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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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der Vater regelmäßig von einem Einwohner des Dorfes beschenkt, dessen, wenn
ich nicht irre, einziger Sohn schon vor vielen Jahren als Missionär in die
weite Welt gegangen war.

Dieser alte, schlichte Mann namens Byhain besuchte uns häufig, weil er
dem Vater allerhand Anliegen vorzutragen hatte, und wir Kinder sahen ihn
gern kommen, obwohl er als Person kein Interesse für uns haben konnte, da
er meistenteils sehr salbungsvoll und nicht selten mit weinerlicher Stimme sprach.
Was sein Erscheinen uns zum Feste machte, waren die gewöhnlich sehr langen
Briefe von seinem fernen Sohne, die er mitbrachte, damit der Vater sie ihm
laut vorlese und später in seinem Namen beantworte; denn der gute Alte, der
selten die Grenze seines Geburtsortes überschritten hatte, war weder des Lesens
noch des Schreibens kundig. Sein Sohn, der in jungen Jahren als Hand¬
werker in dem nahen Herrnhut Arbeit gefunden hatte, fand Gefallen an dem
stillen, gottesfürchtigen Leben der Brüder und schloß sich ihnen innigst an. Der
junge Mann wurde sehr bald ein eifriges Mitglied der Gemeinde und gab den
Vorstehern derselben den Wunsch zu erkennen, als Missionär unter die Heiden
zu gehen. Das von ihm gezogene Loos wies ihm als zukünftigen Wirkungs¬
kreis Surinam an. Dort, in oder bei Paramaribo, lebte er seitdem und sendete
seinem greisen Vater, der ganz allein in der Welt stand, regelmäßig drei- bis
viermal des Jahres ausführliche Berichte über fein Leben und Wirken.

Dem Vorlesen der Briefe dieses Heidenbckehrers lauschte ich stets mit
trunkenem Ohr, obwohl sie vieles enthielten, das für Knaben meines Alters
keinen Reiz haben konnte. Mich fesselte das ferne Land mit seiner tropischen
Vegetation, den halbwilden Einwohnern, die von einem Sohne unsers Ortes
dem Christenglauben gewonnen wurden, und der unbekannte Missionär, der in
dem heißen, ungesunden Klima endloses Ungemach erdulden mußte und dennoch
in jedem Briefe Gottes Gnade und Liebe pries, erschien mir fast wie ein Hei¬
liger. Kein Wunder, daß ich einen unwiderstehlichen Drang in mir erwachen
fühlte, wenn nicht Ähnliches selbst zu erleben, so doch möglichst viel Missions¬
berichte zu lesen.

Der Vater wehrte mir nicht, da er gewahrte, daß diese Beschäftigung
wesentlich dazu beitrug, mir die Geographie angenehm zu machen. Ohnehin
überschlug ich alles, was mich nicht anzog, indem ich mir nur das allgemein
Interessante zu eigen zu machen suchte. Immerhin blieb das Bekanntwerden
mit den Bestrebungen der Missionäre, in die ich durch die Briefe jenes Heiden-
bekehrers in Surinam oberflächlich eingeweiht wurde, nicht ganz ohne Rück¬
wirkung- Zunächst äußerte ich den Wunsch, Herrnhut, die Stätte, wo man
solche Männer zu modernen Aposteln ausbildete, und das Leben in diesem
Brüderorte kennen zu lernen. Der Name des Ortes ward oft genannt, denn
sehr viele unsrer Lohnweber arbeiteten für dortige Handlungshäuser, die weit¬
reichende überseeische Verbindungen hatten. Man hörte von den "Brüdern,"


Grenzboten I. 1887. 77

der Vater regelmäßig von einem Einwohner des Dorfes beschenkt, dessen, wenn
ich nicht irre, einziger Sohn schon vor vielen Jahren als Missionär in die
weite Welt gegangen war.

Dieser alte, schlichte Mann namens Byhain besuchte uns häufig, weil er
dem Vater allerhand Anliegen vorzutragen hatte, und wir Kinder sahen ihn
gern kommen, obwohl er als Person kein Interesse für uns haben konnte, da
er meistenteils sehr salbungsvoll und nicht selten mit weinerlicher Stimme sprach.
Was sein Erscheinen uns zum Feste machte, waren die gewöhnlich sehr langen
Briefe von seinem fernen Sohne, die er mitbrachte, damit der Vater sie ihm
laut vorlese und später in seinem Namen beantworte; denn der gute Alte, der
selten die Grenze seines Geburtsortes überschritten hatte, war weder des Lesens
noch des Schreibens kundig. Sein Sohn, der in jungen Jahren als Hand¬
werker in dem nahen Herrnhut Arbeit gefunden hatte, fand Gefallen an dem
stillen, gottesfürchtigen Leben der Brüder und schloß sich ihnen innigst an. Der
junge Mann wurde sehr bald ein eifriges Mitglied der Gemeinde und gab den
Vorstehern derselben den Wunsch zu erkennen, als Missionär unter die Heiden
zu gehen. Das von ihm gezogene Loos wies ihm als zukünftigen Wirkungs¬
kreis Surinam an. Dort, in oder bei Paramaribo, lebte er seitdem und sendete
seinem greisen Vater, der ganz allein in der Welt stand, regelmäßig drei- bis
viermal des Jahres ausführliche Berichte über fein Leben und Wirken.

Dem Vorlesen der Briefe dieses Heidenbckehrers lauschte ich stets mit
trunkenem Ohr, obwohl sie vieles enthielten, das für Knaben meines Alters
keinen Reiz haben konnte. Mich fesselte das ferne Land mit seiner tropischen
Vegetation, den halbwilden Einwohnern, die von einem Sohne unsers Ortes
dem Christenglauben gewonnen wurden, und der unbekannte Missionär, der in
dem heißen, ungesunden Klima endloses Ungemach erdulden mußte und dennoch
in jedem Briefe Gottes Gnade und Liebe pries, erschien mir fast wie ein Hei¬
liger. Kein Wunder, daß ich einen unwiderstehlichen Drang in mir erwachen
fühlte, wenn nicht Ähnliches selbst zu erleben, so doch möglichst viel Missions¬
berichte zu lesen.

Der Vater wehrte mir nicht, da er gewahrte, daß diese Beschäftigung
wesentlich dazu beitrug, mir die Geographie angenehm zu machen. Ohnehin
überschlug ich alles, was mich nicht anzog, indem ich mir nur das allgemein
Interessante zu eigen zu machen suchte. Immerhin blieb das Bekanntwerden
mit den Bestrebungen der Missionäre, in die ich durch die Briefe jenes Heiden-
bekehrers in Surinam oberflächlich eingeweiht wurde, nicht ganz ohne Rück¬
wirkung- Zunächst äußerte ich den Wunsch, Herrnhut, die Stätte, wo man
solche Männer zu modernen Aposteln ausbildete, und das Leben in diesem
Brüderorte kennen zu lernen. Der Name des Ortes ward oft genannt, denn
sehr viele unsrer Lohnweber arbeiteten für dortige Handlungshäuser, die weit¬
reichende überseeische Verbindungen hatten. Man hörte von den „Brüdern,"


Grenzboten I. 1887. 77
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[0617] der Vater regelmäßig von einem Einwohner des Dorfes beschenkt, dessen, wenn ich nicht irre, einziger Sohn schon vor vielen Jahren als Missionär in die weite Welt gegangen war. Dieser alte, schlichte Mann namens Byhain besuchte uns häufig, weil er dem Vater allerhand Anliegen vorzutragen hatte, und wir Kinder sahen ihn gern kommen, obwohl er als Person kein Interesse für uns haben konnte, da er meistenteils sehr salbungsvoll und nicht selten mit weinerlicher Stimme sprach. Was sein Erscheinen uns zum Feste machte, waren die gewöhnlich sehr langen Briefe von seinem fernen Sohne, die er mitbrachte, damit der Vater sie ihm laut vorlese und später in seinem Namen beantworte; denn der gute Alte, der selten die Grenze seines Geburtsortes überschritten hatte, war weder des Lesens noch des Schreibens kundig. Sein Sohn, der in jungen Jahren als Hand¬ werker in dem nahen Herrnhut Arbeit gefunden hatte, fand Gefallen an dem stillen, gottesfürchtigen Leben der Brüder und schloß sich ihnen innigst an. Der junge Mann wurde sehr bald ein eifriges Mitglied der Gemeinde und gab den Vorstehern derselben den Wunsch zu erkennen, als Missionär unter die Heiden zu gehen. Das von ihm gezogene Loos wies ihm als zukünftigen Wirkungs¬ kreis Surinam an. Dort, in oder bei Paramaribo, lebte er seitdem und sendete seinem greisen Vater, der ganz allein in der Welt stand, regelmäßig drei- bis viermal des Jahres ausführliche Berichte über fein Leben und Wirken. Dem Vorlesen der Briefe dieses Heidenbckehrers lauschte ich stets mit trunkenem Ohr, obwohl sie vieles enthielten, das für Knaben meines Alters keinen Reiz haben konnte. Mich fesselte das ferne Land mit seiner tropischen Vegetation, den halbwilden Einwohnern, die von einem Sohne unsers Ortes dem Christenglauben gewonnen wurden, und der unbekannte Missionär, der in dem heißen, ungesunden Klima endloses Ungemach erdulden mußte und dennoch in jedem Briefe Gottes Gnade und Liebe pries, erschien mir fast wie ein Hei¬ liger. Kein Wunder, daß ich einen unwiderstehlichen Drang in mir erwachen fühlte, wenn nicht Ähnliches selbst zu erleben, so doch möglichst viel Missions¬ berichte zu lesen. Der Vater wehrte mir nicht, da er gewahrte, daß diese Beschäftigung wesentlich dazu beitrug, mir die Geographie angenehm zu machen. Ohnehin überschlug ich alles, was mich nicht anzog, indem ich mir nur das allgemein Interessante zu eigen zu machen suchte. Immerhin blieb das Bekanntwerden mit den Bestrebungen der Missionäre, in die ich durch die Briefe jenes Heiden- bekehrers in Surinam oberflächlich eingeweiht wurde, nicht ganz ohne Rück¬ wirkung- Zunächst äußerte ich den Wunsch, Herrnhut, die Stätte, wo man solche Männer zu modernen Aposteln ausbildete, und das Leben in diesem Brüderorte kennen zu lernen. Der Name des Ortes ward oft genannt, denn sehr viele unsrer Lohnweber arbeiteten für dortige Handlungshäuser, die weit¬ reichende überseeische Verbindungen hatten. Man hörte von den „Brüdern," Grenzboten I. 1887. 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/617>, abgerufen am 23.12.2024.