach identisch, die Kirchcnversnmmlnngen zugleich zu Adelskonventen machte. War Krone, Adel und Kirche einig, so ging alles vortrefflich, da dies aber bei den widerstreitenden Interessen selten der Fall war, so bewirkte das System einen wechselvollen Kampf der Gewalten, worin keineswegs die Krone immer das Übergewicht behielt. Bald gestattete sich der Adel Eingriffe durch Em¬ pörung und Mord, bald die Kirche, indem sie die Könige beherrschte und ab¬ hängig machte, bald die Krone durch Handlungen sultanischer Gewalt. Es fehlte die Abgrenzung der gegenseitigen Befugnisse, Zufall und Persönlichkeiten traten bedingend hervor. Die Kirche faßte im Episkopat ihre Kraft zusammen, welche durch Beschlüsse der Konzilien zum Ausdrucke kam. Diese wurden vom Könige berufen und pflegten über das zu beraten, was er vorlegte; aber er durfte nicht wagen etwas vorzulegen, was gewichtige Kreise der weltlichen oder geistlichen Großen verletzte, er konnte deshalb nicht Wohl etwas vorlege», bevor er Rücksprache mit den maßgebenden Männern genommen hatte, und der wichtigste von ihnen war der Metropolit von Toledo. Das vornehmste Kirchenhnupt war also Grenzboten I. 1837. 80

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/641>, abgerufen am 03.07.2024.