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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Staat und Kirche im Reiche der Westgoten.

gleichsam gegebener erster Minister. Immerhin hatte der König großen Einfluß
auf die Beratung, einen weitern gewährte ihm die Strafgewalt und seine Be¬
fugnis, die Bischöfe zu ernennen. In der ältern Zeit waren sie von Volk und
Prvvinzialcpiskopat vorgeschlagen und auf Rat des Metropolitan vom Könige
genehmigt worden, bei der zunehmend aristokratischen Richtung konnte das
zwölfte Konzil von Toledo dem Könige die Ernennung, die Einsetzung dem
Erzbischof von Toledo überweisen. War die Erhebung erfolgt, dann hatte die
Staatsgewalt nicht mehr die Person in den Händen, sodaß auf Konzilien Könige
entthront und Usurpatoren anerkannt worden sind. Der Einfluß steigerte den
Reichtum der Bischöfe bisweilen ins Ungemessene, beides brachte Verweltlichung
und Vermehrung der Befugnisse gegen Laienbcamtcn. Längst hatten sie sich
den Fesseln des Standes entwunden, an der Spitze ihrer Gewappneten zogen
sie ins Feld. Krieg, Politik und Güterverwaltung überwogen nicht selten die
geistlichen Interessen. Der Gerichtsstand des Klerus schwankte, im wesentlichen
blieben sie dem weltlichen Gesetz Unterthan.

Trotz naher Beziehung zu Rom trat die Angehörigkeit zur allgemeinen
Kirche vor der des Landes zurück, namentlich seitdem Toledo den Primat er¬
langt hatte. Im Gegensatz zu dein sonst Üblichen wurde die spanische Zeit¬
rechnung, welche achtunddreißig Jahre vor der christlichen beginnt, zur gotischen
Ncichsära. Der Metropolit führte in den Konzilien den Vorsitz und erhob
mit dem Könige die Bischöfe, war thatsächlicher Mitregent, nicht selten Ober¬
regent. Das achte Konzil sprach aus, die Bischöfe seien durch Christus Vorgesetzte
der Völker. Zur Hebung des Glanzes der Hauptstadt befahl das siebente
Konzil, daß die benachbarten Bischöfe jährlich dort einen Monat verbringen
sollten. In Toledo versammelten sich die Neichskonzilien. Keine Kirche des
Morgen- oder Abendlandes kannte einen gleich unumschränkten Primat als die
der Pyrenäenhalbinsel.

Das Gvtenreich war ein kranker Kulturstaat, morsch in seinem Gefüge,
ohne Schwung und Opfermut. Da kamen die Jünger Mohammeds, deren
Wangen uoch nicht erbleicht von nagenden Gedanken, deren Leiber unter Afrikas
glühender Sonne gedörrt waren, und grün, in der Hoffnung Farbe, flatterte ihnen
das Banner des Propheten voran. Die Kraft, die Wildheit der Begeisterung
siegten. Erst die Not ließ ein neues Geschlecht in den asturischen Bergen ge¬
deihen, ritterlich, fromm und fanatisch, das nach blutigem Heldenkampfe an der
Stelle des Halbmondes wieder das siegende Kreuz erhob.




Staat und Kirche im Reiche der Westgoten.

gleichsam gegebener erster Minister. Immerhin hatte der König großen Einfluß
auf die Beratung, einen weitern gewährte ihm die Strafgewalt und seine Be¬
fugnis, die Bischöfe zu ernennen. In der ältern Zeit waren sie von Volk und
Prvvinzialcpiskopat vorgeschlagen und auf Rat des Metropolitan vom Könige
genehmigt worden, bei der zunehmend aristokratischen Richtung konnte das
zwölfte Konzil von Toledo dem Könige die Ernennung, die Einsetzung dem
Erzbischof von Toledo überweisen. War die Erhebung erfolgt, dann hatte die
Staatsgewalt nicht mehr die Person in den Händen, sodaß auf Konzilien Könige
entthront und Usurpatoren anerkannt worden sind. Der Einfluß steigerte den
Reichtum der Bischöfe bisweilen ins Ungemessene, beides brachte Verweltlichung
und Vermehrung der Befugnisse gegen Laienbcamtcn. Längst hatten sie sich
den Fesseln des Standes entwunden, an der Spitze ihrer Gewappneten zogen
sie ins Feld. Krieg, Politik und Güterverwaltung überwogen nicht selten die
geistlichen Interessen. Der Gerichtsstand des Klerus schwankte, im wesentlichen
blieben sie dem weltlichen Gesetz Unterthan.

Trotz naher Beziehung zu Rom trat die Angehörigkeit zur allgemeinen
Kirche vor der des Landes zurück, namentlich seitdem Toledo den Primat er¬
langt hatte. Im Gegensatz zu dein sonst Üblichen wurde die spanische Zeit¬
rechnung, welche achtunddreißig Jahre vor der christlichen beginnt, zur gotischen
Ncichsära. Der Metropolit führte in den Konzilien den Vorsitz und erhob
mit dem Könige die Bischöfe, war thatsächlicher Mitregent, nicht selten Ober¬
regent. Das achte Konzil sprach aus, die Bischöfe seien durch Christus Vorgesetzte
der Völker. Zur Hebung des Glanzes der Hauptstadt befahl das siebente
Konzil, daß die benachbarten Bischöfe jährlich dort einen Monat verbringen
sollten. In Toledo versammelten sich die Neichskonzilien. Keine Kirche des
Morgen- oder Abendlandes kannte einen gleich unumschränkten Primat als die
der Pyrenäenhalbinsel.

Das Gvtenreich war ein kranker Kulturstaat, morsch in seinem Gefüge,
ohne Schwung und Opfermut. Da kamen die Jünger Mohammeds, deren
Wangen uoch nicht erbleicht von nagenden Gedanken, deren Leiber unter Afrikas
glühender Sonne gedörrt waren, und grün, in der Hoffnung Farbe, flatterte ihnen
das Banner des Propheten voran. Die Kraft, die Wildheit der Begeisterung
siegten. Erst die Not ließ ein neues Geschlecht in den asturischen Bergen ge¬
deihen, ritterlich, fromm und fanatisch, das nach blutigem Heldenkampfe an der
Stelle des Halbmondes wieder das siegende Kreuz erhob.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/642>, abgerufen am 22.07.2024.