Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Jugenderinnerungen.

Wie sie im gewöhnlichen Leben hießen, im ganzen nur Gutes sprechen, wenn
es auch Einzelne gab, denen das auffällig frömmelnde Wesen derselben nicht
gesiel. Sie galten im Handel und Wandel für höchst zuverlässig und ihre
Waaren für besser gearbeitet als die andrer Gewerbtreibenden. Es war jeder¬
mann bekannt, daß Herrnhuter niemals vorschlugen und daß sie sich beleidigt
fühlten, wenn ein Käufer zu feilschen suchte. Der Vater teilte diese im Volke
geltende Ansicht von der großen Redlichkeit und Gediegenheit der Herrnhuter,
weshalb er selbst gern von ihnen kaufte, obwohl ihre Waaren nicht selten um
ein Geringes teurer waren als andre.

Das Sektenwesen, das sich später innerhalb der evangelisch-lutherischen
Kirche so widerwärtig breit machte und höchst bedenkliche Schößlinge trieb, be¬
stand in meiner Jugend nicht. Die Menge hielt fest an der festen Überlieferung.
Dies hielt jedoch vereinzelte Glieder der Gemeinde nicht ab, die eine oder andre
Lehre strenger aufzufassen. Für solche nun lag in den Lehren der Brüder¬
gemeinde eine schwer zu widerstehende Verlockung, von der sich im Leben hart
geprüfte gern gefangen nehmen ließen. Solcher Persönlichkeiten gab es eines in
der Gemeinde des Vaters verschiedne. Ohne den Schoß der Kirche zu verlassen,
schlössen sie sich den "Brüdern" an, wohnten, so oft sie konnten, den schlichten
Gottesdiensten derselben bei, teilten Wohl auch gelegentlich ein "Liebesmahl"
mit ihnen und ahmten im Äußern, in Tracht und Sprechweise, herrnhutisches
Wesen nach.

Mein Vater, der auf streng lutherischem Standpunkte wenigstens als Lehrer
und Prediger stand, war allem Sektcnwesen abhold, für das Herrnhutertum
aber hatte auch er wie die Mehrzahl seiner Amtsgenossen eine unleugbare Vor¬
liebe. Er vertrug sich deshalb mit jenen herrnhutisch gefärbten Gemeinde-
gliedern gut und kam auch mit wirklichen Brüdern dann und wann zusammen.
Altem Herkommen gemäß wurde alljährlich einmal eine allgemeine evangelische
Predigerkonferenz in Herrnhut gehalten, zu welcher von dem Bischof der Brüder¬
gemeinde jeder einzelne Prediger in weitem Umkreise durch Rundschreiben einge¬
laden wurde. Diese Konferenzen besuchte mein Vater, wenn es seine Amtsgeschäfte
irgend erlaubten, regelmäßig, und da sie in die schönste Jahreszeit fielen und
sich damit eine gesunde Bewegung in freier Luft verknüpfen ließ, so durften
mein älterer Bruder und ich ihn nach Herruhut begleiten und sogar im Hinter¬
grunde des Versammlnngssaales der Konferenz beiwohnen.

Zu diesen Besprechungen mochten sich an protestantischen Geistlichen etwa
hundert, einmal mehr, einmal weniger, einfinden, die in dem Gasthause des
Brüdcrortes Unterkunft suchten und fanden. Unter dieser Schar Pastoren,
aus deutschen und wendischen Dörfern, gab es nicht wenig originelle Figuren,
die mir noch heute lebhaft vor der Seele steheu. Gar mancher trug noch einen
ins Fuchsrote schimmernden, alten, abgerissenen Dreispitz und die meisten kurze
Kniehosen, an welche zu größerer Zierde die schlcchtgearbeiteten, um dünne


Jugenderinnerungen.

Wie sie im gewöhnlichen Leben hießen, im ganzen nur Gutes sprechen, wenn
es auch Einzelne gab, denen das auffällig frömmelnde Wesen derselben nicht
gesiel. Sie galten im Handel und Wandel für höchst zuverlässig und ihre
Waaren für besser gearbeitet als die andrer Gewerbtreibenden. Es war jeder¬
mann bekannt, daß Herrnhuter niemals vorschlugen und daß sie sich beleidigt
fühlten, wenn ein Käufer zu feilschen suchte. Der Vater teilte diese im Volke
geltende Ansicht von der großen Redlichkeit und Gediegenheit der Herrnhuter,
weshalb er selbst gern von ihnen kaufte, obwohl ihre Waaren nicht selten um
ein Geringes teurer waren als andre.

Das Sektenwesen, das sich später innerhalb der evangelisch-lutherischen
Kirche so widerwärtig breit machte und höchst bedenkliche Schößlinge trieb, be¬
stand in meiner Jugend nicht. Die Menge hielt fest an der festen Überlieferung.
Dies hielt jedoch vereinzelte Glieder der Gemeinde nicht ab, die eine oder andre
Lehre strenger aufzufassen. Für solche nun lag in den Lehren der Brüder¬
gemeinde eine schwer zu widerstehende Verlockung, von der sich im Leben hart
geprüfte gern gefangen nehmen ließen. Solcher Persönlichkeiten gab es eines in
der Gemeinde des Vaters verschiedne. Ohne den Schoß der Kirche zu verlassen,
schlössen sie sich den „Brüdern" an, wohnten, so oft sie konnten, den schlichten
Gottesdiensten derselben bei, teilten Wohl auch gelegentlich ein „Liebesmahl"
mit ihnen und ahmten im Äußern, in Tracht und Sprechweise, herrnhutisches
Wesen nach.

Mein Vater, der auf streng lutherischem Standpunkte wenigstens als Lehrer
und Prediger stand, war allem Sektcnwesen abhold, für das Herrnhutertum
aber hatte auch er wie die Mehrzahl seiner Amtsgenossen eine unleugbare Vor¬
liebe. Er vertrug sich deshalb mit jenen herrnhutisch gefärbten Gemeinde-
gliedern gut und kam auch mit wirklichen Brüdern dann und wann zusammen.
Altem Herkommen gemäß wurde alljährlich einmal eine allgemeine evangelische
Predigerkonferenz in Herrnhut gehalten, zu welcher von dem Bischof der Brüder¬
gemeinde jeder einzelne Prediger in weitem Umkreise durch Rundschreiben einge¬
laden wurde. Diese Konferenzen besuchte mein Vater, wenn es seine Amtsgeschäfte
irgend erlaubten, regelmäßig, und da sie in die schönste Jahreszeit fielen und
sich damit eine gesunde Bewegung in freier Luft verknüpfen ließ, so durften
mein älterer Bruder und ich ihn nach Herruhut begleiten und sogar im Hinter¬
grunde des Versammlnngssaales der Konferenz beiwohnen.

Zu diesen Besprechungen mochten sich an protestantischen Geistlichen etwa
hundert, einmal mehr, einmal weniger, einfinden, die in dem Gasthause des
Brüdcrortes Unterkunft suchten und fanden. Unter dieser Schar Pastoren,
aus deutschen und wendischen Dörfern, gab es nicht wenig originelle Figuren,
die mir noch heute lebhaft vor der Seele steheu. Gar mancher trug noch einen
ins Fuchsrote schimmernden, alten, abgerissenen Dreispitz und die meisten kurze
Kniehosen, an welche zu größerer Zierde die schlcchtgearbeiteten, um dünne


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0618" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200723"/>
            <fw type="header" place="top"> Jugenderinnerungen.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1939" prev="#ID_1938"> Wie sie im gewöhnlichen Leben hießen, im ganzen nur Gutes sprechen, wenn<lb/>
es auch Einzelne gab, denen das auffällig frömmelnde Wesen derselben nicht<lb/>
gesiel. Sie galten im Handel und Wandel für höchst zuverlässig und ihre<lb/>
Waaren für besser gearbeitet als die andrer Gewerbtreibenden. Es war jeder¬<lb/>
mann bekannt, daß Herrnhuter niemals vorschlugen und daß sie sich beleidigt<lb/>
fühlten, wenn ein Käufer zu feilschen suchte. Der Vater teilte diese im Volke<lb/>
geltende Ansicht von der großen Redlichkeit und Gediegenheit der Herrnhuter,<lb/>
weshalb er selbst gern von ihnen kaufte, obwohl ihre Waaren nicht selten um<lb/>
ein Geringes teurer waren als andre.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1940"> Das Sektenwesen, das sich später innerhalb der evangelisch-lutherischen<lb/>
Kirche so widerwärtig breit machte und höchst bedenkliche Schößlinge trieb, be¬<lb/>
stand in meiner Jugend nicht. Die Menge hielt fest an der festen Überlieferung.<lb/>
Dies hielt jedoch vereinzelte Glieder der Gemeinde nicht ab, die eine oder andre<lb/>
Lehre strenger aufzufassen. Für solche nun lag in den Lehren der Brüder¬<lb/>
gemeinde eine schwer zu widerstehende Verlockung, von der sich im Leben hart<lb/>
geprüfte gern gefangen nehmen ließen. Solcher Persönlichkeiten gab es eines in<lb/>
der Gemeinde des Vaters verschiedne. Ohne den Schoß der Kirche zu verlassen,<lb/>
schlössen sie sich den &#x201E;Brüdern" an, wohnten, so oft sie konnten, den schlichten<lb/>
Gottesdiensten derselben bei, teilten Wohl auch gelegentlich ein &#x201E;Liebesmahl"<lb/>
mit ihnen und ahmten im Äußern, in Tracht und Sprechweise, herrnhutisches<lb/>
Wesen nach.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1941"> Mein Vater, der auf streng lutherischem Standpunkte wenigstens als Lehrer<lb/>
und Prediger stand, war allem Sektcnwesen abhold, für das Herrnhutertum<lb/>
aber hatte auch er wie die Mehrzahl seiner Amtsgenossen eine unleugbare Vor¬<lb/>
liebe. Er vertrug sich deshalb mit jenen herrnhutisch gefärbten Gemeinde-<lb/>
gliedern gut und kam auch mit wirklichen Brüdern dann und wann zusammen.<lb/>
Altem Herkommen gemäß wurde alljährlich einmal eine allgemeine evangelische<lb/>
Predigerkonferenz in Herrnhut gehalten, zu welcher von dem Bischof der Brüder¬<lb/>
gemeinde jeder einzelne Prediger in weitem Umkreise durch Rundschreiben einge¬<lb/>
laden wurde. Diese Konferenzen besuchte mein Vater, wenn es seine Amtsgeschäfte<lb/>
irgend erlaubten, regelmäßig, und da sie in die schönste Jahreszeit fielen und<lb/>
sich damit eine gesunde Bewegung in freier Luft verknüpfen ließ, so durften<lb/>
mein älterer Bruder und ich ihn nach Herruhut begleiten und sogar im Hinter¬<lb/>
grunde des Versammlnngssaales der Konferenz beiwohnen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1942" next="#ID_1943"> Zu diesen Besprechungen mochten sich an protestantischen Geistlichen etwa<lb/>
hundert, einmal mehr, einmal weniger, einfinden, die in dem Gasthause des<lb/>
Brüdcrortes Unterkunft suchten und fanden. Unter dieser Schar Pastoren,<lb/>
aus deutschen und wendischen Dörfern, gab es nicht wenig originelle Figuren,<lb/>
die mir noch heute lebhaft vor der Seele steheu. Gar mancher trug noch einen<lb/>
ins Fuchsrote schimmernden, alten, abgerissenen Dreispitz und die meisten kurze<lb/>
Kniehosen, an welche zu größerer Zierde die schlcchtgearbeiteten, um dünne</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0618] Jugenderinnerungen. Wie sie im gewöhnlichen Leben hießen, im ganzen nur Gutes sprechen, wenn es auch Einzelne gab, denen das auffällig frömmelnde Wesen derselben nicht gesiel. Sie galten im Handel und Wandel für höchst zuverlässig und ihre Waaren für besser gearbeitet als die andrer Gewerbtreibenden. Es war jeder¬ mann bekannt, daß Herrnhuter niemals vorschlugen und daß sie sich beleidigt fühlten, wenn ein Käufer zu feilschen suchte. Der Vater teilte diese im Volke geltende Ansicht von der großen Redlichkeit und Gediegenheit der Herrnhuter, weshalb er selbst gern von ihnen kaufte, obwohl ihre Waaren nicht selten um ein Geringes teurer waren als andre. Das Sektenwesen, das sich später innerhalb der evangelisch-lutherischen Kirche so widerwärtig breit machte und höchst bedenkliche Schößlinge trieb, be¬ stand in meiner Jugend nicht. Die Menge hielt fest an der festen Überlieferung. Dies hielt jedoch vereinzelte Glieder der Gemeinde nicht ab, die eine oder andre Lehre strenger aufzufassen. Für solche nun lag in den Lehren der Brüder¬ gemeinde eine schwer zu widerstehende Verlockung, von der sich im Leben hart geprüfte gern gefangen nehmen ließen. Solcher Persönlichkeiten gab es eines in der Gemeinde des Vaters verschiedne. Ohne den Schoß der Kirche zu verlassen, schlössen sie sich den „Brüdern" an, wohnten, so oft sie konnten, den schlichten Gottesdiensten derselben bei, teilten Wohl auch gelegentlich ein „Liebesmahl" mit ihnen und ahmten im Äußern, in Tracht und Sprechweise, herrnhutisches Wesen nach. Mein Vater, der auf streng lutherischem Standpunkte wenigstens als Lehrer und Prediger stand, war allem Sektcnwesen abhold, für das Herrnhutertum aber hatte auch er wie die Mehrzahl seiner Amtsgenossen eine unleugbare Vor¬ liebe. Er vertrug sich deshalb mit jenen herrnhutisch gefärbten Gemeinde- gliedern gut und kam auch mit wirklichen Brüdern dann und wann zusammen. Altem Herkommen gemäß wurde alljährlich einmal eine allgemeine evangelische Predigerkonferenz in Herrnhut gehalten, zu welcher von dem Bischof der Brüder¬ gemeinde jeder einzelne Prediger in weitem Umkreise durch Rundschreiben einge¬ laden wurde. Diese Konferenzen besuchte mein Vater, wenn es seine Amtsgeschäfte irgend erlaubten, regelmäßig, und da sie in die schönste Jahreszeit fielen und sich damit eine gesunde Bewegung in freier Luft verknüpfen ließ, so durften mein älterer Bruder und ich ihn nach Herruhut begleiten und sogar im Hinter¬ grunde des Versammlnngssaales der Konferenz beiwohnen. Zu diesen Besprechungen mochten sich an protestantischen Geistlichen etwa hundert, einmal mehr, einmal weniger, einfinden, die in dem Gasthause des Brüdcrortes Unterkunft suchten und fanden. Unter dieser Schar Pastoren, aus deutschen und wendischen Dörfern, gab es nicht wenig originelle Figuren, die mir noch heute lebhaft vor der Seele steheu. Gar mancher trug noch einen ins Fuchsrote schimmernden, alten, abgerissenen Dreispitz und die meisten kurze Kniehosen, an welche zu größerer Zierde die schlcchtgearbeiteten, um dünne

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/618
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/618>, abgerufen am 22.12.2024.