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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichterfromidinnon.

Aber in dem großen Unglück liegt die Weihe des Jenseits. Der davon
betroffene erfährt eine sittliche Läuterung, die kein Glücklicher kennt, er erntet
auch eine Verehrung, die man ihm sonst nicht gezollt haben würde. So erging
es Karolinen. Ihre Bekenntnisse aus den letzten zwanzig Jahren ihres Lebens
sind sehr lehrreich. Wohl tragen sie noch manchmal den Stempel des genialen
Selbstbeschanens, das leicht in ein vornehmes Genießen des eignen Selbst über¬
geht, wohl preist sie sich glücklich, daß sie früh in ihrem Ich einen Kern gefunden
habe, der sich durch innere Kraft in die Außenwelt ausbreitete, sie sich assimilirte,
aber sich nie in ihr verlor, daß sie in der Freude des Augenblicks sich selten ver¬
gessen habe, weil eine zweite Welt, die der Imagination, sie früh gefangen ge¬
nommen und ihr die gemeine Umgebung verdeckt habe, daß Größe zu lieben früh
ihre Seligkeit gewesen sei, und daß sie, ohne von einem Schein getäuscht zu werden,
früh das Große in der Aufopferung für einen Gedanken, für eine Liebe ge¬
funden habe. Aber ebenso oft erhebt sie sich zu der wahrsten und demütigster
Selbsterkenntnis. "Gott hat unendlich viel für mich gethan; auch erschien mir
in der bittersten Not seine Hilfe sichtlich, wie eine rettende Hand ans den
Wolken. Schiller sagte einmal, meine Geschichte habe etwas Alttestamentliche?,
so geführt, so gerettet wurde ich. Aber die Lockungen irdischer Genüsse führten
mich abwärts; Spitzfindigkeiten des Geistes, Wissenstrieb, mitunter Spiel der
Phantasie, auch im Höheren, Besseren ein Trieb, alles nach meinem Sinne zu
lenken (ich darf sagen nach einem hohen Sinne, denn ich wollte nur das Rechte
und Gute herrschen sehen), verwirrten meine Seele."

Trost fand sie in der Religion und in ihrer schriftstellerischen Thätigkeit.
Ihre Religion war früher mehr eine Naturreligion gewesen, die in dem seligen
Versinken im All die Lösung des Welträtsels sucht; jetzt wandte sie sich mit
aller Inbrunst der christlichen Religion zu. Die Geschlagene, Darniedergeworfeuc
streckte die Hand zu dem empor, der sie geschlagen hatte, und als die Seelen-
freundschaften erloschen, zog die Liebe zu Gott in ihr Herz ein. "Laß mich mild
in deinem Sinne wirken, mein Heiland -- ruft sie ans --, du thatest so viel
für mich. Ich Unglückliche verstand deinen Wink nicht. Hingeben sollt' ich
mich, ein Opfer bringen aller Eigenheit, nach der Erfahrung so unendlicher
Güte, die wie eine Hand aus der Wolke mich rettend hielt." Freilich war ihre
Religion nur eine Resignation in dem Schiffbruche des Lebens, nicht die trei¬
bende Kraft, die ins thätige Leben geleitet. "Ich liebe nicht mehr -- gesteht
sie --, aber ein unendliches Mitleid mit allen Schmerzen der Menschheit füllt
meine Brust."

Die Werke ihres Alters waren: "Schillers Leben," zwei Bände Novellen
und ein Roman: "Kordelia." Den Hintergrund desselben bilden die großen
Ereignisse von 1813. Vielleicht wollte sie ihrem Adolf damit ein Denkmal
setzen. Auf jeden Fall tritt ihre patriotische Gesinnung dabei in das schönste
Licht. Es war ihre Absicht, Weltleben und Familienleben in ihrer Wechsel-


Dichterfromidinnon.

Aber in dem großen Unglück liegt die Weihe des Jenseits. Der davon
betroffene erfährt eine sittliche Läuterung, die kein Glücklicher kennt, er erntet
auch eine Verehrung, die man ihm sonst nicht gezollt haben würde. So erging
es Karolinen. Ihre Bekenntnisse aus den letzten zwanzig Jahren ihres Lebens
sind sehr lehrreich. Wohl tragen sie noch manchmal den Stempel des genialen
Selbstbeschanens, das leicht in ein vornehmes Genießen des eignen Selbst über¬
geht, wohl preist sie sich glücklich, daß sie früh in ihrem Ich einen Kern gefunden
habe, der sich durch innere Kraft in die Außenwelt ausbreitete, sie sich assimilirte,
aber sich nie in ihr verlor, daß sie in der Freude des Augenblicks sich selten ver¬
gessen habe, weil eine zweite Welt, die der Imagination, sie früh gefangen ge¬
nommen und ihr die gemeine Umgebung verdeckt habe, daß Größe zu lieben früh
ihre Seligkeit gewesen sei, und daß sie, ohne von einem Schein getäuscht zu werden,
früh das Große in der Aufopferung für einen Gedanken, für eine Liebe ge¬
funden habe. Aber ebenso oft erhebt sie sich zu der wahrsten und demütigster
Selbsterkenntnis. „Gott hat unendlich viel für mich gethan; auch erschien mir
in der bittersten Not seine Hilfe sichtlich, wie eine rettende Hand ans den
Wolken. Schiller sagte einmal, meine Geschichte habe etwas Alttestamentliche?,
so geführt, so gerettet wurde ich. Aber die Lockungen irdischer Genüsse führten
mich abwärts; Spitzfindigkeiten des Geistes, Wissenstrieb, mitunter Spiel der
Phantasie, auch im Höheren, Besseren ein Trieb, alles nach meinem Sinne zu
lenken (ich darf sagen nach einem hohen Sinne, denn ich wollte nur das Rechte
und Gute herrschen sehen), verwirrten meine Seele."

Trost fand sie in der Religion und in ihrer schriftstellerischen Thätigkeit.
Ihre Religion war früher mehr eine Naturreligion gewesen, die in dem seligen
Versinken im All die Lösung des Welträtsels sucht; jetzt wandte sie sich mit
aller Inbrunst der christlichen Religion zu. Die Geschlagene, Darniedergeworfeuc
streckte die Hand zu dem empor, der sie geschlagen hatte, und als die Seelen-
freundschaften erloschen, zog die Liebe zu Gott in ihr Herz ein. „Laß mich mild
in deinem Sinne wirken, mein Heiland — ruft sie ans —, du thatest so viel
für mich. Ich Unglückliche verstand deinen Wink nicht. Hingeben sollt' ich
mich, ein Opfer bringen aller Eigenheit, nach der Erfahrung so unendlicher
Güte, die wie eine Hand aus der Wolke mich rettend hielt." Freilich war ihre
Religion nur eine Resignation in dem Schiffbruche des Lebens, nicht die trei¬
bende Kraft, die ins thätige Leben geleitet. „Ich liebe nicht mehr — gesteht
sie —, aber ein unendliches Mitleid mit allen Schmerzen der Menschheit füllt
meine Brust."

Die Werke ihres Alters waren: „Schillers Leben," zwei Bände Novellen
und ein Roman: „Kordelia." Den Hintergrund desselben bilden die großen
Ereignisse von 1813. Vielleicht wollte sie ihrem Adolf damit ein Denkmal
setzen. Auf jeden Fall tritt ihre patriotische Gesinnung dabei in das schönste
Licht. Es war ihre Absicht, Weltleben und Familienleben in ihrer Wechsel-


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[0605] Dichterfromidinnon. Aber in dem großen Unglück liegt die Weihe des Jenseits. Der davon betroffene erfährt eine sittliche Läuterung, die kein Glücklicher kennt, er erntet auch eine Verehrung, die man ihm sonst nicht gezollt haben würde. So erging es Karolinen. Ihre Bekenntnisse aus den letzten zwanzig Jahren ihres Lebens sind sehr lehrreich. Wohl tragen sie noch manchmal den Stempel des genialen Selbstbeschanens, das leicht in ein vornehmes Genießen des eignen Selbst über¬ geht, wohl preist sie sich glücklich, daß sie früh in ihrem Ich einen Kern gefunden habe, der sich durch innere Kraft in die Außenwelt ausbreitete, sie sich assimilirte, aber sich nie in ihr verlor, daß sie in der Freude des Augenblicks sich selten ver¬ gessen habe, weil eine zweite Welt, die der Imagination, sie früh gefangen ge¬ nommen und ihr die gemeine Umgebung verdeckt habe, daß Größe zu lieben früh ihre Seligkeit gewesen sei, und daß sie, ohne von einem Schein getäuscht zu werden, früh das Große in der Aufopferung für einen Gedanken, für eine Liebe ge¬ funden habe. Aber ebenso oft erhebt sie sich zu der wahrsten und demütigster Selbsterkenntnis. „Gott hat unendlich viel für mich gethan; auch erschien mir in der bittersten Not seine Hilfe sichtlich, wie eine rettende Hand ans den Wolken. Schiller sagte einmal, meine Geschichte habe etwas Alttestamentliche?, so geführt, so gerettet wurde ich. Aber die Lockungen irdischer Genüsse führten mich abwärts; Spitzfindigkeiten des Geistes, Wissenstrieb, mitunter Spiel der Phantasie, auch im Höheren, Besseren ein Trieb, alles nach meinem Sinne zu lenken (ich darf sagen nach einem hohen Sinne, denn ich wollte nur das Rechte und Gute herrschen sehen), verwirrten meine Seele." Trost fand sie in der Religion und in ihrer schriftstellerischen Thätigkeit. Ihre Religion war früher mehr eine Naturreligion gewesen, die in dem seligen Versinken im All die Lösung des Welträtsels sucht; jetzt wandte sie sich mit aller Inbrunst der christlichen Religion zu. Die Geschlagene, Darniedergeworfeuc streckte die Hand zu dem empor, der sie geschlagen hatte, und als die Seelen- freundschaften erloschen, zog die Liebe zu Gott in ihr Herz ein. „Laß mich mild in deinem Sinne wirken, mein Heiland — ruft sie ans —, du thatest so viel für mich. Ich Unglückliche verstand deinen Wink nicht. Hingeben sollt' ich mich, ein Opfer bringen aller Eigenheit, nach der Erfahrung so unendlicher Güte, die wie eine Hand aus der Wolke mich rettend hielt." Freilich war ihre Religion nur eine Resignation in dem Schiffbruche des Lebens, nicht die trei¬ bende Kraft, die ins thätige Leben geleitet. „Ich liebe nicht mehr — gesteht sie —, aber ein unendliches Mitleid mit allen Schmerzen der Menschheit füllt meine Brust." Die Werke ihres Alters waren: „Schillers Leben," zwei Bände Novellen und ein Roman: „Kordelia." Den Hintergrund desselben bilden die großen Ereignisse von 1813. Vielleicht wollte sie ihrem Adolf damit ein Denkmal setzen. Auf jeden Fall tritt ihre patriotische Gesinnung dabei in das schönste Licht. Es war ihre Absicht, Weltleben und Familienleben in ihrer Wechsel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/605>, abgerufen am 22.12.2024.