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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Neue ^Briefe von Robert Schumann.

In dem Texte der Briefe sind uns einige falsch gelesene Stellen auf¬
gefallen. So darf es I, 134 nicht heißen: "Über Hummel werden Sie vielleicht
schon meinen nicht Übeln Aufsatz gelesen haben," denn der Aufsatz war von
C. Montag (Neue Zeitschrift, 1837, S. 133). Es muß heißen einen. Ganz
dieselbe Änderung ist I, 85, Z. 4 v. u. vorzunehmen. Richtig ist, wenn Erker
(I. 170) Zelter liest statt Jetter (so hat es Jansen); auch eine Angabe Dörffcls
über das Datum eines Krügerschen Briefes ist berichtigt worden. Minder
glücklich ist Erker in seinen Erläuterungen. Schumann schreibt an Henriette
Voigt (I, 161): "Schwärmen Sie nicht zu viel mit R. und S., mit Taubert
erlaube ich es Ihnen eher." Hier müssen wir Jansens Lesart "Rellstab und
Schmidt" annehmen: so giebt es die Urschrift des Briefes, während Erker die
Buchstaben als "Rakemcmn und Schurke" deutet. I, 199 ist ein bisher un-
entziffert gebliebenes Wort als "Gigue" gelesen, was in dem Satze keinen
Sinn giebt. Die Ballade Chopins, welche Schumann 1836 gegen Dorn rühmt,
ist nicht die zweite, wie Erker meint, denn diese ist erst 1840 erschienen. Eine
Stelle II, 76 ändert Erker unnötig. Schumann bittet Herrn Senff um eine
Revision; es muß nicht "Kistner" heißen, wie Erker meint, denn Senff war
damals Geschäftsführer der Kiftnerschen Handlung. Zu Schumanns Äußerung
I, 203: "Diesen Sommer (1839) denke ich Quartette zu schreibe"," bemerkt
Erker, der Vorsatz scheine Idee geblieben zu sein. Aber in den Jugendbriefen
steht (am 22. Juni 1839): "Zwei Quartette habe ich angefangen." Champollion
wird (II, 293) der Erfinder (!) der Hieroglyphenschrift genannt. Viele der
Erläuterungen stützen sich auf die immer zuverlässigen Angaben in Jansens
Davidsbündlern, wo wir auch bereits die wichtigsten Stellen solcher Briefe
finden, die von Erker nun unverkürzt mitgeteilt worden sind.

Gegen die Sprache der Erläuterungen habe ich manche Einwände zu
erheben. Wie war es möglich, daß "Schumann in einem Konzerte Klaras seine
L-aur-Symphonie dirigirte, während (!) seine Gattin das ^-moll-Konzert spielte"?
(II, 12). Von Richard Pohl sagt Erker, (II. 133): "Wir sehen ihn von 1854 ab
unablässig für die Sache seiner Freunde (Liszt und Wagner) die Fahne des
Propheten entrollen." Welche unendliche Länge muß diese Fahne gehabt haben!
Von Kossak wird gesagt, ehe er zum Fanatiker für Schumann geworden sei,
habe sein "musikalischer Horizont einen engbegrenzten Hintergrund" gehabt
(II, 30). Ebenso unglücklich scheint mir der Ausdruck (I, 204): "Schumann
hat in der uneigennützigsten Weise die Interessen seiner Freunde und Schützlinge
gehandhabt." Von Schwerfälligkeiten im Satzbau ist Erkers Stil uicht frei,
und die Einführung des Wortes "Aussprache" für Äußerung kann ich auch
nicht schön finden. Wir lesen I, 263: "Eine Aussprache von Berlioz über
Schumann findet sich in einem Pariser Berichte von 1840." Diese Äußerung
sagt kurz, daß Schumanns Werke ihn sämtlich "tief sympathisch angezogen"
Hütten. .


Neue ^Briefe von Robert Schumann.

In dem Texte der Briefe sind uns einige falsch gelesene Stellen auf¬
gefallen. So darf es I, 134 nicht heißen: „Über Hummel werden Sie vielleicht
schon meinen nicht Übeln Aufsatz gelesen haben," denn der Aufsatz war von
C. Montag (Neue Zeitschrift, 1837, S. 133). Es muß heißen einen. Ganz
dieselbe Änderung ist I, 85, Z. 4 v. u. vorzunehmen. Richtig ist, wenn Erker
(I. 170) Zelter liest statt Jetter (so hat es Jansen); auch eine Angabe Dörffcls
über das Datum eines Krügerschen Briefes ist berichtigt worden. Minder
glücklich ist Erker in seinen Erläuterungen. Schumann schreibt an Henriette
Voigt (I, 161): „Schwärmen Sie nicht zu viel mit R. und S., mit Taubert
erlaube ich es Ihnen eher." Hier müssen wir Jansens Lesart „Rellstab und
Schmidt" annehmen: so giebt es die Urschrift des Briefes, während Erker die
Buchstaben als „Rakemcmn und Schurke" deutet. I, 199 ist ein bisher un-
entziffert gebliebenes Wort als „Gigue" gelesen, was in dem Satze keinen
Sinn giebt. Die Ballade Chopins, welche Schumann 1836 gegen Dorn rühmt,
ist nicht die zweite, wie Erker meint, denn diese ist erst 1840 erschienen. Eine
Stelle II, 76 ändert Erker unnötig. Schumann bittet Herrn Senff um eine
Revision; es muß nicht „Kistner" heißen, wie Erker meint, denn Senff war
damals Geschäftsführer der Kiftnerschen Handlung. Zu Schumanns Äußerung
I, 203: „Diesen Sommer (1839) denke ich Quartette zu schreibe»," bemerkt
Erker, der Vorsatz scheine Idee geblieben zu sein. Aber in den Jugendbriefen
steht (am 22. Juni 1839): „Zwei Quartette habe ich angefangen." Champollion
wird (II, 293) der Erfinder (!) der Hieroglyphenschrift genannt. Viele der
Erläuterungen stützen sich auf die immer zuverlässigen Angaben in Jansens
Davidsbündlern, wo wir auch bereits die wichtigsten Stellen solcher Briefe
finden, die von Erker nun unverkürzt mitgeteilt worden sind.

Gegen die Sprache der Erläuterungen habe ich manche Einwände zu
erheben. Wie war es möglich, daß „Schumann in einem Konzerte Klaras seine
L-aur-Symphonie dirigirte, während (!) seine Gattin das ^-moll-Konzert spielte"?
(II, 12). Von Richard Pohl sagt Erker, (II. 133): „Wir sehen ihn von 1854 ab
unablässig für die Sache seiner Freunde (Liszt und Wagner) die Fahne des
Propheten entrollen." Welche unendliche Länge muß diese Fahne gehabt haben!
Von Kossak wird gesagt, ehe er zum Fanatiker für Schumann geworden sei,
habe sein „musikalischer Horizont einen engbegrenzten Hintergrund" gehabt
(II, 30). Ebenso unglücklich scheint mir der Ausdruck (I, 204): „Schumann
hat in der uneigennützigsten Weise die Interessen seiner Freunde und Schützlinge
gehandhabt." Von Schwerfälligkeiten im Satzbau ist Erkers Stil uicht frei,
und die Einführung des Wortes „Aussprache" für Äußerung kann ich auch
nicht schön finden. Wir lesen I, 263: „Eine Aussprache von Berlioz über
Schumann findet sich in einem Pariser Berichte von 1840." Diese Äußerung
sagt kurz, daß Schumanns Werke ihn sämtlich „tief sympathisch angezogen"
Hütten. .


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[0610] Neue ^Briefe von Robert Schumann. In dem Texte der Briefe sind uns einige falsch gelesene Stellen auf¬ gefallen. So darf es I, 134 nicht heißen: „Über Hummel werden Sie vielleicht schon meinen nicht Übeln Aufsatz gelesen haben," denn der Aufsatz war von C. Montag (Neue Zeitschrift, 1837, S. 133). Es muß heißen einen. Ganz dieselbe Änderung ist I, 85, Z. 4 v. u. vorzunehmen. Richtig ist, wenn Erker (I. 170) Zelter liest statt Jetter (so hat es Jansen); auch eine Angabe Dörffcls über das Datum eines Krügerschen Briefes ist berichtigt worden. Minder glücklich ist Erker in seinen Erläuterungen. Schumann schreibt an Henriette Voigt (I, 161): „Schwärmen Sie nicht zu viel mit R. und S., mit Taubert erlaube ich es Ihnen eher." Hier müssen wir Jansens Lesart „Rellstab und Schmidt" annehmen: so giebt es die Urschrift des Briefes, während Erker die Buchstaben als „Rakemcmn und Schurke" deutet. I, 199 ist ein bisher un- entziffert gebliebenes Wort als „Gigue" gelesen, was in dem Satze keinen Sinn giebt. Die Ballade Chopins, welche Schumann 1836 gegen Dorn rühmt, ist nicht die zweite, wie Erker meint, denn diese ist erst 1840 erschienen. Eine Stelle II, 76 ändert Erker unnötig. Schumann bittet Herrn Senff um eine Revision; es muß nicht „Kistner" heißen, wie Erker meint, denn Senff war damals Geschäftsführer der Kiftnerschen Handlung. Zu Schumanns Äußerung I, 203: „Diesen Sommer (1839) denke ich Quartette zu schreibe»," bemerkt Erker, der Vorsatz scheine Idee geblieben zu sein. Aber in den Jugendbriefen steht (am 22. Juni 1839): „Zwei Quartette habe ich angefangen." Champollion wird (II, 293) der Erfinder (!) der Hieroglyphenschrift genannt. Viele der Erläuterungen stützen sich auf die immer zuverlässigen Angaben in Jansens Davidsbündlern, wo wir auch bereits die wichtigsten Stellen solcher Briefe finden, die von Erker nun unverkürzt mitgeteilt worden sind. Gegen die Sprache der Erläuterungen habe ich manche Einwände zu erheben. Wie war es möglich, daß „Schumann in einem Konzerte Klaras seine L-aur-Symphonie dirigirte, während (!) seine Gattin das ^-moll-Konzert spielte"? (II, 12). Von Richard Pohl sagt Erker, (II. 133): „Wir sehen ihn von 1854 ab unablässig für die Sache seiner Freunde (Liszt und Wagner) die Fahne des Propheten entrollen." Welche unendliche Länge muß diese Fahne gehabt haben! Von Kossak wird gesagt, ehe er zum Fanatiker für Schumann geworden sei, habe sein „musikalischer Horizont einen engbegrenzten Hintergrund" gehabt (II, 30). Ebenso unglücklich scheint mir der Ausdruck (I, 204): „Schumann hat in der uneigennützigsten Weise die Interessen seiner Freunde und Schützlinge gehandhabt." Von Schwerfälligkeiten im Satzbau ist Erkers Stil uicht frei, und die Einführung des Wortes „Aussprache" für Äußerung kann ich auch nicht schön finden. Wir lesen I, 263: „Eine Aussprache von Berlioz über Schumann findet sich in einem Pariser Berichte von 1840." Diese Äußerung sagt kurz, daß Schumanns Werke ihn sämtlich „tief sympathisch angezogen" Hütten. .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/610>, abgerufen am 22.07.2024.