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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichterfroundinnen,

berichtet sie, wie hübsch, wohl und liebenswürdig die Freundin sei. Karoline
von Humboldt stieg an der Seite ihres Mannes immer weiter aufwärts im
Leben und in der Gesellschaft, Karoline von Wolzogen war schon im Abwärts¬
schreiten begriffen. Der schwerste Schlag sollte sie noch treffen.

Nach dem Tode Dalbergs widmete Karoline ihre Zärtlichkeit vorzüglich
ihrem einzigen, zum 22 jährigen stattlichen Jünglinge erblühten Sohne Adolf.
Er hatte in Heidelberg studirt und sich dann dem Forstwesen gewidmet. Die
Erhebung Deutschlands im Jahre 1813 entzündete auch in ihm die Kampfes¬
lust, er ruhte nicht, bis er ins preußische Heer eintreten durfte, in dem auch
sein Oheim, Karl von Wolzogen, als Oberst diente. In Prag übergab ihn die
Mutter dem Schwager. Er nahm Teil an dem Feldzuge von 1813 und blieb
dann beim Militär (erst in sächsischen, dann wieder in preußischen Diensten) bis
zum Jahre 1823, dann lebte er mit der Mutter vereint in Weimar, Bauer¬
bach oder auf dem bei Arnstadt gelegenen Gute Bösleben. Es war nichts
besondres in ihm, vor allem wenig Festes. Einer seiner Erzieher sagte von
ihm, er sei nichts als ein sinnlicher Mensch, und die verwitwete Frau von
Schiller fürchtete seine Zerstreuungssucht, sobald ihre Söhne längere Zeit auf
seinen Umgang angewiesen waren. Er hatte die Unruhe der Mutter geerbt.
Aber vielleicht gerade deshalb liebte ihn diese mit allen Kräften ihres Herzens,
er war ihre Sorge und die Hoffnung ihres Alters. Plötzlich wurde er ihr
genomnien. Dreißig Jahre alt, gerade an seinem Geburtstage, am 10. September
1825, fand er durch einen unglücklichen Schuß auf der Jagd in Bösleben seinen
Tod. An seinem Grabe brach die arme Frau zusammen, und sie hat sich nie
wieder ganz aufrichten können. "O mein Gott -- ruft sie noch nach zwei
Jahren aus --, gieb mir ein Gefühl deiner Nähe in meinem bittern Schmerze!
Wie verödet ist alles um mich I Wie war alles voll Hoffnung, als deine Augen,
geliebtes Kind, dem Lichte offen waren! Das Licht ist ans Erden erloschen,
nur das von oben kann auf mich herniederleuchten." Und noch ein Jahr später:
"Heute vor drei Jahren legte ich mich zum letztenmale mit Lebenshoffnungen
nieder. O, mein Gott, daß du mich im unsäglichsten Jammer bei Simler er¬
hieltest, war Gnade, Gnade. Erbarme dich unser!"

Es liegt etwas Verhängnisvolles in diesem Schlage des Schicksals. Der
Frau, welche in einem unersättlichen Liebesbedürfnis ein Herz um das andre
an sich gezogen hatte, wird an der Schwelle des Alters das Letzte, das Teuerste
geraubt, das ihr geblieben war. Man fühlt die Wucht dieses Schlages, man
sieht über der Armen die Allgewalt dahinschreiten, welche das enge Menschenherz
zum Entbehren zwingt, wenn es sich nicht selbst beschränken kann. Die dreiund-
sechzigjährige Frau war fortan verlassen, vereinsamt, und doch war ihr noch
ein langes Leben beschicken, sie mußte sehen, wie alles um sie her ins Grab
sank, was ihr lieb war: 1823 ihre Mutter, 1826 ihre Schwester, 1829 Karo-
line von Humboldt. Eine furchtbare Belehrung!


Dichterfroundinnen,

berichtet sie, wie hübsch, wohl und liebenswürdig die Freundin sei. Karoline
von Humboldt stieg an der Seite ihres Mannes immer weiter aufwärts im
Leben und in der Gesellschaft, Karoline von Wolzogen war schon im Abwärts¬
schreiten begriffen. Der schwerste Schlag sollte sie noch treffen.

Nach dem Tode Dalbergs widmete Karoline ihre Zärtlichkeit vorzüglich
ihrem einzigen, zum 22 jährigen stattlichen Jünglinge erblühten Sohne Adolf.
Er hatte in Heidelberg studirt und sich dann dem Forstwesen gewidmet. Die
Erhebung Deutschlands im Jahre 1813 entzündete auch in ihm die Kampfes¬
lust, er ruhte nicht, bis er ins preußische Heer eintreten durfte, in dem auch
sein Oheim, Karl von Wolzogen, als Oberst diente. In Prag übergab ihn die
Mutter dem Schwager. Er nahm Teil an dem Feldzuge von 1813 und blieb
dann beim Militär (erst in sächsischen, dann wieder in preußischen Diensten) bis
zum Jahre 1823, dann lebte er mit der Mutter vereint in Weimar, Bauer¬
bach oder auf dem bei Arnstadt gelegenen Gute Bösleben. Es war nichts
besondres in ihm, vor allem wenig Festes. Einer seiner Erzieher sagte von
ihm, er sei nichts als ein sinnlicher Mensch, und die verwitwete Frau von
Schiller fürchtete seine Zerstreuungssucht, sobald ihre Söhne längere Zeit auf
seinen Umgang angewiesen waren. Er hatte die Unruhe der Mutter geerbt.
Aber vielleicht gerade deshalb liebte ihn diese mit allen Kräften ihres Herzens,
er war ihre Sorge und die Hoffnung ihres Alters. Plötzlich wurde er ihr
genomnien. Dreißig Jahre alt, gerade an seinem Geburtstage, am 10. September
1825, fand er durch einen unglücklichen Schuß auf der Jagd in Bösleben seinen
Tod. An seinem Grabe brach die arme Frau zusammen, und sie hat sich nie
wieder ganz aufrichten können. „O mein Gott — ruft sie noch nach zwei
Jahren aus —, gieb mir ein Gefühl deiner Nähe in meinem bittern Schmerze!
Wie verödet ist alles um mich I Wie war alles voll Hoffnung, als deine Augen,
geliebtes Kind, dem Lichte offen waren! Das Licht ist ans Erden erloschen,
nur das von oben kann auf mich herniederleuchten." Und noch ein Jahr später:
„Heute vor drei Jahren legte ich mich zum letztenmale mit Lebenshoffnungen
nieder. O, mein Gott, daß du mich im unsäglichsten Jammer bei Simler er¬
hieltest, war Gnade, Gnade. Erbarme dich unser!"

Es liegt etwas Verhängnisvolles in diesem Schlage des Schicksals. Der
Frau, welche in einem unersättlichen Liebesbedürfnis ein Herz um das andre
an sich gezogen hatte, wird an der Schwelle des Alters das Letzte, das Teuerste
geraubt, das ihr geblieben war. Man fühlt die Wucht dieses Schlages, man
sieht über der Armen die Allgewalt dahinschreiten, welche das enge Menschenherz
zum Entbehren zwingt, wenn es sich nicht selbst beschränken kann. Die dreiund-
sechzigjährige Frau war fortan verlassen, vereinsamt, und doch war ihr noch
ein langes Leben beschicken, sie mußte sehen, wie alles um sie her ins Grab
sank, was ihr lieb war: 1823 ihre Mutter, 1826 ihre Schwester, 1829 Karo-
line von Humboldt. Eine furchtbare Belehrung!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/604>, abgerufen am 03.07.2024.