Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Briefe von Robert Schumann.

der Klara Novello, 1838, die Stelle über Mendelssohns Lobgesang im Bericht
über das Gutenbergfest 1840, einzelne Sätze über Berlioz 1835; außerdem
sind noch manche kürzere Aphorismen und Kritiken von Erker unbemerkt ge¬
blieben, Dagegen werden zwei Aufsätze Schumann mit Unrecht zugeschrieben.
Der eine über Czerny ist von Wieck verfaßt; den Davidsbündlerbrief aus dem
Norden, 1836, möchte ich aus äußern und innern Gründen für eine Arbeit
K. Bancks halten. Eine Kritik über Dr. Gustav Schillings "Polyphonomos,"
vom 8. Jcmncir 1841, soll nach Erkers Angabe von C. F. Becker verfaßt sein.
Auch das ist nicht richtig. Übrigens wurde Schumann wegen dieser in seiner
Zeitschrift erschienenen Kritik von Schilling verklagt und mußte eine Geldbuße
von fünf Thalern bezahlen. Daß Schumann auch für andre Zeitschriften thätig
gewesen ist, namentlich für Herloßsvhns "Kometen" und dessen Damen-Konver-
satious-Lexikon, sowie für die "Allgemeine Zeitung" von Brockhaus, war bereits
bekannt. Erker teilt einzelne Aufsätze daraus mit.

Mancherlei Nachrichten hat Erker von Zeitgenossen Schumanns gesammelt.
Sehr hübsch ist, was E. Naumann über die Ausflüge des Dresdener Chorvereins
nach Pillnitz und Meißen erzählt. Bei der Rückfahrt aus Meißen ließ sich
Schumann das Lied "Mich zieht es nach dem Dörfchen hin" noch einmal
vorsingen. Als elfjähriger Knabe brauchte Schumann für eine Aufführung in
Zwickau einen guten Flügel. Zu dem Besitzer eines solchen, dem Kandidaten
Schiffner in Glauchau, wandert er wohlgemut und bittet um Überlassung
des Instruments. Schiffner kennt! ihn nicht, erfüllt ihm aber seine Bitte,
nachdem der Knabe auf Verlangen eine Sonate vorgespielt und einen Druck¬
fehler sofort erkannt und beim Spiel verbessert hat. Schmerzlich zu lesen ist
die ausführliche Krankengeschichte von 1854--56 und Klaus Groths Bericht
über Schumanns Begräbnis. Über die Leichenfeier für Ludwig Schurke berichtet
Erker ebenfalls, zum Teil mit Schumanns eignen Worten. Man sieht daraus,
wie nahe Schumann der Verlust dieses Freundes gegangen ist. Schurke ist
durch den Nachruf in den "Gesammelten Schriften" allen Schumannfreunden
bekannt, ebenso Henriette Voigt, die früh dahingeschiedene. In dem Nachrufe
an sie führt Schumann vier Distichen aus einem Gedichte an, welches sie auf
den Tod ihres Lehrers Ludwig Berger verfaßt hatte. Erker bringt das ganze
Gedicht mit der Bemerkung, daß das Zitat bei Schumann eine abweichende
Form habe. Die Abweichungen bestehen darin, daß Schumann mit zarter
Rücksicht die metrischen Fehler verbessert hat, welche namentlich in den Penta¬
metern vorkommen. Einen Aufsatz vou Louis Estere, den wir bei Besprechung
der Jcmsenschen Sammlung in Ur. 48 des vorigen Jahrganges rühmend erwähnt
haben, hat Erker abgedruckt. Das ist nur zu billigen, aber warum Hcmslicks
kühles Urteil über die "Genoveva" den Lesern aufgetischt worden ist, warum
ferner Schumanns Weissagung über Brahms eine kritische Zerpflückung durch
Erker hat erdulden müssen, ist unbegreiflich.


Grenzboten I. 1887. 76
Neue Briefe von Robert Schumann.

der Klara Novello, 1838, die Stelle über Mendelssohns Lobgesang im Bericht
über das Gutenbergfest 1840, einzelne Sätze über Berlioz 1835; außerdem
sind noch manche kürzere Aphorismen und Kritiken von Erker unbemerkt ge¬
blieben, Dagegen werden zwei Aufsätze Schumann mit Unrecht zugeschrieben.
Der eine über Czerny ist von Wieck verfaßt; den Davidsbündlerbrief aus dem
Norden, 1836, möchte ich aus äußern und innern Gründen für eine Arbeit
K. Bancks halten. Eine Kritik über Dr. Gustav Schillings „Polyphonomos,"
vom 8. Jcmncir 1841, soll nach Erkers Angabe von C. F. Becker verfaßt sein.
Auch das ist nicht richtig. Übrigens wurde Schumann wegen dieser in seiner
Zeitschrift erschienenen Kritik von Schilling verklagt und mußte eine Geldbuße
von fünf Thalern bezahlen. Daß Schumann auch für andre Zeitschriften thätig
gewesen ist, namentlich für Herloßsvhns „Kometen" und dessen Damen-Konver-
satious-Lexikon, sowie für die „Allgemeine Zeitung" von Brockhaus, war bereits
bekannt. Erker teilt einzelne Aufsätze daraus mit.

Mancherlei Nachrichten hat Erker von Zeitgenossen Schumanns gesammelt.
Sehr hübsch ist, was E. Naumann über die Ausflüge des Dresdener Chorvereins
nach Pillnitz und Meißen erzählt. Bei der Rückfahrt aus Meißen ließ sich
Schumann das Lied „Mich zieht es nach dem Dörfchen hin" noch einmal
vorsingen. Als elfjähriger Knabe brauchte Schumann für eine Aufführung in
Zwickau einen guten Flügel. Zu dem Besitzer eines solchen, dem Kandidaten
Schiffner in Glauchau, wandert er wohlgemut und bittet um Überlassung
des Instruments. Schiffner kennt! ihn nicht, erfüllt ihm aber seine Bitte,
nachdem der Knabe auf Verlangen eine Sonate vorgespielt und einen Druck¬
fehler sofort erkannt und beim Spiel verbessert hat. Schmerzlich zu lesen ist
die ausführliche Krankengeschichte von 1854—56 und Klaus Groths Bericht
über Schumanns Begräbnis. Über die Leichenfeier für Ludwig Schurke berichtet
Erker ebenfalls, zum Teil mit Schumanns eignen Worten. Man sieht daraus,
wie nahe Schumann der Verlust dieses Freundes gegangen ist. Schurke ist
durch den Nachruf in den „Gesammelten Schriften" allen Schumannfreunden
bekannt, ebenso Henriette Voigt, die früh dahingeschiedene. In dem Nachrufe
an sie führt Schumann vier Distichen aus einem Gedichte an, welches sie auf
den Tod ihres Lehrers Ludwig Berger verfaßt hatte. Erker bringt das ganze
Gedicht mit der Bemerkung, daß das Zitat bei Schumann eine abweichende
Form habe. Die Abweichungen bestehen darin, daß Schumann mit zarter
Rücksicht die metrischen Fehler verbessert hat, welche namentlich in den Penta¬
metern vorkommen. Einen Aufsatz vou Louis Estere, den wir bei Besprechung
der Jcmsenschen Sammlung in Ur. 48 des vorigen Jahrganges rühmend erwähnt
haben, hat Erker abgedruckt. Das ist nur zu billigen, aber warum Hcmslicks
kühles Urteil über die „Genoveva" den Lesern aufgetischt worden ist, warum
ferner Schumanns Weissagung über Brahms eine kritische Zerpflückung durch
Erker hat erdulden müssen, ist unbegreiflich.


Grenzboten I. 1887. 76
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0609" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200714"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Briefe von Robert Schumann.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1914" prev="#ID_1913"> der Klara Novello, 1838, die Stelle über Mendelssohns Lobgesang im Bericht<lb/>
über das Gutenbergfest 1840, einzelne Sätze über Berlioz 1835; außerdem<lb/>
sind noch manche kürzere Aphorismen und Kritiken von Erker unbemerkt ge¬<lb/>
blieben, Dagegen werden zwei Aufsätze Schumann mit Unrecht zugeschrieben.<lb/>
Der eine über Czerny ist von Wieck verfaßt; den Davidsbündlerbrief aus dem<lb/>
Norden, 1836, möchte ich aus äußern und innern Gründen für eine Arbeit<lb/>
K. Bancks halten. Eine Kritik über Dr. Gustav Schillings &#x201E;Polyphonomos,"<lb/>
vom 8. Jcmncir 1841, soll nach Erkers Angabe von C. F. Becker verfaßt sein.<lb/>
Auch das ist nicht richtig. Übrigens wurde Schumann wegen dieser in seiner<lb/>
Zeitschrift erschienenen Kritik von Schilling verklagt und mußte eine Geldbuße<lb/>
von fünf Thalern bezahlen. Daß Schumann auch für andre Zeitschriften thätig<lb/>
gewesen ist, namentlich für Herloßsvhns &#x201E;Kometen" und dessen Damen-Konver-<lb/>
satious-Lexikon, sowie für die &#x201E;Allgemeine Zeitung" von Brockhaus, war bereits<lb/>
bekannt.  Erker teilt einzelne Aufsätze daraus mit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1915"> Mancherlei Nachrichten hat Erker von Zeitgenossen Schumanns gesammelt.<lb/>
Sehr hübsch ist, was E. Naumann über die Ausflüge des Dresdener Chorvereins<lb/>
nach Pillnitz und Meißen erzählt. Bei der Rückfahrt aus Meißen ließ sich<lb/>
Schumann das Lied &#x201E;Mich zieht es nach dem Dörfchen hin" noch einmal<lb/>
vorsingen. Als elfjähriger Knabe brauchte Schumann für eine Aufführung in<lb/>
Zwickau einen guten Flügel. Zu dem Besitzer eines solchen, dem Kandidaten<lb/>
Schiffner in Glauchau, wandert er wohlgemut und bittet um Überlassung<lb/>
des Instruments. Schiffner kennt! ihn nicht, erfüllt ihm aber seine Bitte,<lb/>
nachdem der Knabe auf Verlangen eine Sonate vorgespielt und einen Druck¬<lb/>
fehler sofort erkannt und beim Spiel verbessert hat. Schmerzlich zu lesen ist<lb/>
die ausführliche Krankengeschichte von 1854&#x2014;56 und Klaus Groths Bericht<lb/>
über Schumanns Begräbnis. Über die Leichenfeier für Ludwig Schurke berichtet<lb/>
Erker ebenfalls, zum Teil mit Schumanns eignen Worten. Man sieht daraus,<lb/>
wie nahe Schumann der Verlust dieses Freundes gegangen ist. Schurke ist<lb/>
durch den Nachruf in den &#x201E;Gesammelten Schriften" allen Schumannfreunden<lb/>
bekannt, ebenso Henriette Voigt, die früh dahingeschiedene. In dem Nachrufe<lb/>
an sie führt Schumann vier Distichen aus einem Gedichte an, welches sie auf<lb/>
den Tod ihres Lehrers Ludwig Berger verfaßt hatte. Erker bringt das ganze<lb/>
Gedicht mit der Bemerkung, daß das Zitat bei Schumann eine abweichende<lb/>
Form habe. Die Abweichungen bestehen darin, daß Schumann mit zarter<lb/>
Rücksicht die metrischen Fehler verbessert hat, welche namentlich in den Penta¬<lb/>
metern vorkommen. Einen Aufsatz vou Louis Estere, den wir bei Besprechung<lb/>
der Jcmsenschen Sammlung in Ur. 48 des vorigen Jahrganges rühmend erwähnt<lb/>
haben, hat Erker abgedruckt. Das ist nur zu billigen, aber warum Hcmslicks<lb/>
kühles Urteil über die &#x201E;Genoveva" den Lesern aufgetischt worden ist, warum<lb/>
ferner Schumanns Weissagung über Brahms eine kritische Zerpflückung durch<lb/>
Erker hat erdulden müssen, ist unbegreiflich.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1887. 76</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0609] Neue Briefe von Robert Schumann. der Klara Novello, 1838, die Stelle über Mendelssohns Lobgesang im Bericht über das Gutenbergfest 1840, einzelne Sätze über Berlioz 1835; außerdem sind noch manche kürzere Aphorismen und Kritiken von Erker unbemerkt ge¬ blieben, Dagegen werden zwei Aufsätze Schumann mit Unrecht zugeschrieben. Der eine über Czerny ist von Wieck verfaßt; den Davidsbündlerbrief aus dem Norden, 1836, möchte ich aus äußern und innern Gründen für eine Arbeit K. Bancks halten. Eine Kritik über Dr. Gustav Schillings „Polyphonomos," vom 8. Jcmncir 1841, soll nach Erkers Angabe von C. F. Becker verfaßt sein. Auch das ist nicht richtig. Übrigens wurde Schumann wegen dieser in seiner Zeitschrift erschienenen Kritik von Schilling verklagt und mußte eine Geldbuße von fünf Thalern bezahlen. Daß Schumann auch für andre Zeitschriften thätig gewesen ist, namentlich für Herloßsvhns „Kometen" und dessen Damen-Konver- satious-Lexikon, sowie für die „Allgemeine Zeitung" von Brockhaus, war bereits bekannt. Erker teilt einzelne Aufsätze daraus mit. Mancherlei Nachrichten hat Erker von Zeitgenossen Schumanns gesammelt. Sehr hübsch ist, was E. Naumann über die Ausflüge des Dresdener Chorvereins nach Pillnitz und Meißen erzählt. Bei der Rückfahrt aus Meißen ließ sich Schumann das Lied „Mich zieht es nach dem Dörfchen hin" noch einmal vorsingen. Als elfjähriger Knabe brauchte Schumann für eine Aufführung in Zwickau einen guten Flügel. Zu dem Besitzer eines solchen, dem Kandidaten Schiffner in Glauchau, wandert er wohlgemut und bittet um Überlassung des Instruments. Schiffner kennt! ihn nicht, erfüllt ihm aber seine Bitte, nachdem der Knabe auf Verlangen eine Sonate vorgespielt und einen Druck¬ fehler sofort erkannt und beim Spiel verbessert hat. Schmerzlich zu lesen ist die ausführliche Krankengeschichte von 1854—56 und Klaus Groths Bericht über Schumanns Begräbnis. Über die Leichenfeier für Ludwig Schurke berichtet Erker ebenfalls, zum Teil mit Schumanns eignen Worten. Man sieht daraus, wie nahe Schumann der Verlust dieses Freundes gegangen ist. Schurke ist durch den Nachruf in den „Gesammelten Schriften" allen Schumannfreunden bekannt, ebenso Henriette Voigt, die früh dahingeschiedene. In dem Nachrufe an sie führt Schumann vier Distichen aus einem Gedichte an, welches sie auf den Tod ihres Lehrers Ludwig Berger verfaßt hatte. Erker bringt das ganze Gedicht mit der Bemerkung, daß das Zitat bei Schumann eine abweichende Form habe. Die Abweichungen bestehen darin, daß Schumann mit zarter Rücksicht die metrischen Fehler verbessert hat, welche namentlich in den Penta¬ metern vorkommen. Einen Aufsatz vou Louis Estere, den wir bei Besprechung der Jcmsenschen Sammlung in Ur. 48 des vorigen Jahrganges rühmend erwähnt haben, hat Erker abgedruckt. Das ist nur zu billigen, aber warum Hcmslicks kühles Urteil über die „Genoveva" den Lesern aufgetischt worden ist, warum ferner Schumanns Weissagung über Brahms eine kritische Zerpflückung durch Erker hat erdulden müssen, ist unbegreiflich. Grenzboten I. 1887. 76

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/609
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/609>, abgerufen am 03.07.2024.