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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Staat und Kirche im Reiche der Westgoten.
von I. v. Pflugk-Harttung.

o früh Wie kein andres Germaneuvolk, schon in ihren Wohnsitzen
an der Donau, waren die Westgoten mit der Kultur des Abend¬
landes bekannt geworden. Durch die Balkanhallnnscl und Italien
nach Südfrankreich und Spanien gewandert, errichteten sie
schneller als alle Bruderstämme eiuen Staat. Sie schienen die
Zukunft des Abendlandes bestimmen zu sollen, und doch krankte ihre Entwicklung
vor der Zeit zu Grabe, wie eine knospende Blume, die der Wurm zernagt.

Das Grundübel des Westgotenreichcs war die Aristokratie, weltliche und
geistliche, vor der nach unten hin der Träger des Volkswohls, der Stand der
Gemeinfrcien, erlag, nach oben hin die Krone nicht zur Macht kommen konnte.
Obwohl die Westgoten als erste Germanen das Privntrechr ausbildeten, sind
sie doch nie zu einer Verfassung gediehen.

Nur ein starkes, ein Erbkönigtum hätte sie schaffen, Hütte den unfertigen
Staat fest zusammenfassen, die widerstrebenden Gewalten brechen können. Aber
eben dieses fehlte. Anfangs schien es sich ausbilden oder doch in altgermanischer
Weise an den Königsstamm fesseln zu wollen. Da entzogen sich die Söhne
Theodorichs I. selber den Untergrund, einer erschlug den andern, noch vermochte
der Sohn dem Vater zu folgen, aber es waren nicht die Männer, deren die
Zeit bedurfte. Als Amalarich dunkeln Andenkens starb, war das Herrenhaus
zu Ende, es gelang keinem neuen Geschlechte, sich im Besitze des Thrones zu
behaupten, volles Wahlrecht wurde üblich mit seinem Gefolge von Willkür,
Ehrgeiz, Aufruhr und Mord. Das gotische Königtum schwankte dahin als das
schwächste, seine Gewalt als die unsicherste, Unterthanentreue und Achtung vor
seiner Würde waren erloschen, bis auf Leovigild durfte sich der Herrscher weder
durch die Kleidung noch dnrch den Sitz hervorthun.

Erst als es der katholischen Kirche gelang, ihre arianische Rivalin zu er¬
drücken, zu Macht und Einfluß zu gelangen, erst da versuchte mau, dem Reiche
Ruhe und Stetigkeit durch Wahlgesetz und durch Schutz des Königs zu gewähren.
Eine Art von Designirung, von Vorausbestimmung des Nachfolgers, wurde
üblich, oft in der Form von Mitrcgeutschaft, ein stets erneutes Bestreben nach
Erblichkeit. Der Widerstand machte starke Könige leicht zu Tyrannen gegen
die Großen, schwache zu einer Geißel für das Volk. Der Sturmesgang der
Ereignisse durchriß gar leicht die Dämme, und statt des Rechtes entschied die
Macht.


Staat und Kirche im Reiche der Westgoten.
von I. v. Pflugk-Harttung.

o früh Wie kein andres Germaneuvolk, schon in ihren Wohnsitzen
an der Donau, waren die Westgoten mit der Kultur des Abend¬
landes bekannt geworden. Durch die Balkanhallnnscl und Italien
nach Südfrankreich und Spanien gewandert, errichteten sie
schneller als alle Bruderstämme eiuen Staat. Sie schienen die
Zukunft des Abendlandes bestimmen zu sollen, und doch krankte ihre Entwicklung
vor der Zeit zu Grabe, wie eine knospende Blume, die der Wurm zernagt.

Das Grundübel des Westgotenreichcs war die Aristokratie, weltliche und
geistliche, vor der nach unten hin der Träger des Volkswohls, der Stand der
Gemeinfrcien, erlag, nach oben hin die Krone nicht zur Macht kommen konnte.
Obwohl die Westgoten als erste Germanen das Privntrechr ausbildeten, sind
sie doch nie zu einer Verfassung gediehen.

Nur ein starkes, ein Erbkönigtum hätte sie schaffen, Hütte den unfertigen
Staat fest zusammenfassen, die widerstrebenden Gewalten brechen können. Aber
eben dieses fehlte. Anfangs schien es sich ausbilden oder doch in altgermanischer
Weise an den Königsstamm fesseln zu wollen. Da entzogen sich die Söhne
Theodorichs I. selber den Untergrund, einer erschlug den andern, noch vermochte
der Sohn dem Vater zu folgen, aber es waren nicht die Männer, deren die
Zeit bedurfte. Als Amalarich dunkeln Andenkens starb, war das Herrenhaus
zu Ende, es gelang keinem neuen Geschlechte, sich im Besitze des Thrones zu
behaupten, volles Wahlrecht wurde üblich mit seinem Gefolge von Willkür,
Ehrgeiz, Aufruhr und Mord. Das gotische Königtum schwankte dahin als das
schwächste, seine Gewalt als die unsicherste, Unterthanentreue und Achtung vor
seiner Würde waren erloschen, bis auf Leovigild durfte sich der Herrscher weder
durch die Kleidung noch dnrch den Sitz hervorthun.

Erst als es der katholischen Kirche gelang, ihre arianische Rivalin zu er¬
drücken, zu Macht und Einfluß zu gelangen, erst da versuchte mau, dem Reiche
Ruhe und Stetigkeit durch Wahlgesetz und durch Schutz des Königs zu gewähren.
Eine Art von Designirung, von Vorausbestimmung des Nachfolgers, wurde
üblich, oft in der Form von Mitrcgeutschaft, ein stets erneutes Bestreben nach
Erblichkeit. Der Widerstand machte starke Könige leicht zu Tyrannen gegen
die Großen, schwache zu einer Geißel für das Volk. Der Sturmesgang der
Ereignisse durchriß gar leicht die Dämme, und statt des Rechtes entschied die
Macht.


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[0640] Staat und Kirche im Reiche der Westgoten. von I. v. Pflugk-Harttung. o früh Wie kein andres Germaneuvolk, schon in ihren Wohnsitzen an der Donau, waren die Westgoten mit der Kultur des Abend¬ landes bekannt geworden. Durch die Balkanhallnnscl und Italien nach Südfrankreich und Spanien gewandert, errichteten sie schneller als alle Bruderstämme eiuen Staat. Sie schienen die Zukunft des Abendlandes bestimmen zu sollen, und doch krankte ihre Entwicklung vor der Zeit zu Grabe, wie eine knospende Blume, die der Wurm zernagt. Das Grundübel des Westgotenreichcs war die Aristokratie, weltliche und geistliche, vor der nach unten hin der Träger des Volkswohls, der Stand der Gemeinfrcien, erlag, nach oben hin die Krone nicht zur Macht kommen konnte. Obwohl die Westgoten als erste Germanen das Privntrechr ausbildeten, sind sie doch nie zu einer Verfassung gediehen. Nur ein starkes, ein Erbkönigtum hätte sie schaffen, Hütte den unfertigen Staat fest zusammenfassen, die widerstrebenden Gewalten brechen können. Aber eben dieses fehlte. Anfangs schien es sich ausbilden oder doch in altgermanischer Weise an den Königsstamm fesseln zu wollen. Da entzogen sich die Söhne Theodorichs I. selber den Untergrund, einer erschlug den andern, noch vermochte der Sohn dem Vater zu folgen, aber es waren nicht die Männer, deren die Zeit bedurfte. Als Amalarich dunkeln Andenkens starb, war das Herrenhaus zu Ende, es gelang keinem neuen Geschlechte, sich im Besitze des Thrones zu behaupten, volles Wahlrecht wurde üblich mit seinem Gefolge von Willkür, Ehrgeiz, Aufruhr und Mord. Das gotische Königtum schwankte dahin als das schwächste, seine Gewalt als die unsicherste, Unterthanentreue und Achtung vor seiner Würde waren erloschen, bis auf Leovigild durfte sich der Herrscher weder durch die Kleidung noch dnrch den Sitz hervorthun. Erst als es der katholischen Kirche gelang, ihre arianische Rivalin zu er¬ drücken, zu Macht und Einfluß zu gelangen, erst da versuchte mau, dem Reiche Ruhe und Stetigkeit durch Wahlgesetz und durch Schutz des Königs zu gewähren. Eine Art von Designirung, von Vorausbestimmung des Nachfolgers, wurde üblich, oft in der Form von Mitrcgeutschaft, ein stets erneutes Bestreben nach Erblichkeit. Der Widerstand machte starke Könige leicht zu Tyrannen gegen die Großen, schwache zu einer Geißel für das Volk. Der Sturmesgang der Ereignisse durchriß gar leicht die Dämme, und statt des Rechtes entschied die Macht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/640>, abgerufen am 22.12.2024.