Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die englische Ministerkrisis.

trachte". Gewiß dagegen ist, daß sich unter den Politikern geringern Ranges,
welche unter der unionistischen Fahne marschiren, noch wenigstens zwanzig Radi¬
kale reinsten Wassers befinden. Was hätte also ein Übereinkommen Hartingtons
mit Salisbury zu bedeuten? Den Abfall derer, die im letzten Feldzuge seine
besten Gehilfen waren, und seinen Abzug ins Lager der Konservativen mit einem
Häuflein von etwa vierzig Getreuen. Das aber wäre durchaus kein Ergebnis,
welches hinreichte, um die Zerreißung des Bandes zu rechtfertigen, welches die
Uuionisten der verschiednen Schattirungen zusammenheilt. Schließlich ist an die
Wählerschaften zu denken. Es giebt in England viele Tausende von Liberalen,
welche bei den letzten Parlamentswahlen ihre Stimmzettel mit Namen von
Uuionisten als Gegnern der Losreißung Irlands in die Urne warfen, welche
diese Kandidaten aber gewiß nicht mehr unterstützen würden, wenn sie daran
dächten, nur den linken Flügel der Torypartei bilden zu helfen; und wenn auch
Hartington und andre dazu bereite Leute zum Ausgleich solcher Verluste kon¬
servative Voden zu hoffen hätten, so würden sie durch diesen Umstand für immer
an ihre alten Gegner gebunden sein.

Es scheint somit nur ein Ausgang der Krisis im Interesse der liberalen
Partei Englands wünschenswert, aber derselbe ist ebenfalls nahezu unmöglich.
Wenn Salisbury nicht imstande zu sein scheint, die Verwaltn"g im Geiste
der konservativen Partei fest und erfolgreich fortzuführen, und wenn Hartington
Chamberlain und Trevelhan, seine demokratischen Adjutanten, nicht verlassen
kann, so bleibt nur ein dritter Weg offen: die Bildung eines Kabinets, das
rein aus liberalen Univuisten zusammengesetzt ist. Es fehlt nicht an Männern
zur Ausfüllung der verschiedenen Posten, und es läßt sich aus den Partei¬
führern, welche an der Spitze des Widerstandes gegen die irischen Pläne Glad-
stones standen, ein recht ansehnliches Ministerium zusammensetzen. Leider aber
gebieten sie allesamt nnr über eine Gefolgschaft van etwa siebzig Mann, und
es ist keineswegs ganz sicher, daß sie sich bei den nächsten Wahlen alle der
Unterstützung ihrer letzten Wähler erfreuen werden. In der englischen Geschichte
aber findet sich kein Beispiel, daß jemand mit einer solchen Minorität gewagt
hätte, ein Ministerium zu übernehmen, selbst wenn er des Beistandes einer
andern Partei sicher gewesen wäre. Allerdings trat Robert Peel 1845 wieder
ins Amt, als sich unter den Konservativen, die ihm anhingen, nur etwa achtzig
zum Freihandel bekehrt hatten. Aber sein Ministerium dauerte auch nur etwas
mehr als fünf Monate und fiel vor den Angriffen einer Koalition von Liberalen
und Schntzzöllnern. Lord John Russell, der ihm folgte, verfügte zwar über
keine Mehrheit im Unterhause, hatte aber hinter sich eine eigne Partei, die
wenigstens dritthalbhundert Mitglieder zählte, und konnte auf die Unterstützung
Peels rechnen. Lord Hartington würde als Premierminister keine so große
Gefolgschaft liberaler Parteifreunde besitzen und von Tag zu Tag von dem
guten Willen der mächtigen konservativen Partei abhängig sein, welche fast die


Die englische Ministerkrisis.

trachte». Gewiß dagegen ist, daß sich unter den Politikern geringern Ranges,
welche unter der unionistischen Fahne marschiren, noch wenigstens zwanzig Radi¬
kale reinsten Wassers befinden. Was hätte also ein Übereinkommen Hartingtons
mit Salisbury zu bedeuten? Den Abfall derer, die im letzten Feldzuge seine
besten Gehilfen waren, und seinen Abzug ins Lager der Konservativen mit einem
Häuflein von etwa vierzig Getreuen. Das aber wäre durchaus kein Ergebnis,
welches hinreichte, um die Zerreißung des Bandes zu rechtfertigen, welches die
Uuionisten der verschiednen Schattirungen zusammenheilt. Schließlich ist an die
Wählerschaften zu denken. Es giebt in England viele Tausende von Liberalen,
welche bei den letzten Parlamentswahlen ihre Stimmzettel mit Namen von
Uuionisten als Gegnern der Losreißung Irlands in die Urne warfen, welche
diese Kandidaten aber gewiß nicht mehr unterstützen würden, wenn sie daran
dächten, nur den linken Flügel der Torypartei bilden zu helfen; und wenn auch
Hartington und andre dazu bereite Leute zum Ausgleich solcher Verluste kon¬
servative Voden zu hoffen hätten, so würden sie durch diesen Umstand für immer
an ihre alten Gegner gebunden sein.

Es scheint somit nur ein Ausgang der Krisis im Interesse der liberalen
Partei Englands wünschenswert, aber derselbe ist ebenfalls nahezu unmöglich.
Wenn Salisbury nicht imstande zu sein scheint, die Verwaltn»g im Geiste
der konservativen Partei fest und erfolgreich fortzuführen, und wenn Hartington
Chamberlain und Trevelhan, seine demokratischen Adjutanten, nicht verlassen
kann, so bleibt nur ein dritter Weg offen: die Bildung eines Kabinets, das
rein aus liberalen Univuisten zusammengesetzt ist. Es fehlt nicht an Männern
zur Ausfüllung der verschiedenen Posten, und es läßt sich aus den Partei¬
führern, welche an der Spitze des Widerstandes gegen die irischen Pläne Glad-
stones standen, ein recht ansehnliches Ministerium zusammensetzen. Leider aber
gebieten sie allesamt nnr über eine Gefolgschaft van etwa siebzig Mann, und
es ist keineswegs ganz sicher, daß sie sich bei den nächsten Wahlen alle der
Unterstützung ihrer letzten Wähler erfreuen werden. In der englischen Geschichte
aber findet sich kein Beispiel, daß jemand mit einer solchen Minorität gewagt
hätte, ein Ministerium zu übernehmen, selbst wenn er des Beistandes einer
andern Partei sicher gewesen wäre. Allerdings trat Robert Peel 1845 wieder
ins Amt, als sich unter den Konservativen, die ihm anhingen, nur etwa achtzig
zum Freihandel bekehrt hatten. Aber sein Ministerium dauerte auch nur etwas
mehr als fünf Monate und fiel vor den Angriffen einer Koalition von Liberalen
und Schntzzöllnern. Lord John Russell, der ihm folgte, verfügte zwar über
keine Mehrheit im Unterhause, hatte aber hinter sich eine eigne Partei, die
wenigstens dritthalbhundert Mitglieder zählte, und konnte auf die Unterstützung
Peels rechnen. Lord Hartington würde als Premierminister keine so große
Gefolgschaft liberaler Parteifreunde besitzen und von Tag zu Tag von dem
guten Willen der mächtigen konservativen Partei abhängig sein, welche fast die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200167"/>
          <fw type="header" place="top"> Die englische Ministerkrisis.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_181" prev="#ID_180"> trachte». Gewiß dagegen ist, daß sich unter den Politikern geringern Ranges,<lb/>
welche unter der unionistischen Fahne marschiren, noch wenigstens zwanzig Radi¬<lb/>
kale reinsten Wassers befinden. Was hätte also ein Übereinkommen Hartingtons<lb/>
mit Salisbury zu bedeuten? Den Abfall derer, die im letzten Feldzuge seine<lb/>
besten Gehilfen waren, und seinen Abzug ins Lager der Konservativen mit einem<lb/>
Häuflein von etwa vierzig Getreuen. Das aber wäre durchaus kein Ergebnis,<lb/>
welches hinreichte, um die Zerreißung des Bandes zu rechtfertigen, welches die<lb/>
Uuionisten der verschiednen Schattirungen zusammenheilt. Schließlich ist an die<lb/>
Wählerschaften zu denken. Es giebt in England viele Tausende von Liberalen,<lb/>
welche bei den letzten Parlamentswahlen ihre Stimmzettel mit Namen von<lb/>
Uuionisten als Gegnern der Losreißung Irlands in die Urne warfen, welche<lb/>
diese Kandidaten aber gewiß nicht mehr unterstützen würden, wenn sie daran<lb/>
dächten, nur den linken Flügel der Torypartei bilden zu helfen; und wenn auch<lb/>
Hartington und andre dazu bereite Leute zum Ausgleich solcher Verluste kon¬<lb/>
servative Voden zu hoffen hätten, so würden sie durch diesen Umstand für immer<lb/>
an ihre alten Gegner gebunden sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_182" next="#ID_183"> Es scheint somit nur ein Ausgang der Krisis im Interesse der liberalen<lb/>
Partei Englands wünschenswert, aber derselbe ist ebenfalls nahezu unmöglich.<lb/>
Wenn Salisbury nicht imstande zu sein scheint, die Verwaltn»g im Geiste<lb/>
der konservativen Partei fest und erfolgreich fortzuführen, und wenn Hartington<lb/>
Chamberlain und Trevelhan, seine demokratischen Adjutanten, nicht verlassen<lb/>
kann, so bleibt nur ein dritter Weg offen: die Bildung eines Kabinets, das<lb/>
rein aus liberalen Univuisten zusammengesetzt ist. Es fehlt nicht an Männern<lb/>
zur Ausfüllung der verschiedenen Posten, und es läßt sich aus den Partei¬<lb/>
führern, welche an der Spitze des Widerstandes gegen die irischen Pläne Glad-<lb/>
stones standen, ein recht ansehnliches Ministerium zusammensetzen. Leider aber<lb/>
gebieten sie allesamt nnr über eine Gefolgschaft van etwa siebzig Mann, und<lb/>
es ist keineswegs ganz sicher, daß sie sich bei den nächsten Wahlen alle der<lb/>
Unterstützung ihrer letzten Wähler erfreuen werden. In der englischen Geschichte<lb/>
aber findet sich kein Beispiel, daß jemand mit einer solchen Minorität gewagt<lb/>
hätte, ein Ministerium zu übernehmen, selbst wenn er des Beistandes einer<lb/>
andern Partei sicher gewesen wäre. Allerdings trat Robert Peel 1845 wieder<lb/>
ins Amt, als sich unter den Konservativen, die ihm anhingen, nur etwa achtzig<lb/>
zum Freihandel bekehrt hatten. Aber sein Ministerium dauerte auch nur etwas<lb/>
mehr als fünf Monate und fiel vor den Angriffen einer Koalition von Liberalen<lb/>
und Schntzzöllnern. Lord John Russell, der ihm folgte, verfügte zwar über<lb/>
keine Mehrheit im Unterhause, hatte aber hinter sich eine eigne Partei, die<lb/>
wenigstens dritthalbhundert Mitglieder zählte, und konnte auf die Unterstützung<lb/>
Peels rechnen. Lord Hartington würde als Premierminister keine so große<lb/>
Gefolgschaft liberaler Parteifreunde besitzen und von Tag zu Tag von dem<lb/>
guten Willen der mächtigen konservativen Partei abhängig sein, welche fast die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0062] Die englische Ministerkrisis. trachte». Gewiß dagegen ist, daß sich unter den Politikern geringern Ranges, welche unter der unionistischen Fahne marschiren, noch wenigstens zwanzig Radi¬ kale reinsten Wassers befinden. Was hätte also ein Übereinkommen Hartingtons mit Salisbury zu bedeuten? Den Abfall derer, die im letzten Feldzuge seine besten Gehilfen waren, und seinen Abzug ins Lager der Konservativen mit einem Häuflein von etwa vierzig Getreuen. Das aber wäre durchaus kein Ergebnis, welches hinreichte, um die Zerreißung des Bandes zu rechtfertigen, welches die Uuionisten der verschiednen Schattirungen zusammenheilt. Schließlich ist an die Wählerschaften zu denken. Es giebt in England viele Tausende von Liberalen, welche bei den letzten Parlamentswahlen ihre Stimmzettel mit Namen von Uuionisten als Gegnern der Losreißung Irlands in die Urne warfen, welche diese Kandidaten aber gewiß nicht mehr unterstützen würden, wenn sie daran dächten, nur den linken Flügel der Torypartei bilden zu helfen; und wenn auch Hartington und andre dazu bereite Leute zum Ausgleich solcher Verluste kon¬ servative Voden zu hoffen hätten, so würden sie durch diesen Umstand für immer an ihre alten Gegner gebunden sein. Es scheint somit nur ein Ausgang der Krisis im Interesse der liberalen Partei Englands wünschenswert, aber derselbe ist ebenfalls nahezu unmöglich. Wenn Salisbury nicht imstande zu sein scheint, die Verwaltn»g im Geiste der konservativen Partei fest und erfolgreich fortzuführen, und wenn Hartington Chamberlain und Trevelhan, seine demokratischen Adjutanten, nicht verlassen kann, so bleibt nur ein dritter Weg offen: die Bildung eines Kabinets, das rein aus liberalen Univuisten zusammengesetzt ist. Es fehlt nicht an Männern zur Ausfüllung der verschiedenen Posten, und es läßt sich aus den Partei¬ führern, welche an der Spitze des Widerstandes gegen die irischen Pläne Glad- stones standen, ein recht ansehnliches Ministerium zusammensetzen. Leider aber gebieten sie allesamt nnr über eine Gefolgschaft van etwa siebzig Mann, und es ist keineswegs ganz sicher, daß sie sich bei den nächsten Wahlen alle der Unterstützung ihrer letzten Wähler erfreuen werden. In der englischen Geschichte aber findet sich kein Beispiel, daß jemand mit einer solchen Minorität gewagt hätte, ein Ministerium zu übernehmen, selbst wenn er des Beistandes einer andern Partei sicher gewesen wäre. Allerdings trat Robert Peel 1845 wieder ins Amt, als sich unter den Konservativen, die ihm anhingen, nur etwa achtzig zum Freihandel bekehrt hatten. Aber sein Ministerium dauerte auch nur etwas mehr als fünf Monate und fiel vor den Angriffen einer Koalition von Liberalen und Schntzzöllnern. Lord John Russell, der ihm folgte, verfügte zwar über keine Mehrheit im Unterhause, hatte aber hinter sich eine eigne Partei, die wenigstens dritthalbhundert Mitglieder zählte, und konnte auf die Unterstützung Peels rechnen. Lord Hartington würde als Premierminister keine so große Gefolgschaft liberaler Parteifreunde besitzen und von Tag zu Tag von dem guten Willen der mächtigen konservativen Partei abhängig sein, welche fast die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/62
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/62>, abgerufen am 01.10.2024.